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Ein Weizenfeld vor Nachthimmel

© IMAGO/ZUMA Press Wire/Patricio Murphy

Kennzeichnung für einige Gentechnik-Lebensmittel fällt weg: Gleiches wird nun endlich gleich benannt

Die EU regelt neu, wie Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Pflanzen enthalten, gekennzeichnet werden müssen. Eine überfällige und angemessene Anpassung.

Sascha Karberg
Ein Kommentar von Sascha Karberg

Stand:

Künftig sollen Lebensmittel, bei deren Herstellung geringfügig gentechnisch veränderte Pflanzen verwendet wurden, nicht mehr als solche gekennzeichnet werden. Darauf haben sich Vertreter des Europäischen Parlaments und der Mitgliedsstaaten Donnerstagnacht geeinigt.

Damit wird endlich umgesetzt, was wissenschaftlich schon lange Konsens ist: Gleiches sollte gleich gekennzeichnet werden. Und so sehr Verbraucher- und Naturschutzverbände jetzt protestieren mögen, in der Sache ist die Neuregelung längst überfällig. Zumal sie ausgewogen ist und nur bestimmte, nur geringfügig per Gentechnik veränderte Pflanzen von der Kennzeichnungspflicht ausnimmt, nicht aber solche, bei denen damit zu rechnen ist, dass der Eingriff ins Erbgut zu völlig neuen Eigenschaften der Pflanze führt.

Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden essen Menschen gentechnisch veränderte Pflanzen. Alles: Weizen, Mais, Reis, Salat, Kohl, Brokkoli oder was auch immer wir im noch so biologischen Bio-, Öko- oder Naturmarkt kaufen und mit dem guten Gefühl der „Natürlichkeit“ verspeisen, ist genetisch verändert. Schon immer haben Menschen das Erbgut von Pflanzen verändert, durch „alte“ Gentechnikmethoden: anfangs durch Selektion vorteilhafter Mutanten der jeweiligen Urpflanzen und später durch Erzeugung solcher Mutanten durch Bestrahlung und chemische Mutagene.

Das hatte zum Teil drastische Erbgutveränderungen zur Folge. So hat Natur-Weizen, das Einkorn, eigentlich nur einen Chromosomensatz von 14. Emmer hingegen, der erste kultivierte Ur-Weizen, hatte bereits einen zweifachen (24) und heutige Weizenformen haben sogar einen sechsfachen Chromosomensatz (42).

Um Teosinte als Urform des Mais zu erkennen, braucht es einen Experten, so unterschiedlich sehen die beiden Pflanzen aus. Bei anderen gängigen Nutzpflanzen ist das Erbgut infolge jahrhundertelanger Zucht so durcheinandergewirbelt, dass es kaum noch der ursprünglichen Form ähnelt.

All diese Pflanzen, obwohl genetisch drastisch verändert, wurden bisher als „gentechnikfrei“ bezeichnet. Absurderweise galten hingegen als „gentechnisch verändert“ solche Pflanzen, in deren Erbgut nur punktuell, gewissermaßen „minimalinvasiv“, eingegriffen wurde: Ein Gen hier ausgeschaltet, dort eine vorteilhafte Mutation eingefügt.

Ein Beispiel: Es gibt Weizenzüchtungen, die gegen Mehltau resistent sind, aufgrund einer natürlich entstandenen Mutation im MLO-Gen. Solche Weizensorten gelten als „gentechnik-frei“. Eine Weizensorte, bei der im Labor die exakt identische Mutation im MLO-Gen mithilfe der Crispr-Genschere oder irgendeiner anderen modernen gentechnischen Methode eingestellt wurde, musste hingegen als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden.

Obwohl sich diese beiden Pflanzen also genetisch nicht unterscheiden lassen und auch auf dem Feld identisch wären, hätte letztere das „Gentechnik“-Label tragen müssen, was mit einem langjährigen, teuren Prüfverfahren und letztlich Ächtung beim Verkauf einhergegangen wäre.

Aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll und längst überfällig.

Diese Ungleichbehandlung von Gleichem hat die EU jetzt beendet. Eingriffe in das Erbgut, bei denen nicht mehr als 20 DNA-Bausteine verändert werden, müssen künftig nicht mehr gekennzeichnet werden. Damit sind solche als „NGT-1“ bezeichneten Pflanzen auch von den teuren und zeitraubenden Prüfverfahren ausgenommen.

