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Der HIV-Forscher Hendrik Streeck.

© Tagesspiegel

Fachforum zum Welt-Aids-Tag: Erstmals vier HIV-Impfstoffe im Test

Trotz jahrzehntelangem Kampf gegen HIV und wirksamen Medikamenten ist die Pandemie nicht unter Kontrolle. Die Hoffnung ruht jetzt auf neuen Vakzinen.

Erstmals in der Geschichte der HIV-Forschung werden vier verschiedene Impfstoff-Konzepte gleichzeitig in Studien getestet. Darauf wies Hendrik Streeck vom Institut für HIV-Forschung der Uniklinik Bonn auf einer Veranstaltung des Tagesspiegel anlässlich des Welt-Aids-Tages hin.

Der Forscher und Arzt plädierte ausdrücklich dafür, die Bemühungen fortzusetzen, einen Impfstoff zum Schutz vor HIV-Infektionen zu entwickeln. Man solle nicht allein auf die Behandlung von Infizierten mit antiretroviralen Medikamenten (ART) und die vorbeugende Einnahme dieser Pillen (Prä-Expositions-Prophylaxe, PrEP) in Risikogruppen setzen.

Prognosen zufolge werde es ohne Impfstoff im Jahr 2070 noch immer etwa 1,6 Millionen Neuinfektionen mit HIV geben, sagte Streeck. "Aber mit einem nur 70-prozentig wirksamen Impfstoff könnten wir eine Reduktion auf 250.000 Neuinfektionen pro Jahr erreichen." Außerdem sei die Ausrottung eines Erregers bislang nur mit einem Impfstoff gelungen, etwa bei den Pocken.

Auch ökonomisch spreche alles für einen Impfstoff, der über Jahre oder sogar lebenslang wirken könne, während ART und PrEP in regelmäßigen Abständen eingenommen werden müssen und ein deutlich erhöhtes Risiko für Nebenwirkung mit sich brächten.

Vier Impfstoffe in Tests am Menschen

Dass es trotz vieler Fehlschläge grundsätzlich möglich sei, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln, habe eine Studie mit der Vakzine RV144 in Thailand 2009 gezeigt. Anfangs sei damit bei 60 Prozent der Geimpften

eine Schutzwirkung erreicht worden. Sie konnte aber nicht über das erste Jahr aufrechterhalten werden, so dass am Ende eine zu geringe Schutzwirkung von 31 Prozent erzielt wurde. Nun wird eine verbesserte Vakzine dieses Typs, HVTN 702, seit 2016 von der Pharmafirma Sanofi in der Uhambo-Studie getestet. 

Seit Anfang 2018 wird zudem im Rahmen der Imbokodo-Studie ein Impfstoff der Pharmafirma Janssen (einer Tochter von Johnson & Johnson) getestet, der alle relevanten Subtypen von HIV abdecken soll. "Erste Versuche bei Affen haben eine Schutzwirkung von 67 Prozent gezeigt", sagte Streeck. Ergebnisse der Studie, die vor allem in Südafrika durchgeführt wird, werden 2022 erwartet. Bekannt ist bislang, dass der Impfstoff beim Menschen zumindest eine vergleichbar gute Immunantwort auslöst wie bei Affen.

Eine Weiterentwicklung dieses Impfstoffprinzips wird in der Mosaico-Studie getestet. In Affen erreichte diese Vakzine 94 Prozent Schutzwirkung. Ob sich das auch beim Menschen wiederholen lässt, sei offen, aber man könne "ein wenig optimistisch sein", sagte Streeck. Der Impfstoff sei "sicher, er zeigt Immunogenität, ist langlebig, und funktioniert im Tiermodell".

Der erste Proband sei vor zwei Wochen in Texas geimpft worden. "Und wir fangen im Dezember in Polen an", sagt Streeck, dessen Institut die Studie in Italien, Spanien und Polen koordiniert. Deutschland ist aufgrund der niedrigen Neuinfektionsrate nicht beteiligt.

Die vierte Vakzine, "PrEPVacc" wird seit kurzem in Uganda, Tansania, Mosambik und Südafrika getestet. Dabei wird der Impfstoff zusammen mit den PrEP-Pillen verabreicht, die solange vor Infektion schützen sollen, bis der Impfstoff wirkt. Ergebnisse sind erst 2023 zu erwarten.

Solange es keinen Impfstoff gibt, müssen die Medikamente die Verbreitung eindämmen

Bis ein Impfstoff zur Verfügung stehe, müsse die Behandlung mit ART und die Versorgung mit PrEP intensiviert werden, betonte Streeck, denn: "PrEP wirkt." Das lasse sich etwa in den USA gut erkennen: Die Neuinfektionsraten seien in jenen Bundesstaaten gering, in denen viele Menschen die Medikamente vorbeugend und als Therapie einnehmen und damit die Virusmenge in ihrem Blut so stark reduzieren, dass die Viren nicht mehr nachweisbar sind und keine Ansteckungsgefahr mehr besteht. Wo PrEP hingegen weniger verbreitet ist, sei auch die Neuinfektionsrate höher.

Während 2005 nur zwei Millionen HIV-Infizierte mit antiretroviralen Medikamenten versorgt werden konnten, sind es mittlerweile 23,3 Millionen Menschen – 62 Prozent aller HIV-Infizierten. Doch es ist nicht zu erwarten, dass bald alle ART bekommen können, da es in einigen Ländern Zentralafrikas, Osteuropas und Asiens Länder ohne hinreichende PrEP-Versorgungsprogramme gibt. "Wenn wir nicht aufpassen, werden wir dort eine komplett neue Epidemie erleben", warnte Streeck.

Vom 90-90-90-Ziel der Vereinten Nationen sei man noch weit entfernt. Das würde heißen, 90 Prozent der HIV-Positiven zu diagnostizieren, 90 Prozent der Diagnostizierten zu therapieren und bei 90 Prozent der Behandelten die Virusmenge im Blut unter die Nachweisgrenze zu drücken, so dass sie HIV nicht mehr übertragen können. Derzeit liege man eher bei 79-72-53: 3,8 Millionen HIV-Infizierte seien nicht diagnostiziert, 7,3 Millionen Infizierte bekommen keine ART und 7,6 Millionen der Behandelten haben noch zu hohe Viruskonzentrationen im Blut.

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