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Antikes Oktogon und ein Säulenhof in Gadara (Uum Qais) in Jordanien.

© Rolf Brockschmidt

Fernwasserleitung aus römischer Zeit: Ein weitverzweigtes System aus Tunneln und Zisternen über dem Jordantal

Die Stadt Gadara im heutigen Jordanien wurde einst mit einem System aus Kanälen, Wassertunneln und Zisternen versorgt. Es könnte reaktiviert werden.

Zwei Theater mit rund 3000 und 6000 Sitzplätzen, Thermen, Brunnenhäuser und Nymphäen – der Ort hatte seinen Gästen eine Menge zu bieten. Touristische Hotspots gab es schon in der Antike und dazu zählte Gadara (Umm Qays), hoch oben auf einem 350 Meter hohen Bergrücken im Nordwesten Jordaniens gelegen, nahe der Grenze zu Israel und Syrien über dem Jordantal in Sichtweite des Sees Genezareth.

Schon in hellenistischer Zeit war Gadara ein kulturelles Zentrum, bevor es seit 63 vor Christus in die Provinz Syria des Römischen Reiches eingegliedert wurde. Gadara war ein Knotenpunkt bedeutender Handelsstraßen und zog auch wegen der nahegelegenen heißen Quellen von Hamat Gader Besucher aus dem ganzen Römischen Reich an. Die stets wachsende Stadt, die auf ihrem Höhepunkt 25 Hektar umfasste (die Wohnbebauung ist bisher nur partiell ausgegraben) hatte einen enormen Wasserbedarf, der mit der Ausdehnung der Stadt stieg.

Claudia Bührig, Leiterin der Außenstelle Damaskus und Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Amman erforscht seit 2002 die Siedlungsgeschichte und damit auch die Wasserversorgung. Dass Gadara an den mit gut 100 Kilometern längsten Wassertunnel der Antike Qanat al Firaun angeschlossen war, weiß man seit Mitte der 2000er Jahre.

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Mit Hilfe von offenen Kanälen, Aquädukten und unterirdischen Kanälen (Qanaten) versorgte er Gadara unter anderem aus verschiedenen Quellen aus der Gegend um Dille in Südsyrien mit Frischwasser. Neben dieser Fernwasserleitung aus römischer Zeit brachte auch der tiefer gelegene Qanat al Turab aus späthellenistischer Zeit Wasser in die Stadt.

Die Spuren der Meißel

Bührig und ihr Team erforschen seit 2010 die nähere Umgebung von Gadara. Bei dem letzten Survey wurden auch Abschnitte des unteren und oberen Tunnels untersucht. Die Bearbeitungsspuren der Meißel sind in der Felswand zu erkennen. Ohne Vermessungsingenieure der römischen Armee, die mit Lot und Schlauchwaage gearbeitet haben, wäre das alles nicht zu leisten gewesen. Mit einem Abstand von 20 bis zu 200 Metern finden sich noch die Einstiege in Pilotstollen, man habe von zwei Seiten aufeinander zugearbeitet, erzählt Bührig.

Eine in den Fels gehauene Wasserrinne ist teilweise zugewachsen.
Wasserrinne im Umland von Gadara.

© Deutsches Archäologisches Institut / Dörte Rokitta-Krumnow

Oben sind die Tunnel meist recht schmal. Erst wenn sich zwei Tunnelabschnitte trafen, wurden sie nach unten breiter aus dem Fels gehauen, eine mühselige Arbeit bei schlechter Luft und spärlicher Beleuchtung. In den Tunnelwänden finden sich noch Nischen für Öllämpchen für die Arbeit in der Tiefe. Auch heute stellt allein schon die archäologische Untersuchung der Tunnel die Mitarbeiter:innen vor große Probleme, denn die Versorgung mit Sauerstoff in diesen Stollen ist nicht einfach.

Gadara ist seit dem 3. Jahrhundert vor Christus besiedelt. Daher stellt sich die Frage, wie die Festung auf der Bergkuppe vor der Anlage dieser Großbauwerke so mit Wasser versorgt werden konnte, dass sie einer etwaigen längeren Belagerung standhalten konnte.

