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Feurige Frisur. Dieses rote Outfit von John Galliano erregt Aufmerksamkeit. Für das Atelier des Designers könnte aber die Farbe Blau die beste sein.

© AFP

Wissen: Warum Rot den Menschen reizt

Richterroben und Ringertrikots: Rot erregt die Aufmerksamkeit und flößt Respekt ein. Aber auch Blau beeinflusst Menschen, macht sie kreativer, entspannter. Wie Farben den Geist beeinflussen.

Rot ist eine mysteriöse Farbe, sie sticht hervor, sie ist unübersehbar und zugleich voller Widersprüche. Als Teenager habe ich Rot hassen gelernt, was in erster Linie das Verdienst von Frau Lüth war. Frau Lüth, meine Deutschlehrerin, hatte die unangenehme Angewohnheit, meine Aufsätze mit ihrem penetranten Rotstift zu besudeln, wo immer sie konnte. Sie schrieb lauter überflüssige rote As und Ws und andere Buchstaben, die der Text gar nicht brauchte, an den Rand, umkreiste einzelne Wörter mit ihrem Rotstift oder nummerierte auch mal ganze Wörterfolgen (2, 4, 5, 3, 1), wohl um mir in pädagogischer Absicht an willkürlichen Beispielen zu demonstrieren, wie wichtig die richtige Reihenfolge von Wörtern grundsätzlich ist (als wüsste ich das nicht!). Jedenfalls verunstalteten ihre randomisierten Durchmischungen den Text so offensichtlich, dass er praktisch unlesbar wurde.

Rot waren aber auch die Lippen von Lissy, die in der Klasse gelegentlich neben mir saß. Ihr hübsches Gesicht mit dem blonden Haar lief immer so süß rot an, wenn ich sie ansprach, wenn auch nicht ganz so stark wie mein eigenes, das die Neigung hatte, sich in Lissys Gegenwart in eine reife Paprika zu verwandeln. Rot: Das war das Signal der Strafe, des Versagens, einerseits. Auf der anderen Seite war es die Farbe der Sinnlichkeit, der erwachenden Erotik. Rot, das war zugleich nein und ja, Frau Lüth und Lissy, Vermeiden und Verlangen.

Damals wusste ich natürlich noch nichts über die Psychologie der Farben. Aber nicht nur ich war unwissend, auch die Wissenschaft zeigte sich bis vor kurzem ignorant, wenn es um den Einfluss der Farben auf die menschliche Psyche ging. Dabei hat die Menschheit Farben seit jeher mit bestimmten Eigenschaften assoziiert. Coca-Cola zum Beispiel hat nicht umsonst anregendes Rot als Markenfarbe gewählt (was Pepsi dazu veranlasste, Hunderte von Millionen Dollar zu investieren, um sich als blaue Alternative zu etablieren). Rot wurde schon zu Urzeiten mit Status und Ansehen in Verbindung gebracht. Im alten Rom nannte man die mächtigsten Männer der Stadt coccinati, was so viel heißt wie „jene, die Rot tragen“. Die höchsten Richter des Landes, etwa am Bundesverfassungsgericht, tragen bis heute Rot, und der rote Teppich wird bekanntlich nicht für jedermann ausgerollt.

Erst in den letzten Jahren hat auch die akademische Psychologie die unterschiedliche Wirkung der Farben entdeckt. Forscher haben angefangen, ihren Effekt auf unsere Psyche zu erforschen, in Feldversuchen und Laborexperimenten. Die Studien offenbaren immer genauer, dass und wie Farben uns verführen. Farben verändern unser Verhalten, sie können sogar unsere geistige Leistungsfähigkeit und unsere Kreativität beeinflussen.

Eine wichtige Erkenntnis gleich vorneweg: Farben entfalten ihren Effekt nicht, wie vielfach angenommen, absolut oder eindeutig, im Sinne von „Rot = Achtung, Gefahr!“ Nein, welche Wirkung eine bestimmte Farbe auf uns ausübt, hängt vielmehr vom Kontext ab, in dem wir sie sehen. Rot ist dafür, wie schon angedeutet, ein gutes Beispiel (Rot ist, nebenbei gesagt, von allen Farben die bislang am besten untersuchte, womöglich, weil sie recht starke Wirkungen und damit klare Ergebnisse hervorruft).

Rot kann unsere Leistung steigern oder senken, je nach Tätigkeitsfeld. Im Sport ist Rot das Nonplusultra. Falls Sie in einem Spiel oder Wettkampf die Wahl haben sollten: Entscheiden Sie sich stets für das rote Outfit! Keine Farbe bringt nachweisbar mehr Sieger hervor.

