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Der Mittelhof in Berlin-Nikolassee, der Sitz des Zentrums Moderner Orient.

© Thilo Rückeis

Warum das Misstrauen gegen internationale Gäste?: Die algerische Professorin und der türkische Doktorand mussten zu Hause bleiben

Wissenschaftlicher Austausch mit dem globalen Süden gehört zu unserem Auftrag. Doch viele Gäste kommen nie an, weil Visa verweigert werden. Ein Gastkommentar.

Stand:

In Tunesien und vielen Nachbarländern haben Menschen 2011 für die Einführung der Demokratie gekämpft. Deutsche Institutionen nahmen türkische WissenschaftlerInnen auf, die seit 2015 /16 gegen die Politik ihrer Regierung und für Meinungsfreiheit gekämpft haben. Was also liegt näher, als ProtagonistInnen aus diesen Staaten in Berlin zu einer Tagung über Konzepte von politischer Herrschaft und Partizipation im Mittelmeerraum zusammenzubringen?

Und kann es ebenso ein Fehler sein, WestafrikanerInnen zu einer Tagung über islamistische Strömungen in ihrer Region einzuladen? Immerhin gibt es in Mali einen deutschen Militäreinsatz, der genau gegen radikalisierte Islamisten kämpft. Gerade Berlin, die Stadt, deren Wissenschaftsinstitutionen auch aktuell viel investieren, um gefährdeten und geflüchteten KollegInnen etwa aus der Ukraine Zuflucht zu bieten, sollte doch dafür offen sein.

Leider sieht die Realität anders aus, wie sich erst jüngst wieder in einem von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projekt zeigte, das nur eines von vielen Beispielen ist. Dieses hat sich die Kooperation mit KollegInnen aus dem Globalen Süden dezidiert auf die Fahnen geschrieben hat, gemeinsame Tagungen sind fester Bestandteil der Programmplanung.

Von sechs Forschenden, die zu der erstgenannten Tagung eingeladen sind, wurden dreien die Visa verweigert. Einem türkischen Doktoranden wurde nicht geglaubt, dass er nur für Konferenz einreisen und danach zurückkehren wolle. Daran änderte auch das eingereichte Kapitel für den abschließenden Tagungsband nichts.

Eine Tagungseinladung? Reicht nicht als Begründung!

Eine tunesische Juristin habe angeblich nicht die nötigen Impfnachweise vorgelegt, was nachweislich falsch war. Und einer algerischen Professorin wurde kurz mitgeteilt, sie habe Zweck und Bedingungen des Aufenthalts nicht nachgewiesen. Hinzu kommt, dass die privaten Visumsagenturen, welche von den Konsulaten beauftragt werden, die Anträge vorzusortieren, den Betroffenen teils über Wochen keine Termine anboten.

Ein Porträtbild von Ulrike Freitag.
Ulrike Freitag ist Islamwissenschaftlerin und Direktorin des Leibniz-Zentrums Moderner Orient in Berlin.

© Rolf Schulten

In zwei weiteren Fällen erhielten KollegInnen erst so spät Termine, dass das Antragsverfahren nicht mehr möglich war. Ein Kollege bekam das Visum erst wenige Tage vor der Reise. Nach der konsularischen Bearbeitung brauchten die Agenturen teilweise Wochen, bis die Beteiligten ihre Pässe zurückerhielten. Telefonate und E-Mails wurden nicht beantwortet. Das hatte zur Folge, dass die Benachrichtigungen trotz mehrmonatiger Vorausplanung so kurzfristig kamen, dass Einspruch gegen die Entscheidungen oft nicht mehr möglich war.

Dabei können lokale Einsprüche durchaus erfolgreich sein, insbesondere, wenn sie von einem parallelen Einspruch der Einladenden in Berlin beim Auswärtigen Amt begleitet werden. Allerdings erfordert dies nicht nur viel Zeit von den AntragstellerInnen, sondern auch den deutschen KollegInnen sowie den BeamtInnen im Außenministerium, vor Ort ebenso wie in Berlin.