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Bei den Forschungen im Stadtgebiet haben Bührig und ihr Team auf einem fünf Hektar großen Gebiet in Gadara, was der hellenistischen Kuppensiedlung entspricht, ein System von 75 Zisternen entdeckt, von denen nun 40 untersucht sind. Jede Zisterne fasst im Durchschnitt 89 Kubikmeter Wasser, die größte dokumentierte Zisterne hat einen zu bewirtschaftenden Speicherraum von etwa 445 Kubikmetern.

Ein Netz von Felsrinnen

Zudem wurde jüngst im Umland ein Netz von Felsrinnen entdeckt, über die das Regenwasser in den Wintermonaten und im Frühjahr gesammelt und von dort in die Zisternen im Umland geleitet wurde. Einige Rinnen sammelten auch das abfließende Wasser am Hang und leiteten es in das Tunnelsystem der Stadt.

Auch für die Bewässerung der Felder und den Abbau in den zahlreichen in der näheren Umgebung entdeckten Steinbrüchen brauchte man Wasser aus dem Leitungssystem von Wasserrinnen und Zisternen. Offene Wasserbecken dienten der Vorratshaltung für den täglichen Bedarf und die Tränkung des Viehs.

Mit der Ausdehnung der Stadt wurden die unterirdischen Kanäle immer weiter verzweigt – eine ingenieurtechnische Meisterleistung, wie Bührig erzählt. Das Wasser darf nicht zu schnell und nicht zu langsam fließen, ein Gefälle von 0,6 Prozent ist ideal.

In einem felsigen Gelände ist der Eingang eines Tunnels zu sehen.
Ein Tunneleingang im Umland von Gadara.

© Deutsches Archäologisches Institut / Dörte Rokitta-Krumnow

Qanat- oder Tunnelbauweisen sind auch in anderen trockenen Regionen des Mittleren Ostens bekannt, aber Gadara ist ein Sonderfall, denn ein solch weitverzweigtes System hätte sich eine Stadt dieser Größe nicht leisten können. Gadara war Teil eines Städtebundes der sogenannten Dekapolis, zu der auch das heutige Damaskus, Bosra und Amman gehörten.

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Mehrere Städte der Dekapolis scheinen sich zusammengeschlossen zu haben, um dieses aufwändige Projekt zu realisieren und dabei wurde auch die Armee der Römer mit einbezogen. Ihre Hilfe war nicht uneigennützig, die Armee hatte ein strategisches Interesse an dem Projekt. Für Bührig ist dabei wichtig, dass diese Städte trotz aller Konkurrenz in der Lage waren, sich auf dieses gemeinsame Projekt zu aller Vorteil zu einigen.

Heute kommt das Wasser in Tankwagen

Was kann man nun aus der Antike lernen? Zisternen und Wasserrinnen im Fels bestehen nach wie vor. Im Rahmen des Kulturerhaltprojekts des Auswärtigen Amtes will Bührig nun prüfen lassen, ob sich diese antike Wasserversorgungssystem reaktivieren und für die Sammlung von Regenwasser nutzen lässt. Zurzeit wird nämlich subventioniertes Wasser in Tankwagen nach Umm Qays, wie der Ort heute heißt, geliefert.

Das antike System könnte helfen, die Landwirtschaft günstig mit Wasser zu versorgen. Dazu müsste man, wie Bührig betont, die Felsrinnen und die Zisternen regelmäßig warten, an der Sohle reinigen. Die Zisternen weisen Mundlöcher auf, durch die man in die Zisterne klettern kann, um sie zu reinigen, eine nicht ganz ungefährliche Arbeit. Was damals funktioniert hat, kann auch heute noch funktionieren. Es muss nur das Wissen um das System erneuert und bewahrt werden.

Ein in den Fels gehauener Graben, der an der Oberseite mit Steinplatten abgedeckt ist und so zum Tunnel wird.
Blick in den unteren Tunnel mit Deckplatten.

© Deutsches Archäologisches Institut / Christian Hartl-Reiter

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