Gegen Klitschko hilft auch kein roter Ganzkörperanzug

In einer Studie, erschienen im angesehenen Forschermagazin „Nature“, analysierten zwei Anthropologen der Universität Durham in England die Daten der Olympischen Spiele von Athen im Jahr 2004. Die Wissenschaftler sahen sich die Gewinner und Verlierer von vier Disziplinen an: Boxen, Taekwondo, Griechisch-Römisches Ringen sowie Freistil-Ringen. Die Schutzanzüge bzw. Trikots, die die Sportler trugen, waren entweder rot oder blau, und waren – fast wie in einem wissenschaftlichen Experiment – nach dem Zufallsprinzip verteilt worden, in der stillschweigenden Annahme, dass die Farbe eh keinen Einfluss auf das Ergebnis hat.

Das aber ist falsch: In allen vier Disziplinen, so ergab die Analyse, waren die Kämpfer in Rot der blauen Konkurrenz überdurchschnittlich oft überlegen. (Bezeichnenderweise ist dies insbesondere der Fall, wenn sich zwei Gegner gegenüberstehen, die in etwa gleich gut sind. Anders gesagt: Wenn ich gegen Wladimir Klitschko antrete, dann hilft mir auch ein Ganzkörperanzug in roter Farbe mitsamt feuerroter Perücke nicht viel weiter. Je gleichwertiger sich aber die Gegner werden, desto mehr geben kleinere Nebenfaktoren den Ausschlag, wie eben auch die Farbe der Bekleidung.)

Das Ergebnis ist kein skurriler Einzelbefund. Fußballteams schießen mehr Tore, wenn sie in Rot statt in einer anderen Trikotfarbe spielen, und Klubs wie der FC Liverpool, Manchester United oder Arsenal, die standardmäßig in Rot antreten, sind über Jahrzehnte hinweg erfolgreicher als andersfarbige Teams.

Der Grund dafür scheint in einer doppelten Wirkung zu liegen, die vom Rot ausgeht: Sportler und Kämpfer in Rot nehmen sich als dominanter und einschüchternder wahr, was ihr Selbstbewusstsein steigert. Umgekehrt werden sie vom Gegner auch tatsächlich als dominanter und einschüchternder wahrgenommen, was den Gegner verunsichert.

Diese zugleich anspornende wie abschreckende Wirkung lässt sich vielfältig nutzen, zum Beispiel auch beim Poker. Wer in einem Pokerspiel zufällig rote Chips zur Hand hat, sollte diese bei einem Bluff in möglichst großer Stückzahl seinem Gegner hinschieben: Dieser wird daraufhin, wie Psychologen der Universität Amsterdam kürzlich herausfanden, mit höherer Wahrscheinlichkeit passen, als wenn Sie ihm blaue oder weiße Chips hingelegt hätten (diese Angaben sind, auch wenn sie auf empirischen Daten beruhen, ohne Gewähr).

Rot ist respekt- bis angsteinflößend. Stopp- und Warnschilder sind meist rot ebenso wie die Feuerwehr. Umgekehrt aber kann Rot auch anziehend und sexy wirken („Lady in Red“, Rotlichtmilieu). Kellnerinnen in rotem T-Shirt oder auch nur mit rotem Lippenstift dürfen wohl nicht von ungefähr mit mehr Trinkgeld als üblich rechnen, zumindest von den männlichen Gästen. Männer setzen sich in Experimenten näher zu einer Frau mit rotem (statt blauem) T-Shirt , Frauen finden ein und denselben Mann in einem roten Shirt attraktiver und erotischer als in einem blauen Shirt, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sie dessen Status höher einschätzen.

Erst wenn es zur geistigen Leistungsfähigkeit kommt, zeigt sich die ambivalente oder sogar dunkle Seite von Rot, und die Vorzüge anderer, beruhigender Farben kommen zum Vorschein. Die Tatsache, dass Rot in einem Leistungskontext eine eher einschüchternde Wirkung entfaltet, kann nämlich auch nach hinten losgehen. Rot macht nervös, weckt die Angst vor Fehlern.

Kleiner Nachtrag zum Rotstiftterror meiner Deutschlehrerin

In einer Studie konfrontierte man deutsche Schüler mit einem Intelligenztest. Der Test bestand aus leichten und schweren Aufgaben, und die Probanden durften selbst wählen, welche davon sie lösen wollten. Je nachdem, welche Farbe das Deckblatt des Tests hatte, entschieden sich die Schüler für unterschiedliche Aufgaben: War das Deckblatt rot, wählten sie eher die leichten Probleme, ganz so, als hätte die Farbe ihre Furcht vor dem berüchtigten Rotstift geweckt. Tatsächlich scheint Rot dermaßen zu verunsichern, dass Studenten in einem weiteren Versuch bei einem IQ-Test schlechter abschnitten, nachdem sie ein rotes (statt ein grünes oder weißes) Deckblatt aufgeschlagen hatten.

