
© NRW-Stiftung, Neandethalmuseum/LARS LANGEMEIER
Happy birthday, Lucy!: Die Entdeckung unserer berühmtesten Vorfahrin
Es gab viele spektakuläre Entdeckungen versteinerter Überreste von Frühmenschen. Aber keine davon war so bahnbrechend wie der Fund von „Lucy“ vor 50 Jahren.
Stand:
Wann die frühmenschliche junge Frau genau geboren worden war, ist unbekannt. Die Entdeckung ihrer versteinerten Knochen ist dagegen genau dokumentiert: Am 24. November 1974 fanden der US-Paläoanthropologe Donald Johanson und sein Kollege Tom Gray bei Ausgrabungen im ostafrikanischen Afar-Dreieck einen in der Erde liegenden versteinerten Unterarmknochen. Kurz danach fand er weitere Knochenreste, insgesamt 47 Teile des Skeletts der Frau, die rund 3,2 Millionen Jahre nach ihrem Tod als „Lucy“ weltbekannt wurde.
„Lucy war 1974 das vollständigste jemals entdeckte Skelett eines frühen Homininen“, erläutert Tracy Kivell, Direktorin am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Jedes Fossil ist ein Glücksfall“, sagt Ottmar Kullmer, Leiter der Abteilung Paläoanthropologie am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main. „Aber dieser Fund war wie ein Sechser im Lotto.“
Unter Hyänen und Elefanten
Heiß, staubig, trocken: Die Tiefebene des Afar-Dreiecks, das heute größtenteils zu Äthiopien gehört, ist unwirtlich und blieb lange unerforscht. Das Gebiet ist Teil des Ostafrikanischen Grabens mit seinen tektonischen Verwerfungen. Hier liegen teils Millionen Jahre alte Fossilien dicht an der Erdoberfläche.
Der französische Geologe Maurice Taieb erkundete um 1970 die stark erodierte Hadar-Formation im Süden des Dreiecks. Er lockte Johanson in das Gebiet, in dem außerordentlich viele Säugetierfossilien zu finden waren: etwa von Elefanten, Flusspferden, Antilopen, Affen, Pferden, Hyänen und Nagetieren.

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Denn vor Millionen von Jahren erstreckte sich hier eine Fluss- und Seenlandschaft, mit Galeriewäldern in den Uferbereichen, berichtet Kullmer. Günstige Lebensräume für die zahllosen Säugetiere und auch, wie sich noch zeigen sollte, Hominine, also Ahnen und Verwandte des heutigen Menschen.
„Es schien ein vielversprechendes Gebiet, um nach frühen menschlichen Vorläufern zu suchen“, schrieb Johanson mit seinem äthiopischen Kollegen Yohannes Haile-Selassie kürzlich im Magazin „Scientific American“. Sollte man dort Fossilien von Homininen finden, „könnten sie zu unserem Verständnis der Entstehung von Menschen beitragen“.
Eine junge Erwachsene
Schon 1973 machte Johanson den ersten spektakulären Fund: ein etwa 3,4 Millionen Jahre altes Kniegelenk. Es belegte, dass damalige Hominine schon aufrecht gingen. Die eigentliche Sensation, die Überreste von Lucy, folgten dann ein Jahr später.
Ein solcher Fund ist eine absolute Seltenheit in einer Disziplin, die Erkenntnisse oft aus einzelnen Zahn- und Knochenfragmenten ableiten muss. Lucys Körper war damals offenbar schnell von Ablagerungen abgedeckt und konserviert und zudem nicht von Wasser weggetragen worden. Heute weiß man, dass Lucy vor knapp 3,2 Millionen Jahren lebte. Zum Vergleich: Der moderne Mensch Homo sapiens tat vor etwa 300.000 Jahren auf.
Möglicherweise wäre der Fund nie so berühmt geworden, wäre man bei der wissenschaftlichen Bezeichnung „A.L.288-1“ geblieben. Die Abkürzung AL steht für Afar locality. Doch beim abendlichen Feiern des sensationellen Erfolgs spielte das Team immer wieder den Beatles-Song „Lucy In The Sky with Diamonds“, und daraus resultierte der eingängige Name „Lucy“.
Lucy war ein deutlich älteres Bindeglied in der Ahnengalerie des Menschen als alle Funde zuvor. Zudem enthüllte sie weitreichende Erkenntnisse zu der auf den Namen „Australopithecus afarensis“ getauften Art.
Lucy war vermutlich eine junge erwachsene Frau, etwa 1,10 Meter groß und gut 30 Kilogramm schwer. Mit einem Volumen von 388 Kubikzentimetern hatte ihr Gehirn nur grob ein Drittel der Größe des heutigen Organs moderner Menschen mit um 1.250 Kubikzentimetern. Es entspricht damit etwa der Größe bei heutigen Schimpansen.

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Wichtig war der auf Knochenanalysen vor allem des Beckens beruhende Nachweis, dass Lucy auf zwei Beinen lief: Zusammengenommen bedeutete dies, dass menschliche Vorfahren schon damals aufrecht gingen, und dass das deutliche Gehirnwachstum erst später folgte.
Nach der Entdeckung von Lucy fanden Grabungen in der Hadar-Region, aber auch in Tansania, Kenia und im Tschad Dutzende von Artgenossen: 1976 an einem Ort etwa 240 Knochenreste, die zu insgesamt 17 Individuen unterschiedlichen Alters gehören. Diese „first family“ lebte etwa zur gleichen Zeit wie Lucy. Ähnlich spannend sind Funde vieler anderer Homininen-Arten: Sie zeigten, dass verschiedene Hominine gleichzeitig gleiche Gebiete bewohnten.
Ungeachtet der vielen Erkenntnisse bleiben viele Fragen offen: Benutzte Australopithecus afarensis bereits Werkzeuge? Möglich sei dies durchaus, sagt Kullmer, denn in Ostafrika gab es einfache Steinwerkzeuge schon vor mehr als drei Millionen Jahren. Ob Lucys Artgenossen direkte Vorfahren des Menschen sind, weiß niemand. „Aber zweifellos ist diese Spezies eine Schlüsselart in der Geschichte“, betont Kullmer.
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