Das sei „aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll und längst überfällig“, sagt Matin Qaim, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung der Uni Bonn dem Tagesspiegel. Damit könne Europa nun endlich dazu beitragen, die Landwirtschaft nachhaltiger und klimaangepasster zu machen, und werde „nicht weiter durch eine wissenschaftsferne Überregulierung ausgebremst“.

Von einem „Aushebeln des Vorsorgeprinzips“ und einer „Bedrohung von Umwelt- und Verbraucherschutz“, wie der EU-Abgeordnete und erklärte Gentechnikgegner Martin Häusling (Grüne) die Entscheidung kommentiert, kann indes nicht die Rede sein. Denn die EU hat lediglich eine Ungleichbehandlung genetisch vergleichbar veränderter Pflanzen und die einseitige „Bestrafung“ einer modernen Technik gegenüber alten Technologien aufgehoben.

Gentechnisch verändert oder nicht? Diesen Pflanzensamen im Keimlabor des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben ist das nicht auf den ersten Blick anzusehen.

© dpa/Matthias Bein

Dem Vorsorgeprinzip trägt die EU dennoch weiterhin Rechnung: Denn für umfangreichere gentechnische Veränderungen der Kategorie „NGT-2“, bei denen etwa artfremde Gene (sogenannte Transgene) eingesetzt oder große DNA-Stücke verändert wurden, gelten Kennzeichnung und Prüfverfahren nach wie vor.

Auch das Argument, dass nun NGT-1-Pflanzen überall unkontrolliert angebaut und sich in der Umwelt Europas ausbreiten könnten, wodurch das Gleichgewicht im Ökosystem gefährdet sei, zieht nicht: Warum sollten dann Pflanzen, die infolge von Zuchtverfahren dieselben oder sehr ähnliche genetische Veränderungen tragen, weniger oder ungefährlich für das Ökosystem sein?

Ohne Frage hat jeder das Recht, bestimmte Technologien für sich persönlich abzulehnen. Niemand muss fliegen, niemand muss Bahn fahren, niemand muss ein Smartphone besitzen. Auch muss sich niemand in der Nähe von Sendemasten und ihrer elektromagnetischen Strahlung wohlfühlen.

Das Siegel «Ohne Gentechnik»gibt es seit 2009.

© dpa/Sina Schuldt

Aber das bedeutet nicht, dass die gesamte Gesellschaft auf Basis solchen Unwohlseins und wissenschaftlich nicht haltbarer Vermutungen über eventuelle oder hypothetische zukünftige Risiken auf eine komplette Technologie und deren Vorteile verzichten muss.

Zumal es „extrem teuer“ wäre, wollte man künftig weiter Pflanzen, die genetisch identisch sind, nur aufgrund der eingesetzten Methode bei der Genveränderung unterscheiden und verschieden kennzeichnen. „Wegen der Nichtnachweisbarkeit bräuchte man völlig getrennte Vermarktungskanäle“, sagt Qaim. „Und es würde zudem den Eindruck erwecken, dass die Produkte möglicherweise gefährlich sind, was sie aber nicht sind.“ Sie seien „identisch mit herkömmlich gezüchteten Pflanzen“ und damit auch „genauso sicher“.

Im Fall der Gentechnik haben Regulatoren* dem Vorsorgeprinzip lange, viel zu lange Rechnung getragen. Und damit auch zu einer irrationalen Angst vor „Gentechnik“ beigetragen. Jetzt ist es an der Zeit, nach Jahrzehnten der Erfahrung und Verbesserung der gentechnischen Methoden, die Regulierungsmaßnahmen dem Stand der Wissenschaft den Erkenntnissen zu realen und nur hypothetischen Risiken anzupassen, um die Möglichkeiten der Gentechnik nutzen zu können.

Etwa um der Landwirtschaft widerstandsfähigere, dem Klimawandel trotzende Sorten an die Hand zu geben. Oder auch, um den Verbrauchern gezielt gesündere Lebensmittel anbieten zu können.

*In einer früheren Version stand hier – rätselhafterweise – „Forschende“, gemeint waren jedoch Regulatoren. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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