
© Thomas Beuthner
Eine neue Saison für die TUmate : Tomaten-Samen, die allen gehören
Die Technische Universität Berlin vergibt besondere Tomatensamen an Bürgerwissenschaftler:innen, angehende Lehrkräfte und andere Studierende. Sie experimentieren mit dem Open-Source-Saatgut.
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Demnächst wachsen sie wieder auf vielen WG-Balkonen. Rote, runde Früchte mit einem seltsamen Beinamen – Open-Source-Tomaten. Was nach Datensalat oder Cyber-Essen klingt, ist in Wirklichkeit ein Projekt der Technischen Universität Berlin für mehr Nachhaltigkeit: die TUmate.
Im vergangenen Jahr wurden ihre Samen zum ersten Mal verteilt. Zusätzlich zogen Norbert Kühn, Leiter des Fachgebiets Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung, und sein Team rund 1000 TUmaten-Pflanzen in einem Gewächshaus in Dahlem vor und vergaben sie kostenlos auf dem Vorplatz des TU-Hauptgebäudes.
„Da gab es einen großen Ansturm“, sagt Norbert Kühn. „Innerhalb von 30 Minuten waren die Pflänzchen, die wir vorbereitet hatten, vergeben.“ Seit Mitte Februar sind die Samen nun wieder im Uni-Shop und in der Mathe-Bibliothek erhältlich – solange der Vorrat reicht. Eine von zahlreichen Bürgerwissenschafts-Initiativen der Berliner Hochschulen.
Das Besondere an der TUmate: Sie verfügt über eine Saatgutlizenz der Initiative „Open Source Seeds“. Das heißt, dass jeder ihre Samen frei nutzen, vermehren und züchterisch weiterentwickeln darf. Die meisten Gemüse-Arten sind dagegen geschützt. Landwirt:innen und Gärter:innen können sie zwar aussäen, jedoch nicht weiterverwenden.
Auch Anka Wolfram, Mitarbeiterin im Service-Center der TU, ergatterte im Frühjahr 2022 zwölf Pflänzchen. Sie züchtete sie erst im Wohnzimmer in kleinen Töpfchen an und pflanzte sie dann auf den Balkon aus.
Das gelang gut. Doch dann schossen die Pflanzen mächtig in die Höhe. „Das war schön grün anzuschauen, aber letztlich hatte ich eine magere Ausbeute“, sagt sie. Nur vier Tomaten konnte sie ernten. Und das erst im Oktober. „Geschmeckt haben sie aber sehr gut“, berichtet sie. Auf der TUmaten-Homepage sind einige Erfahrungsberichte dokumentiert.
Auch in Lehrveranstaltungen spielte die TUmate eine Rolle. Angehende Lehrer:innen züchteten sie auf einem Acker in Dahlem und verglichen ihr Wachstum an unterschiedlichen Standorten und mit anderen Sorten. Erfahrungen, die sie später in Schulgärten einsetzen können.
Im Geschmackslabor der TU lernten Lehramtsstudierende, wie Forscher:innen bei wissenschaftlichen Verkostungen vorgehen, und entwickelten daraus selbst Geschmacksexperimente für den Unterricht in den Klassen 7 bis 10. Dabei beschäftigten sie sich auch mit Themen wie Verarbeitung, Zucker, Marketingeinfluss oder Konservierungsverfahren von Tomaten.
Dazu bekamen sie die TUmate mit nach Hause und tauschten sich regelmäßig über deren Wachstum aus. „Die Sorte ist nicht ganz einfach“, sagt Nina Langen, Leiterin des Fachgebiets Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft. „Aber das hat auch einen fantastischen Lerneffekt.“

© Imke Schramm
Den größten Erfolg bei der Ernte hatte ein Student, der besonders rabiat beim Ausgeizen vorging. So nennt man es, wenn die Triebe in den Blattachseln regelmäßig entfernt werden und die Pflanzen schlank nach oben wachsen. Dadurch entwickeln sie häufig bessere Früchte.
Bei der TUmate handelt es sich um eine samenechte Sorte. Man kann die Samen aus der Frucht nehmen, trocknen und wiederaussäen – so wie es Bauern traditionell gemacht haben. Über die Jahrhunderte sind auf diese Weise unzählige Sorten entstanden, die sich in Größe, Formen, Duft und Geschmack unterschieden.
Heute sind in der Landwirtschaft dagegen F1-Hybride üblich. Samen, die sich generativ nicht weitervermehren. Landwirt:innen können sie nur einmal verwenden und kaufen sie deshalb immer wieder neu ein – bei einigen wenigen Saatgutproduzenten weltweit.
Die Folge: Überall werden dieselben und vor allem besonders effiziente Sorten angebaut. Mittlerweile gibt es einige Initiativen und Saatgut-Festivals, wo Menschen Open-Source-Samen verschiedener Pflanzen austauschen, um sich so für den Erhalt der Biodiversität einzusetzen.
Auch Anka Wolfram will in diesem Jahr einen neuen Versuch mit der TUmate starten. Sollten es diesmal mehr als die vier Früchte aus dem letzten Jahr werden, will sie ihr Lieblingsgericht damit zubereiten: Tomaten-Fenchel-Mozzarella-Gratin.
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