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Baby von HIV-Infektion geheilt: Das kleine Wunder

Wenn sich der Befund bestätigt, wäre es eine Sensation: Erstmals wurde ein Baby wahrscheinlich von einer HIV-Infektion geheilt, behaupten amerikanische Forscher. Wie ist das gelungen?

Wenn sich der Befund bestätigt, wäre es eine Sensation: Zum ersten Mal wurde ein Kleinkind wahrscheinlich von seiner HIV-Infektion geheilt. Das zumindest berichteten gestern Forscher um die Virologin Deborah Persaud vom Johns Hopkins Children's Center auf der Konferenz für Retroviren und opportunistische Infektionen in Atlanta. Anders als der „Berliner Patient“ Timothy Brown, der durch eine Stammzelltransplantation das Virus besiegte, bekam das Kind aus dem US-Bundesstaat Mississippi bereits kurz nach seiner Geburt eine Kombitherapie aus drei antiretroviralen Medikamenten.

Kann man die Mutter-Kind-Übertragung von HIV nicht längst verhindern?
Normalerweise verhindert die Therapie der Mutter die Infektion des Kindes. Das Baby wird dann nur noch vier bis sechs Wochen vorsorglich mit ein bis zwei antiretroviralen Mitteln behandelt. Nur wenn sich dann Viruserbgut im Blut des Kindes findet, wird mit der normalen Therapie begonnen. „Ich kenne in Deutschland keinen Fall von Mutter-Kind-Übertragung aus den letzten zehn Jahren“, sagt der HIV-Immunologe Jürgen Rockstroh von der Uniklinik Bonn und ehemaliger Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft. Auch in den USA ist die Übertragung der Viren auf den Säugling mit etwa 200 Fällen pro Jahr selten.

Warum hat sich das Kind trotzdem infiziert?
Die Mutter wusste nichts von ihrer Erkrankung und war während der Schwangerschaft nicht zum Arzt gegangen. Erst als sie in den Wehen lag, konnten die Ärzte einen HIV-Schnelltest machen. Sie war positiv. Das mit 35 Wochen zu früh geborene Baby wurde umgehend in die Medizinische Hochschule von Mississippi in Jackson verlegt. Die Kinderärztin Hanna Gay und ihre Kollegen gingen davon aus, dass das Kind ein hohes Infektionsrisiko hatte. Sie begannen bereits 30 Stunden nach der Geburt mit einer Kombinationstherapie aus drei antiretroviralen Medikamenten. Am Tag sechs bestätigten Test-Ergebnisse die Befürchtung: Der Säugling hatte schon am zweiten Tag nach seiner Geburt Virenerbgut im Blutplasma. Die Zahl der Viruskopien sank dann allmählich, an Tag 29 waren die Viren schließlich mit Standardtests nicht mehr nachweisbar. Wie bei HIV-Infizierten üblich, sollte das Kind aber weiter die Therapie bekommen. Denn nur so kann man das Aidsvirus dauerhaft in Schach halten.

Wie kann man dann von Heilung sprechen?
Die Mutter verschwand mit ihrem Kind, als es 18 Monate alt war, setzte die Medikamente eigenmächtig ab und tauchte erst fünf Monate später wieder auf. Die Ärzte machten erneut Tests und waren alles andere als optimistisch: „Ich erwartete eine hohe Viruslast im Blut des Kindes“, sagte Gay dem britischen „Guardian“. Zu ihrer Überraschung kamen aber alle Tests negativ zurück. Sie kontaktierte zwei Kolleginnen, darunter Deborah Persaud, die wegen Forschungsprojekten zur Mutter-Kind-Übertragung auf empfindlichere Tests zurückgreifen konnten. Sie fanden bei dem nun 26 Monate alten Kind lediglich Spuren von Viren-Erbgut, aber kein Virus, das sich vermehren konnte.

Sie gehen davon aus, dass die ungewöhnlich frühe und umfassende Behandlung zu einer „funktionalen Heilung“ führte. Die HI-Viren sind also auch ohne die lebenslange Therapie durch Standardtests nicht mehr nachweisbar.

