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Die internationale Recherche deckt die dunkle Seiten der deutsch-chinesischen Forschungszusammenarbeit auf.

© imago/Xinhua

Update

Fragwürdige Zusammenarbeit: China baut offenbar eigenes Militär mit deutscher Forschung aus

Entschlüsselungstechnik und digitale Verfolgung: China nutzt deutsche Forschung fürs Militär, so eine internationale Recherche. Berliner Unis verweisen auf Kontrollmechanismen.

Chinas Militär kooperiert im großen Umfang mit europäischen Wissenschaftler:innen, um seine Armee mit neuem Wissen auszubauen. Das zeigt eine internationale Recherche mit dem Titel „China Science Investigation“ unter der Beteiligung von Correctiv, der Süddeutschen Zeitung und neun weiteren Medien.

Bei rund 350 wissenschaftlichen Veröffentlichungen unter deutscher Beteiligung haben demnach Forschende mit chinesischen Kolleg:innen aus Militäreinrichtungen zusammengearbeitet. Es geht um den Zeitraum zwischen Januar 2000 und Februar 2022.  Deutschland steht bei der Anzahl dieser Studien in Europa an zweiter Stelle – nur übertroffen vom Vereinigten Königreich mit etwa 1400 Studien und gefolgt von den Niederlanden mit 288 Untersuchungen.

In ganz Europa stießen die Journalist:innen auf etwa 3000 solcher Fälle. Die Forschenden und Hochschulen in Deutschland hätten „teils bewusst“ ignoriert oder in Kauf genommen, dass die Untersuchungen den Ausbau der chinesischen Armee förderten – weil die Projekte Prestige, Geld oder Karrierechancen geboten hätten.

48 deutsche Hochschulen und Institute hat das Rechercheteam ausfindig gemacht, die trotz möglicher Nähe zum Militär mit akademischen Einrichtungen in China zusammenarbeiten. Dazu zählen Institute der Max-Planck-Gesellschaft, die Ruhr-Universität Bochum und die Technische Universität Berlin.

Einige deutsche Hochschulen hätten zum Beispiel aktiv mit der chinesischen Hochschulvereinigung „Seven Sons of National Defence“ kooperiert – obwohl diese besonders eng mit der chinesischen Volksbefreiungsarmee verbandelt ist. Die meisten Publikationen erschienen in den Bereichen Informatik, Physik und Werkstoffkunde, gefolgt von Kernphysik, Künstlicher Intelligenz und Lasern.

Neue Überwachungstechniken für den chinesischen Staat?

Die deutsch-chinesischen Forschungsarbeiten brachten unter anderem neue Erkenntnisse zu Ver- und Entschlüsselungstechnik, Roboternavigation oder zur digitalen Verfolgung von Personengruppen.

Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee sind bei einer Übung auf einer Station in Hong Kong zu sehen.
Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee sind bei einer Übung auf einer Station in Hong Kong zu sehen.

© Reuters/Tyrone Siu

Dafür haben Forschende der Universität Bonn, der Universität Stuttgart und dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung mit der militärischen Spitzenuniversität „National University of Defence Technology“ zusammengearbeitet. Sie spielt eine Schlüsselrolle in Chinas Militärforschung und arbeitet auch an Hyperschalltechnik oder Supercomputern.

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Heikel ist das Teilen dieser neuen Erkenntnisse nicht nur, weil Chinas Militär deutsches Wissen nutzt – sondern auch, weil der chinesische Staat seit Jahren massiv Menschenrechte verletzt. Besonders betroffen ist die Provinz Xinjiang, wo die Minderheit der Uigur:innen mit überwiegend muslimischem Glauben lebt.

Dort haben die Behörden in den Städten einen massiven Überwachungsapparat erschaffen, Uigur:innen zwangsweise in Umerziehungslager gesteckt und sie offenbar auch foltern lassen. Die Europäische Union hat nach Bekanntwerden der Menschenrechtsverletzungen Sanktionen gegen Verantwortliche in China verhängt, sie gelten noch bis Ende des Jahres.

Mitglieder der uigurischen Gemeinde zeigen Fotos ihrer gefangen genommenen Verwandten in China bei einer Pressekonferenz in Istanbul.
Mitglieder der uigurischen Gemeinde zeigen Fotos ihrer gefangen genommenen Verwandten in China bei einer Pressekonferenz in Istanbul.

© AFP

Die Gefahr ist also real, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit auch den chinesischen Repressionsapparat stärkt – unter anderem durch neue Erkenntnisse in der Entschlüsselungstechnik und der digitalen Verfolgung von Personengruppen.

