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Pflücksfall. Größer, süßer, fester – Kulturapfelsorten haben eine lange Züchtungsgeschichte hinter sich. Ihreinneren Werte hat das wohl eher nicht verbessert.

© dpa/Daniel Bockwoldt

Inhaltsstoffe weggezüchtet: Der Apfel fällt recht weit vom Stamm

Der Deutschen liebstes Obst hat eine eigene lange Kulturgeschichte hinter sich. Positiven Gesundheitswirkungen war diese aber wohl eher nicht zuträglich.

Äpfel sind hierzulande das beliebteste Obst: Knapp 25 Kilogramm isst jede und jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr. Die heutigen Früchte haben mit ihren aus Asien stammenden wilden Vorläufern kaum noch etwas gemein: Sie sind größer, weniger sauer, fester.

Wahrscheinlich sind sie auch weniger gesund, so das Ergebnis einer Studie, über die im Fachblatt „Plos One“ berichtet wird.

Die Forscher hoffen, dass ihre Analysen bei der Züchtung neuer Sorten helfen könnten, in denen speziell die gesundheitsfördernden Eigenschaften der wilden Verwandten wieder zum Tragen kommen.

Obst auf der Seidenstraße

Die heutigen, kultivierten Äpfel gehen vermutlich auf den Asiatischen Wildapfel (Malus sieversii) zurück, der seinen Ursprung im heutigen Kasachstan hat. Anhand genomischer Analysen zeigten Wissenschaftler 2017 im Fachblatt „Nature Communications“, wie sich dieser über die Seidenstraße nach Westen und Osten ausbreitete.

Allerdings entwickelten jene wilden Sorten vermutlich schon Millionen Jahre vor ihrer Kultivierung vergleichsweise große, fleischige Früchte, um für große Säugetiere, Hirsche etwa, eine attraktive Nahrungsquelle darzustellen. Das jedenfalls sind die Schlüsse aus einer weiteren Untersuchung von Forschenden am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.

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Doch was haben heutige, kultivierte Äpfel (Malus domestica) noch mit ihren wilden Vorfahren zu tun? Recht wenig, so das Resultat der aktuellen, an der kanadischen Dalhousie University durchgeführten Studie. Ein Team um den Genetiker Sean Myles untersuchte zehn Merkmale von Früchten der kanadischen „Apple Biodiversity Collection“, die über 1000 verschiedene Apfelsorten umfasst, darunter auch 78 Varianten des Wildapfels.

Spätblüher, aber nicht mürbe

Wie ihre Analyse ergab, unterscheiden sich wilde und Kulturäpfel phänotypisch teilweise deutlich: So würden kultivierte Apfelbäume bereits in jüngerem Alter blühen und Früchte tragen als ihre wilden Verwandten, was für Landwirte ein wichtiger Faktor sei. Darüber hinaus blühten kultivierte Äpfel durchschnittlich drei Tage später. „Frost während der Blüte kann zu Verlusten, Schäden oder einer verminderten Marktfähigkeit der Früchte führen, so dass der Blütezeitpunkt eine wichtige Überlegung für Obstbauern bei der Anlage von Obstplantagen ist“, schreiben die Autoren dazu.

Außerdem seien Äpfel mit späterem Blühtermin tendenziell fester, was nicht nur ihre Lagerung und ihren Transport über teilweise lange Strecken erleichtere, sondern auch von Verbrauchern bevorzugt werde.

Eine weitere Vorliebe von Verbrauchern würde auch Geschmacks- und Größenunterschiede zwischen wilden und domestizierten Äpfeln erklären: Letztere seien im Durchschnitt 3,6-mal schwerer und hätten 43 Prozent weniger Säure, berichten die Forscher. Noch deutlicher sind die Unterschiede demnach beim Gehalt an Polyphenolen. Diese aromatischen Verbindungen gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen, für die antioxidative und gesundheitsfördernde Wirkungen zumindest teilweise als nachgewiesen gelten.

Weniger Polyphenole

Der Gehalt an diesen sei in Kulturäpfeln um durchschnittlich 68 Prozent geringer als in Wildäpfeln, so die Wissenschaftler. Wahrscheinlich sei auch dieser Befund auf Verbraucherpräferenzen zurückzuführen, denn ein hoher Phenolgehalt bedeute, dass Äpfel weniger süß schmeckten und auch schneller braun würden.

Bedeuten die Befunde also letztlich, dass heutige Äpfel weniger gesund sind als deren wilde Vorfahren? Ja, meint Hauptautor Sean Myles. Auf Nachfrage zitiert er aus einer im Fachblatt „Biotechnology Reports“ veröffentlichten Studie: „Pflanzenphenole gelten als lebenswichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung und weisen eine enorme antioxidative Wirkung sowie andere gesundheitliche Vorteile auf.“

Die Dosis macht den gesunden Apfel

Epidemiologische Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass eine an antioxidativem Obst und Gemüse reiche Ernährung das Risiko für viele Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden verringere. Myles: „Man kann also mit Sicherheit sagen, dass der gesundheitliche Nutzen, den wir heute aus Apfel-Polyphenolen ziehen, wahrscheinlich geringer ist als der gesundheitliche Nutzen, den die Menschen in der Vergangenheit aus Apfel-Polyphenolen zogen.“

Kulturäpfel sind dadurch aber in größeren Mengen wahrscheinlich auch bekömmlicher. Denn die in geringer Dosis gesundheitsförderlichen sekundären Pflanzenstoffe können in höherer Dosis auch irritierend und sogar wie Gifte wirken – ein als „Hormesis“ bekanntes Phänomen. Auch hier liegt vielleicht ein ökonomisch bedingter Nebeneffekt der Züchtung: Je mehr Äpfel ein Mensch verträgt, desto mehr lassen sich insgesamt auch verkaufen.

Wildsorten einkreuzen, Kultursorten aufwerten, Äppelwoi ausschenken

Auch den im Vergleich zu Wildsorten höheren Gehalt an Fruchtzucker, der in lang anhaltend hohen Dosen als Stoffwechselgift gilt, halten viele Ernährungsforscher für problematisch.

Insgesamt, so das Fazit der Studie, hätte die Domestizierung des Apfels zu zunehmender Abweichung zahlreicher Merkmale verglichen mit wilden Vorläufer geführt. Beiden seien inzwischen weitgehend separate Gruppen. Eine Wiederannäherung durch Einkreuzung alter sorten, wie sie schon anderswo versucht wird, würde sich aber lohnen, wie die Autoren schreiben: „Züchter könnten etwa den hohen Phenolgehalt von Wildäpfeln nutzen, um die Nährstoffqualität von Kulturäpfeln zu verbessern.“ Darüber hinaus könnten die Eigenschaften wilder Apfelsorten möglicherweise der Apfelweinindustrie zugute kommen, die einen hohen Säure- und Phenolgehalt schätze. (mit tsp)

Alice Lanzke, dpa

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