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Überträger. Eine Mücke sticht in die Haut. Mit ihrem Speichel gelangen die Erreger in die Blutbahn des Menschen.

© SINCLAIR STAMMERS/SCIENCE PHOTO

Tückischer Parasit: Die vergessene Malaria

Um Malaria zu besiegen, muss auch der Parasit Plasmodium vivax bekämpft werden. Doch Forscher wissen wenig über den Erreger. Dabei wurde er einst sogar als Medizin genutzt.

Er hat englische Könige ebenso geplagt wie acht US-Präsidenten, darunter George Washington und Abraham Lincoln. Er verursacht Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen und er kann Monate oder Jahre nach einer vermeintlichen Heilung zurückkehren, um den Zyklus des Elends von Neuem zu beginnen. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, vor allem in Asien und Lateinamerika, ist durch ihn gefährdet. Trotzdem hat fast niemand jemals von diesem Parasiten gehört.

Die Rede ist von Plasmodium vivax, einer von fünf Plasmodium-Arten, die Menschen infizieren und Malaria verursachen.

Wenn Forscher über Malaria sprechen, meinen sie in aller Regel eine andere Art: den Parasiten Plasmodium falciparum. Dieser verursacht beim Menschen Malaria tropica, eine Krankheit, die jedes Jahr mehr als 650 000 Menschen tötet – über 90 Prozent der Malariatoten weltweit. Die Wissenschaft hat sich auf diese „bösartige“ Malaria konzentriert. Die von Plasmodium vivax ausgelöste Malaria tertiana galt dagegen lange als „gutartige“ Form der Tropenkrankheit. Sie wurde kaum beachtet.

Das ändert sich langsam. Bei der weltweiten Bekämpfung der Malaria gibt es erste Erfolge. Bettnetze und neue Medikamente lassen die Zahl der Malariaerkrankungen insgesamt sinken. Doch weil einige der üblichen Mittel gegen Malaria bei Plasmodium vivax nicht helfen, steigt der Anteil der Malaria tertiana. Obwohl diese Krankheit weniger Menschen tötet, ist sie keineswegs harmlos. „Früher hieß es: Malaria tertiana bringt dich nicht um. Aber du fühlst dich so“, sagt Robert Newman, Chef des Malariaprogramms der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Malariaerreger plagen die Menschen seit Jahrtausenden

In ihrem Strategiepapier zum Kampf gegen Malaria, das 2015 erscheinen soll, wird die WHO erstmals einen eigenen Plan entwickeln, um gegen P. vivax vorzugehen. Strategien gegen den Parasiten seien entscheidend, um Malaria zu besiegen, sagt Richard Feachem, der an der Universität von Kalifornien in San Francisco forscht: „Die letzte Schlacht gegen Malaria ist eine Schlacht gegen Vivax.“

Malariaerreger plagen den Menschen seit Jahrtausenden. Dabei gehen sie stets nach dem gleichen Muster vor: Wird ein Mensch von einer infizierten Mücke gestochen, gelangen die winzigen Einzeller direkt vom Speichel der Tiere in die menschliche Blutbahn. Sie wandern zur Leber, dringen dort in Zellen ein und beginnen, sich zu vermehren. Tage oder Wochen später bersten tausende Nachkommen gleichzeitig aus den Leberzellen, überschwemmen das Blut und verursachen so einen Fieberschub. Im Blut kapern die Eindringlinge nun rote Blutkörperchen und wiederholen das Programm: vermehren, aus den Zellen ausbrechen, neue Zellen infizieren. Zugleich verwandeln sich einige der winzigen Einzeller in eine Geschlechtsform, die von Mücken wieder aufgenommen wird, wenn sie einen Malariapatienten stechen. In den Mücken paaren sich männliche und weibliche Geschlechtsformen und bilden Nachkommen, die in die Speicheldrüse der Mücke wandern.

