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Unkontrollierte Entsorgung: Strand auf Bali

© IMAGO/NurPhoto/Muhammad Fauzy

Historische Chance auf einen Plastikpakt: In Genf entscheidet sich, ob die Welt weiter im Müll versinkt

Neun Milliarden Tonnen Plastik hat die Menschheit bislang produziert. Jetzt ringen in Genf die Staaten um ein Abkommen gegen die Plastikflut. Es könnte gelingen.

Birgit Herden
Ein Kommentar von Birgit Herden

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Um zu begreifen, worüber die Vertreter von 184 Staaten derzeit in Genf verhandeln, hilft ein Blick in den eigenen gelben Müllsack. Getränkekartons, Aufschnitt-Verpackungen, Kosmetik-Tuben, Joghurtbecher, Folien aller Art. Die Spuren eines guten Lebens, all die praktischen Produkte, gekauft mit schnellem Griff, gesammelt im rührigen Bemühen um eine bessere Welt.

Doch das funktioniert nicht wirklich. Die perfekte Verpackung ist oft ein raffiniertes Konstrukt aus verschiedenen Materialien. Und so lassen sich aus dem verschmierten Durcheinander oft keine neuen Produkte gewinnen, zumal der Grundstoff Erdöl noch immer billig sprudelt.

Ein Teil des Plastikmülls wird in Deutschland daher verbrannt, ein anderer in alle Welt verschifft. Letztlich landet unsere Wurstverpackung vielleicht in Malaysia, in Thailand oder in der Türkei. Beim Plastikmüll ist Deutschland zwar nicht Exportweltmeister, liegt aber nach Japan und den USA auf einem unrühmlichen Platz drei.

Mehr als unvorstellbare neun Milliarden Tonnen Plastik hatte die Menschheit seit 1950 produziert. Die Hälfte davon ist erst seit 2004 dazugekommen, die Produktion nimmt weiter Fahrt auf. Die Hälfte des weltweiten Plastikmülls wird auf Deponien gekippt. Ob er nach 100 oder 500 Jahren verrotten wird, weiß niemand so genau.

Schlimmer noch: 22 Prozent aller Kunststoffe werden unkontrolliert entsorgt. Die Plastikflut vermüllt Flüsse und Strände, bildet riesige Treibinseln im Meer. Vermahlen zu Mikroplastik sammeln sich die Kunststoffe in unzähligen Organismen an oder werden bis hin zur Antarktis verweht.

Mikroplastik in Hirn und Lunge

Auch der menschliche Körper gerät zur Deponie. Mikroplastik befindet sich inzwischen in unseren Herzen, in unseren Lungen, in der Blutbahn, im Gehirn, in der Plazenta und in der Muttermilch. Was es dort bewirkt, welchen Einfluss es auf entzündliche Prozesse oder hormonelle Regelkreise hat, wird noch erforscht.

Weil diesen Irrsinn eigentlich kein vernünftiger Mensch wollen kann, treffen sich seit Dienstag Vertreter von mehr als 180 Ländern in Genf. Sie sollen eine Lösung finden für das Problem Plastikmüll.

Denn wie bei allen globalen Problemen kann eine echte Lösung nur in einem weltweiten Abkommen bestehen. Wenn die EU ihren Bürgern Flaschen zumutet, von denen man die Verschlüsse nicht mehr lösen kann, dann ist das schön für die europäischen Küsten, wo künftig weniger Plastikdeckel herumliegen werden. Das ist aber nur die Spitze des Müllbergs.

Ein ambitionierter Plan

Seit 2022 gibt es daher Versuche, ein weltweites Abkommen gegen Plastikverschmutzung auszuhandeln. Die Standards für recyclingfähige Produkte sollen verbessert werden, besonders problematische Einwegprodukte sollen ganz verschwinden. Vorgaben für die Abfallwirtschaft und Kreislaufwirtschaft sollen die Plastiklecks in die Umwelt stopfen. Zudem – und hier wird es besonders schwierig: Die Menschheit soll insgesamt weniger Kunststoffe herstellen und verbrauchen.

Es verwundert nicht, dass bislang fünf Verhandlungsrunden gescheitert sind. Eine Koalition ambitionierter Länder, darunter auch die EU, stößt auf den Widerstand der erdölproduzierenden Länder, die von der Plastikschwemme am meisten profitieren. Zehn Tage sollen die Verhandlungen dauern, nach den vielen gescheiterten Versuchen gelten sie als vorerst letzte Chance auf ein Abkommen.

Dass US-Präsident Donald Trump das Verbot von Plastik-Trinkhalmen in den USA per Dekret wieder aufgehoben hat, stimmt nicht gerade optimistisch. Doch immerhin sind die USA aus den Verhandlungen bisher nicht wieder ausgestiegen.

Zehn Tage werden die Interessensvertreter ringen in einem uralten Zwist: Können sich alle ein Stück weit einschränken, damit die Welt eine Zukunft hat? Das Dilemma besteht, seit die ersten Viehhirten ihre Tiere auf eine gemeinsame Weide schickten, und diese zu schnell kahl gefressen wurde.

Ungleich komplexer besteht der Konflikt bis heute fort. Und doch gab es in der Geschichte bereits Momente der Klarsicht und des Verantwortungsbewusstseins: Das Ozonloch wurde dank eines internationalen Abkommens geschlossen.

Und so sind auch die Tage in Genf eine historische Chance. Denn jede gemeinsame Absichtserklärung, selbst wenn sie rechtlich nicht einklagbar ist, wäre zumindest ein kleiner Schritt in eine hoffnungsvollere Zukunft.

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