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„Klamme Kassen, klamme Köpfe“: Berliner Hochschulen demonstrieren vor Abgeordnetenhaus gegen Kürzungen
Wut und Ratlosigkeit: Rund 3000 Menschen aus den Berliner Unis protestieren gegen die Kürzungen des Senats. Sie warnen vor Hochschulen im Notbetrieb, Studiengänge müssten gestrichen werden.
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Die Parlamentarier, die an diesem Donnerstagmorgen nach und nach am Berliner Abgeordnetenhaus eintreffen, werden heute mit Pfiffen begrüßt. Gleich sollen der Nachtragshaushalt und damit die Milliardenkürzungen für das kommende Jahr beschlossen werden. Massiv betroffen ist auch die Wissenschaft, es geht um mehr als 300 Millionen Euro, und genau dagegen richtet sich der Unmut der Demonstranten.
Die Universitäten, Gewerkschaften und andere Vertreter haben zur Kundgebung eingeladen – laut Verdi sind etwa 3000 Menschen gekommen. Die Niederkirchnerstraße, zwischen Gropius Bau und Abgeordnetenhaus, ist in ganzer Länge des Parlaments mit Menschen gefüllt. Auf ihren Schildern steht: „Klamme Kassen, Klamme Köpfe“ oder „Wissen braucht Räume, keine Ruinen“.
Mittendrin steht Sarah, eine Architektur-Studentin von der Universität der Künste – auf ihrem Schild steht drastisch: „Fickt eure Einsparungen“. Sie befürchtet, dass eine wichtige Gastprofessur in ihrem Studium wegfällt und dass somit das Fach nicht weiter existiert. Wenn die Uni wirklich „nur noch ,the bare minimum‘ anbieten kann“, verunsichere sie das, sagt Sarah. Dann beginnt die Kundgebung.
Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität und momentan Vorsitzende der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten, ergreift das Wort: „Der Regierende Bürgermeister hat immer gesagt: Wissenschaft ist wichtig für diese Stadt. Wir stehen hier und sagen: Das können wir im Haushalt nicht erkennen“, ruft sie kämpferisch. „Wir fordern die Abgeordnete auf: Übernehmen Sie Verantwortung für die Zukunft dieser Stadt!“
Der Regierende Bürgermeister hat immer gesagt: Wissenschaft ist wichtig für diese Stadt. Wir stehen hier und sagen: Das können wir im Haushalt nicht erkennen.
Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität
Tatsächlich stehen der Wissenschafts- und Gesundheitsverwaltung letzten Angaben aus der Koalition zufolge 309 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Das sind acht Prozent ihres zunächst angedachten Budgets. Allein bei den Landeszuschüssen für die Hochschulen fallen mehr als 100 Millionen Euro weg, der Senat will deshalb die Hochschulverträge neu verhandeln, die die Zuschüsse für die Unis regeln. Mittel für Bauten und Sanierungen werden gestrichen, das Studierendenwerk verliert gleich 30 Prozent seines Geldes. Die Charité droht damit, Studienplätze zu streichen, die Unis ebenfalls.
„Die großen Unis werden die Einsparvorgaben für 2025 irgendwie verkraften“, sagt von Blumenthal dem Tagesspiegel. „Weswegen wir heute hier sind, ist der Haushalt 2026 und 2027, dessen Eckpunkte im Januar gemacht werden. Unser Signal ist: Mehr geht nicht!”
Solidarität und Empörung in allen Gruppen
Wissenschaftsenatorin Ina Czyborra (SPD), die laut von Blumenthal auch kurz auf der Kundgebung war, sagte zwar vergangene Woche, sie sei zuversichtlich, dass unter Nutzung der hohen Rücklagen der Hochschulen der Sparzwang auf die kommenden Jahre verteilt werden könne. Von Blumenthal sieht das anders. Die HU hatte Ende 2023 rund 88 Millionen an Rücklagen. Jedoch seien 40 Millionen Versorgungsrücklagen und weitere 20 Millionen Baurücklagen, erklärt sie. „Letztlich sind alle Rücklagen für konkrete Zwecke gebunden – und nicht alle Hochschulen haben welche“, warnt sie.