Auf den ersten Blick können die angeprangerten Studien unscheinbar wirken, weil ihre Ergebnisse zivilen Zwecken nutzen können. Allerdings handelt es sich nach Einschätzung befragter Fachleute um Fälle, in denen auch das Militär profitieren kann. Dann ist von sogenannten „Dual Use“-Anwendungen die Rede.

Die Zusammenarbeit seiner Hochschule mit der militärischen Spitzenuniversität „Harbin Institute of Technology“ hält Thomas Hofmann, Präsident der Technischen Universität München, für „nichts Anrüchiges“, erklärte er gegenüber dem internationalen Rechercheteam. Viele Innovationen seien gleichzeitig zivil und militärisch nutzbar. „Da ist keine scharfe Trennung möglich.“ Von der Forschung würden „Gesellschaften auf der ganzen Welt“ profitieren.

TU Berlin verweist auf Zivilklausel

Von den Hochschulen der Region Berlin-Brandenburg kooperiert die TU Berlin aktiv mit sieben militärischen Spitzenuniversitäten, die FU Berlin unterhält nach eigenen Angaben entsprechende Kooperationen. „Die TU Berlin, ihre Hochschulleitung wie auch die Forschenden sind sich der Tragweite des Themas bewusst“, sagte TU-Sprecherin Stefanie Terp dem Tagesspiegel. „Die TU Berlin hat sich in ihrer Zivilklausel und in ihrem Leitbild eindeutig dafür positioniert, rüstungsrelevante Forschung nicht zuzulassen“, so Terp. 

Gleichwohl bestehen Kooperationen mit chinesischen Hochschulen: mit den sieben militärischen Spitzenuniversitäten (Seven Sons) in den vergangenen Jahren mindestens sieben Forschungsvorhaben, von Maschinenbau über Luft- und Raumfahrt bis Energietechnik. Die Kooperationen mit chinesischen Institutionen bestünden auf dem Grundsatz der weltoffenen Universität und Forschungsfreiheit.

Fast 50 deutsche Hochschulen arbeiten auf fragwürdige Weise mit chinesischen Militäreinrichtungen zusammen.
Fast 50 deutsche Hochschulen arbeiten auf fragwürdige Weise mit chinesischen Militäreinrichtungen zusammen.

© dpa

Im Gegensatz zu anderen großen technischen Universitäten in Deutschland hatte sich die TU Berlin 1991 eine Zivilklausel gegeben. Antragsteller von Forschungsprojekten müssen erklären, dass betreffende Projekte nicht militärischen Mitteln dienen. Von der TU-internen Forschungsförderung werden keine Mittel für rüstungsrelevante Forschung bereitgestellt.

Eine zentrale Kommission für Ethik in der Forschung (KEF) prüfe und bewerte zudem Forschungsvorhaben – über die gesetzlichen Vorgaben hinaus – auf die ethische Vertretbarkeit und bewertet die Vereinbarkeit von Forschungsvorhaben mit der Zivilklausel der TU Berlin.

Auch die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) hat sich Ethik-Leitlinien gegeben, die Forschung zu militärischen Zwecken grundsätzlich ausschließen und besondere Sorgfaltspflichten mit Blick auf Dual Use festlegen. „Neben den vielerlei positiven Aspekten internationaler Zusammenarbeit sind wir uns möglicher Risiken bewusst“, so eine Sprecherin. 

Keine Menschenrechtsverletzungen dulden

Die Humboldt Universität unterhält „als exzellente und renommierte Universität“ auch internationale Kontakte mit chinesischen Universitäten, so HU-Sprecher Hans-Christoph Keller, darunter allerdings keine mit den sieben militärisch ausgerichteten Universitäten von den Seven Sons. Auch gebe es keine direkte Finanzierung aus China. „Selbstverständlich ist sich die HU des Risikos seit langem bewusst, das in der Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen autokratischer Gesellschaften besteht.“

Auch die Freie Universität Berlin und ihre Forschenden sind „für problematische Aspekte der Kooperationen mit Institutionen in aller Welt“ sensibilisiert, sagte FU-Sprecher Carsten Wette dem Tagesspiegel. Seit Anfang dieses Jahres besteht ein China-Beirat an der FU, der sich um Kooperationsprojekte und institutionelle Partnerschaften mit China kümmert und Empfehlungen an das Präsidium der Hochschule gibt.

Die FU  kooperiert strategisch mit der Peking-Universität, die nicht zu den Seven Sons gezählt wird. Eine direkte (Anschub-)Finanzierung aus China erhält die Uni   im Zusammenhang mit einer Professur des Konfuzius-Instituts an der FU. Davon, dass Forschende der Hochschule an Kooperationen mit dem chinesischen Militär beteiligt wären, habe man  keine Kenntnis, so Wette. 