In mancher Hinsicht ist P. vivax noch besser an seinen menschlichen Wirt angepasst als P. falciparum. So bildet sich die Geschlechtsform des Parasiten bereits im Blut, ehe infizierte Menschen Symptome zeigen. Das bedeutet, dass die Behandlung von Patienten einen Ausbruch nicht so leicht stoppen kann wie bei P. falciparum, wo die Geschlechtsformen im Blut zeitgleich mit dem Fieber auftreten. Und wenn die Symptome von P. vivax einsetzen, schwächen sie den Patienten zwar, sind in der Regel aber nicht tödlich, so dass sich der Parasit weiter fortpflanzen kann.

Über die Krankheit ist kaum etwas bekannt

Außerdem kann sich P. vivax in der Leber verstecken. Dann verursacht der Parasit keine Symptome und ist im Blut nicht nachweisbar, taucht aber Wochen oder Monate später wieder auf. Die immer wiederkehrenden Episoden können Blutarmut verursachen, besonders bei Kindern. Ein einziger Stich kann zu sechs oder mehr Rückfällen im Jahr führen. Jeder schwächt die Patienten und ebnet den Weg für weitere Krankheiten. Weil die Patienten nicht arbeiten können, drohen Armut und Mangelernährung. „Falciparum tötet schnell, Vivax tötet langsam“, sagt Malaria-Forscher Ric Preis von der Universität Oxford in Großbritannien.

Allmählich schenken Forscher der Malaria tertiana mehr Aufmerksamkeit. Sie stellen fest, dass kaum etwas über die Krankheit bekannt ist. Ein großer Teil der Forschung ist mehr als 50 Jahre alt. Damals war der Parasit noch in Nordamerika und Nordeuropa heimisch. Zwischen den 1920ern und 1940ern wurde P. vivax außerdem als radikale Therapie gegen Syphilis eingesetzt. „Die Malaria tertiana ist eine der wenigen Krankheiten, über die wir in den vergangenen Jahren mehr vergessen haben, als wir gelernt haben“, sagt Nick White, Tropenmediziner an der Universität Oxford. Obwohl Wissenschaftler schon in den 70er Jahren herausgefunden haben, wie man P. falciparum im Labor züchten kann, gibt es bis heute keine Möglichkeit, den Parasiten länger als ein paar Wochen zu kultivieren.

Kaum zuverlässige Zahlen

Hinzu kommt, dass es kaum zuverlässige Zahlen zur Malaria tertiana gibt. Malariafälle sind notorisch schwer zu zählen. Schließlich tritt die Krankheit überwiegend in Regionen auf, deren Gesundheitssystem unzureichend ist. Und nicht alle diagnostischen Tests können unterscheiden, ob ein Patient an Malaria tertiana oder Malaria tropica leidet. Das Malaria-Atlas-Projekt schätzt, dass 2,5 Milliarden Menschen in Gegenden leben, wo der Parasit vorkommt und wo Moskitos ihn übertragen können. Das betrifft vor allem Asien und Lateinamerika. In den USA und Europa verschwand der Erreger mit steigendem Wohlstand. Im südlichen Afrika hat der Erreger ebenfalls kaum eine Chance. Vielen Menschen dort fehlt ein Eiweiß namens Duffy-Antigen, das sonst auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzt und nötig ist, damit P. vivax in die Zellen eindringen kann.

P. vivax wird von 71 Moskitoarten übertragen, weit mehr Arten als bei P. falciparum. Weil manche dieser Tiere auch im Freien und während des Tages stechen, helfen Bettnetze und das Sprühen von Insektiziden im Wohnraum wenig. P. vivax lässt sich zwar mit Medikamenten behandeln, doch die meisten Mittel sind machtlos gegen den übelsten Trick des Parasiten: seine Fähigkeit, in der Leber zu überdauern. P. vivax kann in der Leber Hypnozoiten bilden, winzige Stadien, die sich in Leberzellen Wochen, Monate oder Jahre verstecken, bis die Bedingungen günstig sind. Kein Bluttest findet die winzigen Parasiten.

