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Allein in der Pose zeigt sich die Verwandtschaft zum Menschen. Im Bild ein Schimpansen-Weibchen.

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Humanbiologie: Dem Superhirn auf der Spur

Die Humanbiologie-Professorin Katja Nowick erforscht, was das menschliche Gehirn so einzigartig macht.

Mensch und Schimpanse gleichen sich genetisch zu mehr als 96 Prozent. Ähnlichkeiten, besonders in Mimik und Gestik, sind auch kaum zu leugnen. Trotzdem liegen Welten zwischen Homo sapiens und seinem nächsten lebenden Verwandten. Die Ursache dafür liegt im Gehirn: Das menschliche ist rund dreimal so groß wie das des Schimpansen – insbesondere die Großhirnrinde, die für Wahrnehmung, Motorik, Lernen und Gedächtnisbildung zuständig ist.

Neben der Hirngröße sind die Gene entscheidend

Der gewaltige Unterschied in den kognitiven Fähigkeiten ist aber nicht allein auf die Größenunterschiede zurückzuführen. Sondern auch auf die Aktivität der Gene – die sogenannte Genexpression – und deren Netzwerke.

Katja Nowick erforscht an der Freien Universität Berlin die Gehirnentwicklung der Primaten. Die Professorin für Humanbiologie will insbesondere verstehen, wie evolutionäre Veränderungen an „Genschaltern“ zu Unterschieden in der Genregulation führten.

Zu diesen Genschaltern gehören unter anderem die sogenannten Transkriptionsfaktoren. Das sind Proteine, die steuern, wann, wie oft und wie stark ein Gen (oder auch mehrere zugleich) angeschaltet werden. Das „Sprachgen“ FOXP2 zum Beispiel liefert den Bauplan für ein solches Schalterprotein, das beim Menschen die Aktivität von bis zu 1 000 Genen steuert. Schon winzige Änderungen an einem solchen Gen können deshalb weitreichende Konsequenzen haben. Bestimmte Mutationen an FOXP2 zum Beispiel führen zu einer schlechten Sprachproduktion bei Patienten und damit zu schlechter Verständlichkeit.

Je höher entwickelt ein Primat, desto komplexer die Schaltprozesse im Gehirn

Rund 2000 unterschiedliche Genschalter gibt es beim Homo sapiens. „Viele davon sind evolutionär ,sehr jung’. Sie traten erst vor 35 Millionen Jahren mit den Rhesusaffen auf und besetzen wohl Schlüsselpositionen im Gehirn. „Das könnte sich darauf ausgewirkt haben, wie sich das menschliche Gehirn später entwickelt hat“, vermutet Katja Nowick.

Je höher entwickelt ein Primat, desto komplexer auch die Schaltprozesse in seinem Gehirn. Besonders im präfrontalen Kortex unterscheiden sich die Aktivitätsmuster bestimmter Genschalter von Mensch und Schimpanse beträchtlich.

„Manche Änderungen sind so spezifisch, dass sie nur in der menschlichen Linie zu finden sind“, sagt Kaja Nowick. Mithilfe der Bioinformatik vollzieht die Biologin die kleinen, zufälligen Mutationen an den Genschaltern nach.

Doch eine simulierte Evolution kann nur Vorhersagen treffen und experimentelle Untersuchungen nicht ersetzen. Um die komplexen regulatorischen Netzwerke am lebenden Gehirn nachzuvollziehen, lassen sich bei Mäusen einzelne Gene gezielt an- und ausschalten.

Doch beim Menschen ist das weder möglich, noch wäre es ethisch vertretbar. Und so greift Katja Nowicks Team für funktionelle Studien unter anderem auf Zellkulturen zurück.

Wo hohe Radioaktivität besteht, finden sich kleine Gehirne

„Aus einer bestimmten Art pluripotenter Stammzellen züchten wir Nervenzellen von Mensch und Schimpanse so weit heran, dass regelrecht kleine Minigehirne entstehen“, erklärt Katja Nowick. „In diese Organoide aus Schimpansenzellen können wir dann menschliche Gene einbringen und prüfen, ob das dazu führt, dass die Neuronen sich etwas mehr wie menschliche verhalten. Und umgekehrt: Schimpansengene in menschliche Zellen einbringen.“

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Nervenzellen beider Spezies nicht. „Es kristallisiert sich aber heraus, dass während der Entwicklung eines menschlichen Gehirns viel mehr Neuronen-Vorläuferzellen entstehen. Und sie teilen sich auch einige Male häufiger als bei den Schimpansen.“

Dass dafür nicht nur ein Gen verantwortlich sein kann, sondern mehrere verantwortlich sein müssen, fand man bei Menschen mit Mikrozephalie heraus, also Personen, die deutlich kleinere Gehirne besitzen. Genetische Defekte oder Infektionen der Mutter mit dem Zikavirus oder dem Rötelvirus während der Schwangerschaft führen zu dieser Fehlbildung.