FU hat Dual Use auf der Agenda

Drittmittelfinanzierung müssen in der FU grundsätzlich  vorab angezeigt werden. Die Forschenden würden auch in Publikationen darauf hinwiesen, wann Forschung sicherheitsrelevant ist, und was beispielsweise rund um das Thema Außenhandel im wissenschaftlichen Kontext wichtig ist. Dem Thema „Dual Use“ hatte die FU im vergangenen Wintersemester eine ganze öffentliche Vorlesungsreihe gewidmet.

FU-Sprecher Wette verweist auch darauf, dass die Hochschule 2021 ein Dokument zur Wissenschaftsfreiheit erstellt habe, das Selbstauskünfte der Wissenschaftler:innen zu Projekte in einem sicherheitsrelevanten Bereich und  bei Kooperationen mit Institutionen in autoritären Staaten vorsehe.

Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg unterhält Kooperationen im Bereich des Studierendenaustauschs mit acht chinesischen Hochschulen. Dabei gebe es keine militärischen Forschungszwecke, so die BTU.

Zudem habe man sich die BTU dem Ehrenkodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG („Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“) verpflichtet: „Sie duldet keine Menschenrechtsverletzung und unterstützt in jeder Hinsicht die akademische Freiheit, nicht jedoch militärische Forschung“, so eine Sprecherin gegenüber dem Tagesspiegel. 

Besonders häufig erschienen deutsch-chinesische Studien in den Fachbereichen Informatik, Physik und Werkstoffkunde.
Besonders häufig erschienen deutsch-chinesische Studien in den Fachbereichen Informatik, Physik und Werkstoffkunde.

© imago

Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) unterhält eine Kooperation mit der Sichuan International Studies University in Chongqing im Bereich der Germanistik, die sich weitgehend auf Studierendenaustausch beschränke. Wie alle Partnerschaften würden auch die mit chinesischen Einrichtungen intensiv vorab geprüft. „Auch darauf ist es zurückzuführen, dass der Umfang der Kooperationen derart gering ist“, sagte eine Sprecherin.

Risikobewusstsein in Potsdam

Die Universität Potsdam unterhält aktuell keine aktiven, direkten Institutskooperationen oder sonstige Leistungsbeziehungen zu chinesischen Hochschulen. „Innerhalb der Universität Potsdam existiert das notwendige Risikobewusstsein hinsichtlich der außenwirtschaftlichen Relevanz der eigenen Forschungstätigkeit“, so eine Sprecherin. Aus diesem Grund werde eine Richtlinie etabliert, um die Einhaltung aller außenwirtschaftsrechtlichen Vorgaben, Sanktionsvorschriften und Embargolisten sicherzustellen. Dabei gehe es insbesondere um die Überprüfung von Kooperationspartnern und Drittmittelgebern vor einem Projektbeginn. 

Auch die Forschenden selbst würden in den Prüfprozess eingebunden und entsprechend fortgebildet. Dazu habe es erst kürzlich eine uniweit angebotene Schulung zum Thema „Exportkontrolle in der Wissenschaft“ gegeben.  „Nicht zuletzt befasst sich auch die Ethik-Kommission der Universität Potsdam mit Fragestellungen zum möglichen Einsatz von Forschungsergebnissen für nicht friedliche Zwecke“, hieß es.

Keine klaren Regeln für militärische Forschung

Klare Regeln und Sanktionen bei militärischer Forschung an Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen gibt es bislang nicht. Jens Brandenburg (FDP), Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), erklärte, dass Risiken aufmerksam beobachtet würden, „die im Zusammenhang mit Forschungsspionage und ungewolltem Technologieabfluss stehen.“ Das BMBF poche auf die Unabhängigkeit der Hochschulen und setzte auf „Sensibilisierung“.

Kai Gehring, Wissenschaftsexperte der Grünen Bundestagsfraktion hält es vor den Herausforderungen der Gegenwart für sinnvoll, wissenschaftlich mit China zu kooperieren und Kanäle des Austauschs offenzuhalten. „Dabei aber zugleich vorsichtig und reflektiert zu agieren, um deutsche und europäische technologische Souveränität zu schützen und unseren Wertekompass zu verteidigen“, sagte Gehring.

Denn Chinas offensive Militärpolitik - insbesondere gegenüber seinen Nachbarn im südchinesischen Meer - ist allen bekannt und dies macht manche Kooperationen im Sicherheits- und Forschungsbereich unmöglich.“

Deutsches Interesse sei es, vor Knowhow-Spionage und unfairen Kooperationen genauso zu schützen wie vor Repressalien gegen die Freiheit von Wissenschaftler:innen: „Weder Blockbildung noch Blauäugigkeit sind Rezepte für globale Wissenschaftskooperationen.“

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