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Im Berliner „Begegnungschor“ singen Alteingesessene und Geflüchtete Lieder aus allen Kulturen.

© Thilo Rückeis

Geflüchtete in der Kunst und an Unis: Integrieren, ohne sie zum "Projekt" zu machen

Wie können Kunstbetrieb und Unis Geflüchtete einbeziehen, ohne sie zu vereinnahmen? Bei einer Diskussion der American Academy wird für "kulturellen Pluralismus" plädiert.

Was kommt nach der Willkommenskultur? Die Wege, auf denen Geflüchtete seit 2015 zu Hunderttausenden nach Deutschland kamen, sind größtenteils versperrt. Niemand steht mehr am Bahnhof, um Neuankömmlinge mit Applaus und heißem Tee zu begrüßen. Das Engagement von Ehrenamtlichen hat sich individualisiert. Heute wird vielfach gefordert, Neuzuwanderer – über die Unterbringung, Fürsorge und Hilfe zur beruflichen Integration hinaus – in die Netzwerke der Alteingesessenen einzubeziehen.

Wie dies im Kunstbetrieb und an Hochschulen gelingen kann, wurde jetzt in der Staatsbibliothek zu Berlin diskutiert. Eingeladen hatte die American Academy ins Haus an der Potsdamer Straße. Mit dem neuen Format öffentlicher Podien zur Thematik von Migration und Integration will sich die Academy künftig häufiger „in die Stadt hineinbegeben“, kündigte ihr Präsident Michael P. Steinberg an.

Absage an den amerikanischen Melting pot

Academy-Fellow Josh Kun, Professor für Kommunikationswissenschaft und Experte für Popmusik an der University of Southern California, warf gleich ein Schlaglicht auf seine Heimat: „In den USA existiert die Willkommenskultur allein in den öffentlichen Bibliotheken: Sie fragen nicht nach Ausweispapieren.“ Kun hält mit dem jüdisch-amerikanischen Philosophen Horace Kallen (1882-1974) das Bild des US-amerikanischen „melting pot“ (Schmelztiegel) für verfehlt. „Der Melting pot war immer die Assimilation an eine singuläre Rasse“, sagt Kun. Er plädiert für das Gegenmodell eines „kulturellen Pluralismus“ und sucht über die Musik Wege, „Dinge zu mischen, ohne das andere auszuradieren“. Ein Ansatz seines „popular music project“ in Los Angeles ist es, den Beitrag lateinamerikanischer Zuwanderer zur amerikanischen Popkultur sichtbarer zu machen.

Geflüchtete in den Kunstbetrieb oder an der Uni „einzubeziehen“, ist indes weniger unkompliziert als anfangs gedacht. Zu warnen sei davor, Geflüchtete „zu Projekten und Objekten“ zu machen, sagte Jörg Heiser, Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der UdK. Die gute Absicht junger Künstler, „Kunst mit Flüchtlingen“ machen zu wollen oder die Bitte von Forschenden um „Flüchtlinge für unsere Studien“ wiesen Initiativen wie „Moabit hilft“ zu Recht zurück. „Wir dürfen Menschen nicht in Schubladen stecken“, appellierte Heiser. Integration in den Kunstbetrieb sei dann gelungen, wenn etwas völlig Unerwartetes entsteht.

"Afrikanische Kunst", die aussieht wie aus dem Berliner Atelier?

„Mechanismen von Sichtbarkeit und Exklusion“ sind es auch, die Julia Grosse interessieren. Sie ist Chefredakteurin des britischen Online-Magazins „Contemporary And“ (C&), das über Kunst aus Afrika berichtet, ohne die Herkunft im Titel zu führen und „ohne Labelling, Erwartungen und Stereotype“. Denn wie „afrikanisch“ sei die Kunst eines jungen Senegalesen, die so aussieht, als ob sie aus einem Berliner Atelier stammt, fragte Grosse.

Und wie sieht Integration aus, die nicht auf Assimilation zielt? Beispielgebend war hier das private Bard College mit Sitz in Pankow, das Stipendien an bislang 17 Geflüchtete vergeben hat. Entwickelt wurde ein neues Curriculum zur Zwangsmigration, etwa mit einem „kreativen Geschichtsseminar“, in dem Studierende individuelle Migrations-Geschichten recherchieren, berichtete Bard-Professorin und Dekanin Kerry Bystrom.

Wie viel noch zu tun ist, zeigte der Beitrag von Zaher Alshamy, syrischer Doktorand in der Veterinärmedizin der Freien Universität. Schmerzlich vermisst er Promotionsstipendien für Geflüchtete. Und die Anerkennung seines Abschlusses aus Damaskus, die es ihm ermöglichen würde, seinen Lebensunterhalt als Tierarzt zu verdienen.
Über weitere Termine der öffentlichen Podien zu Migration/Integration informiert die American Academy auf ihrer Homepage.

Ein aktuelles Porträt von Ran Ortner, Maler und derzeit Fellow der American Academy, verfasst von Muhamad Abdi lesen Sie hier.

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