Noch sind längst nicht alle Gene bekannt, die die Größe des Gehirns beeinflussen. Bei einem anderen Projekt hofft Katja Nowick, auf weitere zu stoßen. „Finnische, schwedische, portugiesische und ukrainische Kolleginnen und Kollegen haben entdeckt, dass die Gehirne von Mäusen nahe Tschernobyl – dem Ort der Atomkatastrophe im Jahr 1986 – deutlich verringert sind: Dort, wo die größte Radioaktivität besteht, findet man die allerkleinsten Gehirne“, erläutert Katja Nowick. Sind diese Nager dümmer als ihre Artgenossen mit normalgroßem Gehirn? Dazu laufen gerade Verhaltensexperimente.

Analyse von Genmutationen

Das Gehirn ist das Organ mit dem größten Energieverbrauch. „Wir sehen uns deshalb auch den Stoffwechsel der Mäuse an, weil wir denken, dass er heruntergeschraubt sein muss.“ Im direkten Umfeld des havarierten Kernreaktors in der heutigen Ukraine finden Nagetiere viel weniger Futter. Vielleicht ist ihr Gehirn nur deshalb kleiner?

„Uns interessiert auch, ob es insgesamt kleiner ist oder ob dies nur bestimmte Hirnareale betrifft.“ Später soll auch die Desoxyribonukleinsäure (englische Abkürzung DNA), des Hirngewebes untersucht werden, die Trägerin des Erbguts. „Wir wollen herausfinden, wo sich Mutationen befinden, und auch, ob und wie sich die Genexpression bei Mäusen aus stark, schwach und nicht radioaktiv verseuchten Gebieten unterscheidet.“

Bei einem weiteren Projekt steht die Genaktivität bei Menschen mit kognitiven Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Autismus oder Schizophrenie im Fokus. Aus Gehirnproben, die Patienten Gehirnbanken spendeten, werden dafür zunächst einzelne Nervenzellen isoliert, dann die gesamte Ribonukleinsäure (RNA) daraus vervielfältigt und sequenziert: Wird ein Gen aktiviert und abgelesen, wird quasi eine Kopie des entsprechenden DNA-Abschnitts angelegt – in Form einer RNA.

Diese Kopie, Transkript genannt, liefert den Bauplan für ein ganz bestimmtes Protein. „Wir messen dann, wie viel von jedem einzelnen Transkript vorhanden ist und analysieren, ob sich zum Beispiel bei Alzheimerpatienten die Vielfalt der Transkripte von der bei Gesunden unterscheidet“, erklärt Katja Nowick. Sie vermutet, dass eine Verschiebung der Balance in den Transkripten letztlich für den Ausbruch von Alzheimer verantwortlich ist.

Nur beim Menschen tritt Alzheimer auf

Im Kontext der Gehirnevolution sei dieses Projekt für sie extrem spannend, sagt Katja Nowick, denn Alzheimer tritt nur beim Menschen auf und bei keinem anderen Primaten. „Ich denke, dass es menschenspezifische Änderungen in den Genen sind, die dazu führten, dass wir zwar höhere kognitive Leistungen erbringen – diese Änderungen unsere Gehirne aber auch anfälliger machen, die Balance zu verlieren.“

Es sind wohl Mutationen in den Genschaltern, die im Alter zu Alzheimer führen. Doch was ist der allererste Schritt? Das will Katja Nowicks Team bei der Analyse der Hirnproben von Menschen herausfinden, die sich bei ihrem Tod erst in ganz frühen Alzheimerstadien befanden.

Ein großes und stark vernetztes Gehirn bietet enorme Vorteile: Es hat den Homo sapiens nahezu unabhängig von der Umwelt gemacht. Während fast alle anderen Tiere in ihrem Lebensraum sehr eingeschränkt sind, kann er praktisch überall auf der Erde leben – außer unter Wasser. Dank seiner kognitiven Fähigkeiten, einem über viele Generationen angehäuften Wissen und raffinierter Technologien kann er sich an neue Situationen sehr schnell anpassen.

„Sollte sich die Umwelt in ferner Zukunft wieder einmal dramatisch verändern, und eine neue Eiszeit käme, müssten wir nicht Millionen Jahre darauf warten, bis uns wieder ein Fell wächst“, sagt Katja Nowick schmunzelnd. „Wir würden gleich entsprechende Kleidung anziehen.“

Catarina Pietschmann

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