zum Hauptinhalt
Der-Erbonkel_online.png

© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Was jeden Schmerz verschwinden lässt

Wenn’s im Rücken sticht und der Kopf fast platzt, wünscht sich wohl jeder einen Aus-Schalter für den Schmerz. Gibt es. Ein Gen. Aber das hat einen Haken.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Es gibt kaum ein erleichternderes Gefühl, als wenn der Schmerz im eingeklemmten Finger oder angeschlagenen Bein nachlässt. Wäre es nicht großartig, einfach gar keine Schmerzen zu empfinden? Etwa so, wie es sich kurz vor einer Operation anfühlt, wenn sich das Betäubungsmittel der Anästhesistin über die Armvene im Körper verteilt und man für zehn oder zwanzig Sekunden nirgendwo mehr auch nur das kleinste Zwacken spürt, bevor man wegschlummert. Ein Erlebnis, das sich so gut einprägte, dass ich mich bei einer Reihe von Operationen statt Angst zu haben sogar freute auf diese paar Sekunden völliger Schmerzfreiheit.

Das Fakir-Gen

Tatsächlich gibt es Menschen, die ohne Schmerzempfinden geboren werden. So lebte etwa in Pakistan ein Junge, der sich, im Rahmen einer „Fakir-Show“, Messer in den Arm stach und über glühende Kohlen lief, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. In dem Dorf, aus dem der Junge stammte, fand der britische Forscher Geoffrey Woods weitere sechs Kinder aus drei Familien, die von Geburt an keinen Schmerz empfanden, wohl aber Wärme und Kälte wahrnehmen konnten.

Bei allen war eine Mutation im Gen „SCN9A“ die Ursache. Den Kindern fehlte in den Membranen ihrer Schmerzsinneszellen (Nozizeptoren) ein Ionenkanal. So konnten keine Natriumionen in die Zellen strömen und das Schmerzsignal ans Gehirn blieb aus. 

Der ungeliebte Sinn

Für Patienten mit chronischen Schmerzen klingt das paradiesisch. Doch die Wahrnehmungsschwäche hat einen Haken. Der Fakir-Junge wurde keine 14 Jahre alt. Wohl aufgrund seiner fehlenden Schmerzerfahrung sprang er von einem Dach und starb an einem offenen, infizierten Knochenbruch. Auch die anderen schmerzempfindungsfrei geborenen Kinder hatten viele Narben, Kratzer und andere Blessuren.

Heiße Herdplatten, zerbrochenes Glas, der Hammerschlag auf den Daumen – Schmerz, so unangenehm er auch ist, lehrt Vorsicht vor den alltäglichen Widrigkeiten, erinnert an die Vergänglichkeit des Lebens und daran, wie kostbar Gesundheit ist.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben jeden Sonntag Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne des Wissenschaftsjournalisten und Genetikers Sascha Karberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false