Nur in einigen ausgewählten geistigen Bereichen, so zeigt eine Untersuchung im US-Fachblatt „Science“ an insgesamt über 650 Testpersonen, könnte Rot sich als hilfreich erweisen. Beim Korrekturlesen am Computer etwa sind Leute präziser, wenn die Hintergrundfarbe des Monitors rot statt blau ist. Dort, wo es in erster Linie darum geht, Fehler zu vermeiden, sollte man also eventuell Rot als Arbeitsfarbe in Auge fassen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, die Wände im Tower von Fluglotsen rot anzustreichen (obwohl ich diese Idee zur Sicherheit lieber zuerst in einer Simulation testen würde). Und bestimmt würde jede Bombenentschärfung davon profitieren, würde man sie in einem roten Umfeld vornehmen.

Rot schärft die Aufmerksamkeit, verengt sie damit aber auch. Der Blick wird zum Tunnelblick (oder zum Stierblick: Man sieht nur noch das rote Tuch). Dieser angespannte Zustand, in den uns die Farbe Rot tendenziell versetzt, erweist sich als hinderlich, sobald weitläufigere Gedanken-Assoziationen und Originalität gefragt sind. Kreatives Denken verlangt ein gewisses Loslassen, die Priorität darf jetzt nicht darauf liegen, möglichst jeden Fehler zu vermeiden, im Gegenteil, wer etwas Neues erfinden will, muss das Risiko – sprich: den Fehler – als Kollateraleffekt in Kauf nehmen. Er muss seinem Geist freien Lauf lassen …

Also Blau. Blau erinnert an Ozeane und Himmel, an Weite, an den perfekten Urlaub. Vielleicht ist das der Grund dafür, weshalb die Testpersonen der „Science“-Studie durchgehend höhere Kreativitätswerte erzielten, sobald die Übungen in irgendeiner Weise einen blauen Touch hatten. In einem der Versuche präsentierte man den Leuten zahlreiche geometrische Figuren, wie Vierecke, Zirkel und Zylinder entweder in blauer oder roter Farbe, und forderte sie auf, aus den Figuren ein Spielzeug für ein Kind im Alter zwischen 5 und 11 zu entwerfen. Eine anschließende, unabhängige Bewertung der Entwürfe ergab: Die originellsten Spielzeuge entwarfen jene Testpersonen, denen man blaue Figuren gezeigt hatte.

Deutsche Forscher kamen dagegen kürzlich in einer Serie von Experimenten zum Schluss, dass gerade Grün unsere Kreativität auf Trab bringt. Dem Blau nicht unähnlich, erinnert Grünes an Natur, an Gras, Wald und saftige Wiesen. Sogar inmitten der Stadt, an einer Ampel, bedeutet Grün: weiter geht’s! Grünes Licht! Grün, das steht für Wachstum, Leben, Glück, Hoffnung. Nicht umsonst war das Arbeitszimmer des Farbentheoretikers und -praktikers Goethe – sein wichtigstes Zimmer, das, in dem er sich am meisten aufhielt – grün. Grün, so der farbenvernarrte Dichter, verschaffe dem Auge „reale Befriedigung“.

Zum Schluss ein kleiner Nachtrag zum Rotstiftterror meiner Deutschlehrerin. Mittlerweile gibt es nämlich auch eine wissenschaftliche Erklärung für ihre hartnäckige Verbesserungswut. Wie sich in einer Studie offenbart hat, braucht man Testpersonen nur einen Rotstift in die Hand zu drücken – schon fangen sie an, einen Aufsatz gründlich zu verunstalten und ihn wie wild zu korrigieren, deutlich mehr zumindest als eine Vergleichsgruppe, die mit einem blauen Stift hantiert. Und nicht nur das, Testpersonen bewerten einen identischen Aufsatz (einen, aus dem man nota bene jegliche Rechtschreib- und Grammatikfehler getilgt hat) anders, je nachdem, mit welcher Stiftfarbe sie den Aufsatz bearbeiten: Wer mit einem blauen Kugelschreiber verbessert wird, darf mit einer ganz ordentlichen Note rechnen. Wessen Lehrer mit Rot in den Kampf zieht – nun, willkommen im Klub der verkannten Dichter!

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