Persaud und ihre Kollegen vermuten, dass die Viren durch die sehr frühe Therapie keine „stillen Reserve“ aufbauen konnte. Normalerweise verstecken sie sich in weißen Blutkörperchen und können dort lange unbemerkt überdauern. Wenn die Therapie abgebrochen wird, vermehren sie sich erneut – deshalb müssen Infizierte ein Leben lang Medikamente nehmen. Seit einiger Zeit versucht man, mit einer möglichst frühen Therapie die Viren auszubremsen, bevor sie zu Schläfern werden können. Wenn die Forscherinnen auch bei anderen Kindern ein solches Ergebnis erzielen können, könnte das den Weg dafür bereiten, dass kein Kind mehr mit einer HIV-Infektion leben muss.

Wie sehen andere Experten die Sensation?

Wie sehen andere Experten die Sensation?

Noch handelt es sich lediglich um ein Fallbeispiel, das auf einem Kongress vorgestellt wurde. Die Ergebnisse sind bisher nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden. Entsprechend vorsichtig sind die Experten bei der Bewertung.

„Es ist unklar, ob der Erfolg wirklich durch die Therapie zustande kam oder ob das Immunsystem des Kindes die Viren besonders gut bekämpfen konnte“, betont Rockstroh. Die Reaktionen auf das HI-Virus seien von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Auch wenn die Therapie ausschlaggebend war, könne man nicht vorhersehen, ob die „Heilung“ anhält oder das Virus wieder auftaucht, wenn das Kind älter ist. Eine solche Langzeitbeobachtung dürfte jedoch schwierig werden, denn im Moment sind Mutter und Kind für die Ärzte nicht auffindbar.

Auch der Aidsforscher Frank Kirchhoff vom Uniklinikum Ulm hält „Heilung“ für ein großes Wort angesichts eines Einzelfalls, der nicht weiter verfolgt werden kann. Für die Forschung sei es ein interessantes Ergebnis. Im Alltag jedoch sei es wichtiger, die Infektion der Kinder zu vermeiden. Denn bisher wisse man nicht, ab wann man die Therapie möglicherweise abbrechen kann, um Nebenwirkungen und Kosten zu vermeiden. „Jeder Rückfall ist für das Immunsystem schädlich, außerdem können so Resistenzen entstehen“, sagt Kirchhoff.

Optimistischer ist Armin Schafberger, der Referent für Medizin und Gesundheitspolitik der Deutschen Aidshilfe: „Das Ergebnis zeigt, dass eine frühe antiretrovirale Therapie ein gangbarer Weg zur Heilung ist – und zwar mit Medikamenten, die längst zur Verfügung stehen“, sagt er. „Das gibt der Heilungsforschung sicher Aufwind.“

Was ist anders als beim „Berliner Patient“?

Der „Berliner Patient“ war nicht nur mit HIV infiziert, sondern hatte auch Leukämie. Er brauchte dringend eine Transplantation von blutbildenden Stammzellen. Seine Ärzte fanden einen Spender mit einem veränderten CCR5-Gen. Menschen mit dieser seltenen Mutation sind vor HIV geschützt, weil der Erreger nicht in die Zellen eindringen kann. Für Brown war das ein Glücksfall: Er besiegte den Krebs und HIV. Sein Fall ist jedoch einzigartig, denn eine Stammzelltransplantation ist risikoreich. Das Baby dagegen wurde mit normalen antiretroviralen Mitteln behandelt.

Wie geht es weiter?
Die Wissenschaftlerinnen wollen beweisen, dass der Erfolg kein Einzelfall ist und erforschen, ab wann man die Medikamente absetzen kann. Am dringendsten wird die Therapie direkt nach der Geburt in Afrika gebraucht, allein in der Subsahara leben etwa 2,4 Millionen Kinder unter 14 Jahren mit dem HI-Virus. Gerade dort ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Tests und Medikamente rechtzeitig bei den Kindern ankommen. Prävention sei deshalb nach wie vorher die effektivste Hilfe, sagt Gay. „Wir können 98 Prozent der Infektionen verhindern, wenn wir HIV-positive Mütter identifizieren und sie behandeln.“

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