Wir sind dazu gezwungen, den Hochschulbetrieb auf einen Notbetrieb umzustellen.
Norbert Palz, Präsident der Universität der Künste
Zu den Hochschulen, an denen es noch knapper ist, gehört auch die Universität der Künste, deren Präsident Norbert Palz auf der Demo als Nächstes spricht. „Es ist die Ausbildungsqualität der kommenden Generationen, an der sich hier vergangen wird. Ich weiß nicht, wie die UdK die nächsten Jahre überleben soll.“ Die Prognosen der Kunsthochschulen seien „düster“: „Wir sind dazu gezwungen, den Hochschulbetrieb auf einen Notbetrieb umzustellen.“
Die Wut und Ratlosigkeit ist an diesem Morgen zu spüren. Es sind vielleicht ein Drittel Studierende unter den Demonstranten, viele andere aus dem wissenschaftlichen Mittelbau und der Verwaltung. Auch Gülay Çağlar, Professorin an der Freien Universität (FU), ist vor Ort – sie hatte am Mittwoch noch am Otto-Suhr-Institut für eine Teilnahme an der Kundgebung geworben. Für sie hat die Veranstaltung gezeigt, dass es eine Solidarität und Empörung über alle Statusgruppen hinweg gibt. „Wir sind zusammen gerückt, denn die Einsparungen betreffen uns alle.“

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Am Rand der Demonstration stehen drei Doktoranden der FU und ein Mitarbeiter – sie werden die Kürzungen in ihrem Berufsalltag zu spüren bekommen. Eine promoviert in romanischen Sprachen und trägt eine Gewerkschaftsweste, sie beschreibt die sowieso schon prekären Bedingungen als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit einem monatlichen Gehalt von 1.600 Euro. „Wenn jetzt in Rahmen der Sparmaßnahmen nicht weiter eingestellt wird, müssen wir mit unseren halben Stellen noch mehr leisten.”
Ihr Kollege ergänzt: „Das wirkt sich natürlich negativ auf die Studis aus, die sitzen dann in überfüllten Seminaren, die wir leiten müssen.“ Der FU-Mitarbeiter befürchtet, dass zusätzliche Unterstützung für Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien jetzt wegfallen könnte. Der Vierte im Bunde, ein ausländischer Germanistik-Doktorand, beschreibt, dass sich seine Miete im Studentendorf ab März erhöht wird, da das Studierendenwerk mit weniger Mitteln auskommen muss.
Der FU-Präsident reckt die Faust
Die Wissenschaftsverwaltung kündigte bereits eine Beitragserhöhung um 22 Euro an, die Studierende semesterweise an das Studierendenwerk bezahlen müssen – das thematisiert auch Eske Woldmer, die bei der Kundgebung für die Landesastenkonferenz, den Zusammenschluss der Allgemeinen Studierenden Ausschüssen der Berliner Hochschulen, spricht. Sie nennt die Sparmaßnahmen einen „Angriff auf uns Studierende“ und kritisiert die Kürzungen beim Studierendenwerk. Dass bei Bildungsgerechtigkeit gespart wird, sei „ein Armutszeugnis für diese Stadt”.
Daraufhin reckt Günter Ziegler, der in der ersten Reihe stehende Präsident der Freien Universität, die Faust und ruft „Ja!“. Seine Betroffenheit ist ihm ins Gesicht geschrieben, er hatte im Vorhinein erstmalig alle Mitglieder seiner Universität vom Dienstgeschäft befreit und gebeten zur Kundgebung zu kommen. Ziegler sagt dem Tagesspiegel später: „Ich hoffe, dass es Wirkung hat, was heute hier gesagt wurde.“
Neben ihm steht Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität. „Ich bin stinksauer. Wir müssen Professuren und Studiengänge streichen“, sagt sie: „Die Landesregierung ist ihrem Auftrag nicht nachgekommen. Es war lange klar, dass wir in eine Haushaltskrise gehen, und die Art und Weise, wie das gemanagt wurde, ist unverantwortlich.“
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