Ein neues Medikament wird getestet

Die einfachste Strategie zur Ausrottung von P. vivax in einer Region wäre, die gesamte Bevölkerung mit einem Medikament zu behandeln, das den schlafenden Erreger töten kann. So ein Mittel gibt es: Primaquin, entwickelt in den 40er und frühen 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Medikament hat zwei große Nachteile. Es muss 14 Tage lang eingenommen werden – viel verlangt von Menschen, die sich nicht krank fühlen. Und bei Menschen mit einem angeborenen Mangel an dem Enzym G6PD führt das Medikament dazu, dass die roten Blutkörperchen aufplatzen. In schweren Fällen kann das tödlich sein. Es gibt keinen einfachen, billigen Test für diese genetische Variante. Wer massenhaft Menschen behandelt, nimmt also bei einigen schwere Nebenwirkungen in Kauf. Hinzu kommt, dass Menschen mit G6PD-Mangel weniger anfällig für Malaria tertiana sind. Deshalb ist die Eigenschaft in Gegenden, in denen der Parasit vorkommt, häufiger.

Forscher hoffen nun auf ein neues Medikament namens Tafenoquin. Im November wurden die Ergebnisse einer Studie vorgestellt. 113 Patienten in Brasilien, Indien, Thailand und Peru wurden mit 300 oder 600 Milligramm des Medikaments behandelt, 90 Prozent von ihnen hatten in den folgenden sechs Monaten keinen Rückfall. Der wichtigste Vorteil von Tafenoquin: Statt einer 14-tägigen Behandlung ist nur eine einzige Tablette nötig. Eine Phase-III-Studie, der letzte Schritt bevor ein Medikament zugelassen werden kann, soll noch in diesem Jahr beginnen.

Chemisch ähnelt Tafenoquin dem alten Primaquin, und es verursacht die gleichen Nebenwirkungen bei Menschen mit G6PD-Mangel. Die Zulassung des Medikaments wird daher wohl an einen Test gekoppelt werden, der den G6PD-Mangel anzeigt. Das könnte den Einsatz des Mittels in manchen Regionen zwar einschränken. Trotzdem sei es ein riesiger Fortschritt, sagt Newman: „Tafenoquin kann eine Menge Probleme lösen.“

Die Forscher sind optimistisch

Und Forscher suchen bereits nach anderen Wirkstoffen gegen Hypnozoiten. 2008 wurde das Erbgut von P. vivax erstmals sequenziert. Das erlaubt es Wissenschaftlern, die Schwachpunkte des Parasiten zu finden. Tiermodelle und neue Methoden, den Parasiten im Labor zu züchten, helfen Forschern ebenfalls bei der Suche nach Stoffen, die die Leberstadien des Parasiten bekämpfen können.

Sangeeta Bhatia vom Massachusetts Institute of Technology bei Boston ist es gelungen, im Labor eine Art Mini-Leber zu züchten: Leberzellen, die zusammen mit Stützzellen wachsen und vier bis sechs Wochen im Labor überleben. Im Juli 2013 beschrieben Bhatia und ihre Kollegen im Fachblatt „Cell Host & Microbe“, wie sie darin Leberstadien von P. vivax und P. falciparum züchten konnten. Dabei sahen die Forscher auch kleinste Formen des Parasiten. Noch ist nicht klar, ob es sich wirklich um Hypnozoiten handelt, aber Bhatia und andere Forscher sind optimistisch.

Trotz der Herausforderungen sei er zuversichtlich, dass P. vivax auch in tropischen Regionen besiegt werden kann, sagt Feachem. Schließlich sei das auch Taiwan, Singapur und den Malediven gelungen. Vor hundert Jahren war Malaria „eine weltweite Krankheit. Sie war in jedem Land heimisch, sogar in den Regionen nördlich des Polarkreises“, sagt er. Inzwischen hätten mehr als 100 Länder Malaria eliminiert. Sie alle haben auch P. vivax besiegt. Viele dieser Siege seien zwar eng mit wirtschaftlichem Fortschritt verknüpft gewesen, sagt Feachem. „Aber wir haben diesen Krieg in den vergangenen hundert Jahren hundert Mal gewonnen.“

Gretchen Vogel arbeitet in Berlin als Korrespondentin für das Magazin „Science“. Der Text wurde von Kai Kupferschmidt aus dem Englischen übersetzt.

Gretchen Vogel

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