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Diese Zeit jedoch fehlt aufgrund der geschilderten Abläufe oft. Man kann sich auch fragen, ob die sehr zeitaufwändige individuelle Betreuung gut begründeter und öffentlich finanzierter Reisen tatsächlich zu den Aufgaben von WissenschaftlerInnen und hochrangigen BeamtInnen gehört. Hier gehen Arbeitszeit und somit auch Steuergelder verloren - und das immer häufiger ohne ein positives Ergebnis.

Tiefgreifende Frustration der Abgelehnten und der Einladenden

Es geht hier aber nicht nur um vergeudete Arbeitszeit. Die Misstrauenskultur in den Entscheidungsstrukturen der visumsausstellenden Institutionen und die Last-Minute-Entscheidungen zwingen häufig dazu, bereits Hotel- und Flugbuchungen zu machen, die dann, wenn in letzter Sekunde das Visum verweigert wird, nicht mehr abgesagt werden können. Erneut entsteht finanzieller Schaden – ganz abgesehen von den tiefgreifenden Frustrationen der Abgelehnten und der Einladenden.

Mehr Wissenschaftsdiplomatie forderte die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft im November 2021 von der neuen Bundesregierung. Dabei stützte sie sich auf ein Positionspapier des Auswärtigen Amtes vom Dezember 2020, das fordert, „einen freiheitlichen Rahmen der wissenschaftlichen Betätigung zu schaffen und zu schützen und Wissenschaft als notwendige Bedingung demokratischen Handelns zu fördern“.

Zwei DAAD-Stipendiatinnen aus dem globalen Süden sitzen lächelnd in einem Hörsaal.
Angekommen - bei einem Stipendiatentreffen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (an der Uni Jena, 2015).

© picture alliance/Jan-Peter Kasper/FSU

Dass dies nicht nur für andere Länder des Globalen Nordens gilt, zeigt schon die Internationalisierungsstrategie der letzten Bundesregierung, die explizit auf die Gestaltung der globalen Wissensgesellschaft gemeinsam mit Schwellen- und Entwicklungsländern verweist.

Leider scheint der Weg hierhin ausgesprochen mühsam. Und damit ist hier nicht die Kooperation mit KollegInnen aus anderen Wissenschaftssystemen gemeint, die sprachlich, institutionell und auch von den unterschiedlichen Traditionen her schon ausgesprochen voraussetzungsvoll ist. Es wäre doch zu hoffen, dass die Einladung öffentlich geförderter Wissenschaftsinstitute zusammen mit einer Kostenübernahme ausreicht, um ein Visum zu erhalten – und zwar unabhängig vom Herkunftsland.

Zu hören ist indes der Einwand, die Teilnahme an einer Tagung sei doch auch per Videolink möglich. Auch das ist falsch!Zum einen ist elektronische Kommunikation in autoritären Ländern durchaus riskant, zum anderen fehlt die informelle persönliche Kommunikation, die ein wichtiger Bestandteil wissenschaftlichen Austauschs ist.

Es geht auch darum, welche Eindrücke und Erwartungen WissenschaftlerInnen von einem Land bekommen, das sich als ein international führendes Wissenschaftszentrum versteht. Ein international renommierter tunesischer Kollege hat im vergangenen Jahr aus Protest einen Tagungsbesuch abgesagt, nachdem auch seiner Doktorandin der Besuch einer Veranstaltung in Berlin verweigert worden war. Das sind keine guten Voraussetzungen für internationale Kooperation auf Augenhöhe.

Die tunesische Wissenschaftlerin erhielt übrigens dank mehrfacher persönlicher Intervention des einladenden Instituts ihr Visum. Die algerische Professorin und der türkische Doktorand mussten zu Hause bleiben.

Ulrike Freitag

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