
© imago images/foto2press
Forschungsort mit bewegter Geschichte : Die Angewandte Genetik der FU Berlin ist geschlossen
Mehr als 100 Jahre wurde in einem Backsteinhaus in Berlin-Dahlem zu Zellaufbau, Züchtung und Erbgut der Pflanzenwelt geforscht. Jetzt wurde das Institut für Pflanzenphysiologie der Freien Universität aufgelöst.
Stand:
Die Freie Universität Berlin schließt einen Forschungsschwerpunkt mit einer langen, wechselhaften Geschichte: die Angewandte Genetik, die zum Institut für Biologie gehörte. Thomas Schmülling, der den Fachbereich leitete, teilte dem Tagesspiegel zum laufenden Wintersemester mit, die FU habe „keine inhaltlich passende Professur“ mehr für die Fortsetzung vorgesehen.
Schmülling ist pensionierter Professor für molekulare Entwicklungsbiologie der Pflanzen. Seine Professur werde zwar nachbesetzt, aber neu ausgerichtet und in der Ökologie angesiedelt. Eine zweite Professur, die ein ehemaliger Kollege innehatte, wird laut Schmülling zwar fortgesetzt, aber in die Pflanzenphysiologie, also in ein anderes Institut, verschoben.
Das Backsteinhaus im Albrecht-Thaer-Weg in Berlin-Dahlem gilt als Nachfolger des 1914 gegründeten „Institut für Vererbungsforschung“, das ab 1922 zur Königlich-Preußischen Hochschule gehörte. Gegründet hatte diese Erwin Baur (1875–1933), Botaniker, Arzt und ein wichtiger Genforscher der Jahrhundertwende. Baur teilte allerdings auch biologistische und rassistische Weltbilder.
So gab er Zeitschriften über „Rasse und Volk“ und „Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ mit heraus und arbeitete er an einem Standardwerk zur sogenannten „Rassenhygiene“ mit – mit der die Nationalsozialisten später ihren Massenmord an den Juden begründen sollten. Baur soll 1933, bevor er starb, auch begrüßt haben, dass die Nationalsozialisten an die Macht kamen.
In dieser Zeit habe dort man auch begonnen, die Mendelschen Regeln, die die Vererbung von Merkmalen erklären, auf die Pflanzenzucht in Deutschland anzuwenden, sagt Schmülling.
Seit den 1950er wurden am nun geschlossenen Berliner Institut für Angewandte Genetik dann unter anderem Neuzüchtungen von Getreide erprobt. Seit 1972 gehörte es zur Biologie der Freien Universität.
Heute forsche seine alte Arbeitsgruppe etwa zum Wachstumshormon Cytokinin, „das den Ertrag der Pflanzen reguliert“, erklärt der Genetiker Schmülling. Per Gen-Schere werde erprobt, wie es zum Beispiel Raps und Gerste verändert. Aktuell liefen dazu noch Feldversuche in der Schweiz.
Bei der molekularen Pflanzengenetik handelt es sich um Grundlagenforschung: allerdings mit der Perspektive, in der Zucht angewendet zu werden, um den Anbau zu verbessern und der Landwirtschaft zu helfen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: