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Wissen: Daten, Daten, Daten

Getrackte Patienten, gedruckte Organe – Viel Technik, wenig Arzt bei „Future Medicine“ in Berlin.

Dass Vorhersagen schwer sind, vor allem bezüglich der Zukunft, ist ein vielbemühtes Bonmot. Es wird von Baseballspielern bis zu Nobelpreisträgern allen möglichen Quellen zugeordnet. Und wenn eine Konferenz „Future Medicine 2018“ heißt, ist das dem Titel innewohnende Oxymoron wahrscheinlich beabsichtigt. Denn 2018 ist ja nicht Zukunft, aber der von den Referenten wahrscheinlich am häufigsten benutzte Satz bei der komplett auf Englisch abgehaltenen Veranstaltung lautete „It's happening now.“

Egal ob es um anhand von Genanalysen maßgeschneiderte Krebs-Medikamente, durch Big Data optimierte Diagnosen oder künstlich-intelligente maschinelle Assistenzärzte ging, die Zukunft ist allenthalben schon da. Und auch wie sie weitergeht, entscheidet sich jetzt.

Die Konferenz ist Teil der vom Tagesspiegel jeweils mit Partnern organisierten Veranstaltungsreihe „Science Match“ zu verschiedensten Zukunftsthemen wie Energie, Digitalisierung oder Sicherheit. Sie fand am Mittwoch in den geräumigen, aber fast voll besetzten Bolle-Festsälen in Moabit statt. Eröffnet wurde sie durch Repräsentanten der Organisatoren, unter anderem Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner und Roland Eils, Professor für „Digitale Gesundheit“ am Berliner Institut für Gesundheitsforschung. Danach präsentierten in vier großen Themenblöcken Wissenschaftler und Repräsentanten zahlreicher im medizinischen Bereich aktiver Unternehmen Projekte, Produkte und Ideen. Meist standen ihnen für ihre Vorträge nur drei Minuten zur Verfügung.

Manche jener Unternehmen bestehen nur aus zwei oder drei Personen und nutzten die Gelegenheit, mit möglichen Investoren oder Kooperationspartnern ins Gespräch zu kommen.

Andere sind bereits erfolgreich an der Börse und in kürzester Zeit zu weltweit operierenden Firmen gewachsen. Zu letzteren gehört „Cellink“, das vor nicht einmal drei Jahren in Göteborg gegründet wurde. Es versucht unter anderem, mit von Patienten gewonnenen Zellen und „Bio-3D-Druckern“ Gewebe-Ersatzteile herzustellen. Laut Duong Nguyen, leitende Gewebe-Ingenieurin der Firma, ist der Weg hin zu komplett aus dem Biodrucker kommenden Ersatzorganen allerdings noch weit. Sie sprach von einer „großen Herausforderung“, weil man die Architektur der Organe und deren Komponenten noch lange nicht gut genug verstehe. „Aber es wird kommen“, so Nguyen.

Zu den Zukunftsentwicklungen, die bereits Realität sind, gehören Anwendungen wie die des österreichischen Start-ups „Scarletred “. Per Mobiltelefon, kostenloser App und kostenpflichtigem Diagnosepflaster lassen sich laut deren Chef Harald Schnidar zahlreiche Hautkrankheiten diagnostizieren und deren Therapieverlauf begutachten. Auch etwa die Effektivität von medizinischen und kosmetischen Cremes lasse sich so standardisiert und unabhängig vom Hauttyp testen.

Jenseits der Haut deutlich tiefer in einem Menschen blicken, auch ohne ihn aufschneiden oder durchstrahlen zu müssen, kann man durch das Auge. Für Ella Kadas vom Berliner Start-up „Nocturne“ in der Schönhauser Allee ist es nicht der esotherisch vielzitiert „Spiegel der Seele“, sondern der des ganz konkreten Nervensystems. Man könne zahlreiche neurologische Krankheiten durch Untersuchung der Netzhaut und des Zustandes des optischen Nervs direkt dahinter diagnostizieren und auch teilweise vorhersagen, wie schwer der Verlauf, etwa einer Multiplen Sklerose, wahrscheinlich sein wird.

Allein im vormittäglichen Themenblock „Transformative Digital Health Solutions“ wurden noch mehr als ein Dutzend weitere Innovationen vorgestellt, von Schnelltests für die richtige Antibiotika-Auswahl über Minichips, die Blutproben von der Arztpraxis bis ins Labor begleiten und so deren Qualität sichern sollen bis hin zu Apps, die über einen auf die Mobiltelefonkamera gelegten Finger Veränderungen in der Herzfrequenz messen und so ungesunden Stress erkennen sollen. Durchweg ging es um Technologie, Künstliche Intelligenz oder „Maschine learning“, Informationsverarbeitung. Der Arzt der Zukunft, also der Mensch, der sich zumindest bisher um kranke andere Menschen gekümmert hat, war kaum Thema. Wenn doch, dann waren es Nebensätze, die Mediziner eher als Hemmschuhe der Zukunftsmedizin darstellten, skeptisch und um ihre Pfründe besorgt.

Und fast allen in diesem Teil der Konferenz vorgestellten Projekten und Produkten war eines gemein: Sie arbeiten mit sehr vielen, sehr persönlichen Daten. In jener Zukunft – der, die schon begonnen hat und der, die irgendwann noch kommt, sind persönliche Daten der vielleicht wichtigste Rohstoff – ein Rohstoff, den man sinnvoll und im Sinne möglichst vieler oder gar aller Menschen nutzen, aber eben auch missbrauchen kann.

Hier, sagte Bart de Witte, Professor für „Digital Health“, in Zürich und Direktor bei IBM DACH, müssten jetzt die Weichen gestellt werden, etwa mit Datenhoheit bei den Patienten, Open-Source-Software und dem Grundgedanken einer „Technik für das Gute“. Die Zukunft zu kennen ist unmöglich, sagt auch de Witte. Was man aber wissen könne, sei „welche Zukunft wir wollen“. Und daran dann zu arbeiten. Richard Friebe

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