Geldgeber, Geschäftspartner, eigene Firma: Forschende Mediziner verschweigen häufig mögliche Interessenkonflikte
Eigentlich sind die Regeln klar. Doch weil keine Strafe droht, steht in Fachpublikationen oft nichts über jene, die das Thema nicht nur fachlich interessiert.
Stand:
In Deutschland gibt es zahlreiche, teilweise in ihren Fachgebieten bedeutsame und führende Mediziner, die in Forschungsartikeln mögliche Interessenkonflikte nicht korrekt angeben. Werden sie mit der Problematik konfrontiert, zeigen sie zudem oft kaum Einsicht.
Zu diesem Ergebnis kommt das von dem Wissenschaftsjournalisten Hristio Boytchev geleitete Rechercheteam „Follow the Grant“ nach einer langfristigen und aufwändigen Analyse wissenschaftlicher Veröffentlichungen und Befragung mehrerer Mediziner.
Ein ausführlicher Artikel dazu erschien am Montag im Nachrichtenportal Buzzfeed Deutschland. Auch eine dazu angelegte Datenbank wurde zugänglich gemacht.
"Keine Angaben"
Die Analyse des Teams zeigt, dass Mediziner häufig ihre Verbindungen vor allem zu Pharmaunternehmen und Medizintechnik-Firmen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht angeben. Oft steht im entsprechenden Feld im Fachartikel der Vermerk „Keine Angaben“ zu lesen, obwohl Co-Autoren Verbindungen zu genau denselben Geldgebern gewissenhaft auflisteten. Teilweise geht es auch um Firmen, an denen Mediziner selbst beteiligt sind. Auf das Thema angesprochen, gaben mehrere Mediziner gegenüber „Follow the Grant“ an, es gebe diese Verbindungen zwar oder habe sie gegeben, sie seien aber für die entsprechende Publikation nicht relevant.
Daran sind nicht nur Zweifel angebracht, weil Kollegen dieselben Firmen in denselben Publikationen durchaus nennen. Vielmehr ist auch die Definition der Möglichkeit eines Interessenkonflikts eben nicht der Interpretation des Studienautors und dessen charakterlicher Selbsteinschätzung überlassen, sondern wird von medizinischen Fachjournalen recht klar definiert.
Klare Vorgaben
So fordert das „International Committee of Medical Journal Editors“ von Autoren, sie sollten „Interaktionen mit jeglichen Entitäten offenlegen, die als im weitesten Sinne relevant für die Arbeit angesehen werden könnten“. Ähnlich hat sich das Deutsche Ärzteblatt festgelegt, aus dem zahlreiche der analysierten Fachartikel stammen. Es fordert Angaben nicht nur zu konkreten Geldgebern für Studien und nicht nur zu Firmen, deren Geschäftsinteresse direkt mit dem in einer Studie untersuchten Aspekt zusammenhängen. Auch solche Firmen, die im weiteren Sinne Interesse an der Forschung haben könnten, müssten genannt werden.
Unter den befragten Medizinern sei nur einer gewesen, der die Problematik anerkannt habe, hält das Rechercheteam fest. Er sei allerdings auch derjenige, der im Vergleich mit den anderen noch am häufigsten den Anforderungen entsprechende Angaben gemacht habe.
Nur ein "guter" Vortrag ist ein guter Vortrag
Boytchev nennt gegenüber dem Tagesspiegel einen Grund für den gleichsam kreativen Umgang mit den Vorgaben: Bisher würden von Magazinen „fehlende Angaben kaum als wissenschaftliches Fehlverhalten geahndet“. Es gebe dazu aber zumindest inzwischen konkrete Überlegungen.
Interessenkonflikte von Medizinern gelten seit Jahrzehnten nicht nur als Hemmschuh des Fortschritts in Diagnostik und Therapie. Auch zahlreiche Fälle, in denen sie konkret zum Nachteil von Patienten bis hin zu Todesfällen beigetragen haben, sind bekannt. Der ehemalige Herausgeber des „New England Journal of Medicine“, Jerome Kassirer, hat dazu bereits 2005 mit seinem Buch „On the Take“ das bislang wahrscheinlich wichtigste Standardwerk veröffentlicht.
Trotz zahlreicher Initiativen und gesetzlicher Regelungen etwa bezüglich des möglichen Werts von Werbegeschenken durch Pharmaunternehmen ist das Problem offenbar nach wie vor allgegenwärtig. Einer der für die Recherche befragten Professoren etwa gab an, man werde zu gut dotierten Gastvorträgen schlicht nicht mehr eingeladen, wenn man sich zu einem Produkt der Firma objektiv – und damit eben vielleicht nicht in deren Sinn – äußere.
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