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Eine Erklärung für die Mordgelüste der „Vögel“ in seinem Thriller von 1963 gab Regisseur Alfred Hitchock nie.

© imago/United Archives

Tagesrückspiegel – Heute vor 60 Jahren: Wer hat Angst vor Hitchcocks Vögeln?

In einem Thriller Alfred Hitchocks stürzen sich Vögel auf Menschen und töten sie. Erklären wollte der Regisseur das mörderische Verhalten nie. Forscher kennen den Grund.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Die Angriffe kommen aus heiterem Himmel: Im Frühjahr – Ende April, Anfang Mai – mehren sich die Berichte über plötzliche, scheinbar anlasslose Attacken von Nebelkrähen auf Passanten. Laut krakeelend fliegt Corvus cornix dann mitunter sogar Kinder auf Spielplätzen an. Zu Kontakt mit den Krallen oder Schnäbeln der Tiere komme es jedoch nur selten, so der Naturschutzbund Berlin.

Aggressives Verhalten von Vögeln gegenüber dem Menschen ist eigentlich nichts besonderes. Und hat meist Gründe. Im Fall der übergriffigen Berliner Nebelkrähen schützen die Vögel lediglich ihre etwas tolpatschigen, des Fliegens noch nicht mächtigen Jungvögel. Fallen die „Ästlinge“ vom Ast, versuchen die besorgten Elterntiere mögliche Gefahren – Fußgänger oder zu nahe spielende Kinder –fernzuhalten.

Tyrannische Piepmätze

Manche Vogelarten sind allerdings aggressiver als andere. Tyrannus tyrannus, der „Königstyrann“, tyrannisiert gewohnheitsmäßig die Nachbarschaft und legt sich sogar mit viel größeren Raben und Greifvögeln an. Als „gefährlichster Vogel der Welt“ gilt der Kasuar, ein bis zu 1,70 Meter großer und 60 Kilogramm schwerer, straußenähnlicher Vogel, dessen muskulöse Beine mit messerscharfen Krallen besetzt sind.

Unscheinbar, aber durchaus angriffslustig: Tyrannus tyrannus, der Königstyrann.
Unscheinbar, aber durchaus angriffslustig: Tyrannus tyrannus, der Königstyrann.

© Mdf, CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/ via Wikimedia Commons

So gefährlich und tödlich wie „Die Vögel“ in dem gleichnamigen Thriller von Alfred Hitchcock, der am 28. März 1963, heute vor 60 Jahren, in den USA uraufgeführt wurde, sind Vögel allerdings nicht – jedenfalls normalerweise.

Ein Kasuar, der womöglich „gefährlichste Vogel der Welt“.
Ein Kasuar, der womöglich „gefährlichste Vogel der Welt“.

© Getty Images/Mark Newman

Inspiriert hatte Hitchcock ein Vorfall an der kalifornischen Küste. Dort flog, einem Luftangriff gleich, in der Nacht des 18. August 1961 ein Schwarm Dunkler Sturmtaucher gegen Häuser und in Fenster der Kleinstadt Capitola. Tausende verendete Vögel lagen am nächsten Morgen in den Straßen.

Die Ursache entdeckten Forscher erst 2011: Algen. Schon 1991 hatte man ganz in der Nähe Capitolas verendete Pelikane aufgefunden. In ihren Mägen fand sich hochgiftige Domoinsäure, die von einer Kieselalge, Pseudo-nitzschia, gebildet wird. Offenbar hatten die Pelikane mit dem Seewasser zu große Mengen der Alge und damit des Nervengifts aufgenommen – und wohl auch die Sturmtaucher 30 Jahre zuvor. Das schloss jedenfalls ein Forschungsteam des Scripps Institutes in La Jolla nach Analyse alter Wasserproben aus dem August 1961, in dem sie hohe Konzentrationen von Pseudo-nitzschia fanden.

In Hitchcocks Thriller verhalten sich die Vögel allerdings keineswegs vergiftet, sondern agieren gezielt, als mörderischer Schwarm. Ob die beflügelten Killer als Metapher für eine geschundene, zurückschlagende Umwelt stehen, die Flugangriffe der Deutschen auf Großbritannien symbolisieren oder einfach die Urängste des Menschen vor einer unbarmherzigen Natur schüren sollten, ließ der Regisseur offen – wohl ganz bewusst: Eine simple, naturwissenschaftliche Erklärung hätte den Nervenkitzel bestimmt zunichte gemacht.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne auf der Kolumnenseite des Tagesspiegel.

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