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Erneuerbare Energien sind eine der Grundpfeiler im Klimaschutz.

© IMAGO/Panama Pictures/Dwi Anoraganingrum

Weltklimarat drängt zur Eile: Klimabericht zeigt neben Warnungen aber auch positive Seiten der Lage

Neuer Synthesesbericht des IPCC betont, wie nah die Welt mittlerweile einem extremen Klimapfad gekommen ist und wie wenig Zeit nur noch bleibt. Dennoch gibt es auch vielversprechende Lösungsansätze.

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Klartext hat der Weltklimarat versprochen, falls es Regierungen noch immer nicht kapiert haben: Es muss sofort gehandelt werden, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Das ist die wichtigste Botschaft des Weltklimarats (IPCC), der am Montag seinen 6. Synthesebericht vorgelegt hat.

Ohne drastische Minderungen der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen noch in diesem Jahrzehnt wird das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung in den 2030er Jahren überschritten. Das macht der neue Bericht so deutlich wie nie zuvor. Die Botschaft der UN-Institution ist klar: Die Zeit wird knapp.

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken, müsse der Treibhausgasausstoß ab sofort in allen Bereichen zurückgehen und bis 2030 um fast die Hälfte gesenkt werden. Zugleich seien noch in diesem Jahrzehnt größere und schnellere Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel nötig.

Eigentlich wollten die Staaten einen höheren Anstieg als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau möglichst verhindern, um noch schlimmere Auswirkungen der Erderhitzung anzuwenden. So hatten sie es im Pariser Klimaabkommen versprochen. Die Emissionen steigen derzeit statt zu sinken, nach einem kleinen Rückgang wegen der Corona-Pandemie geht es wieder steil nach oben

Emissionen sinken noch nicht

„Der Report des IPCC verdeutlicht, dass wir die 1.5 Grenze noch einhalten können, wenn wir jetzt rasch handeln und Treibhausgasemissionen dauerhaft in allen Sektoren verringern“, erklärte Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK dazu. Dazu sei unterstützend auch Technologien zum Entziehen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre nötig, so der ehemalige Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe 3 des IPCC. Deren Einsatz sei mit moderaten ökonomischen Kosten verbunden.

„Es wird weiterhin deutlich, dass der Anstieg von Emissionen weltweit abflacht, sie aber noch nicht sinken“, lautet Edenhofers Einschätzung. Er sieht auch gute Nachrichten: „Der Report zeigt, dass in bestimmten Weltregionen gerade eine Entkoppelung von CO₂-Emissionen und Wirtschaftswachstum einsetzt, dass also eine hohe Lebensqualität auch mit geringen Emissionen erreichbar ist.”

„Die Klima-Zeitbombe tickt. Aber der heutige IPCC-Bericht ist ein Leitfaden zur Entschärfung der Klima-Zeitbombe. Er ist ein Überlebensleitfaden für die Menschheit“, so der Kommentar des UN-Generalsekretärs António Guterres zum neuen IPCC-Bericht.

Mutige Kehrtwende gefordert

Der Klimawandel beschleunigt sich, Folgen wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren häufen sich und werden extremer, so die Botschaft des Weltklimarats (IPCC). Wenn die Regierungen der Welt die klimaschädlichen Emissionen nicht noch in diesem Jahrzehnt drastisch senken, werde das Leben auf der Erde für kommende Generationen unberechenbarer und gefährlicher.

„Wir Wissenschaftler wünschten uns, dass die Kehrtwende im Klimaschutz, aber auch in der Anpassung an die Auswirkungen deutlicher, mutiger und schneller angegangen wird“, sagt Matthias Garschagen der Deutschen Presse-Agentur. Der Klimaforscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist Mitautor des neuesten Syntheseberichts des Weltklimarates. „Dass man Kehrtwenden auch zügig hinbekommen kann, hat man jüngst gesehen: Die Welt ist recht erstaunt, wie schnell wir uns beispielsweise von russischem Gas unabhängig machen.“

Es passiert definitiv zu wenig.

Oliver Geden, Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin

Nur: „Es passiert definitiv zu wenig“, sagt Mitautor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „In der globalen Klimapolitik wird mehr versprochen als geliefert wird.“

Die Medizin ist bekannt: klimaschädliche Emissionen senken, den CO₂-Ausstoß so teuer machen, dass Unternehmer in Alternativen investieren, Bäume pflanzen statt Wälder roden, weniger Fleisch essen, weil das Mästen und Weiden viel CO₂ verursacht, Gebäude besser dämmen, fossile Energien durch erneuerbare wie Windkraft ersetzen, den öffentlichen Verkehr ausbauen, und: den Verbrennermotor verbieten.

„Der sechste Synthesebericht mache noch einmal die Dringlichkeit der Lage deutlich, sagte Elmar Kriegler, Leitautor des Fünften und Sechsten Sachstandsberichts des IPCC und Ko-Leiter der Forschungsabteilung „Transformationspfade“ am PIK. Die Schäden durch den Klimawandel seien bereits groß, die weltweiten Emissionen dennoch weiterhin auf Rekordniveau.

Wir brauchen ein umgehendes Absenken der weltweiten Emissionen auf Netto-Null binnen 30 Jahren, um das 1.5°-Grad Ziel in Reichweite zu halten.

Elmar Kriegler, Leitautor des Fünften und Sechsten Sachstandsberichts des IPCC

„Wir brauchen ein umgehendes Absenken der weltweiten Emissionen auf Netto-Null binnen 30 Jahren, um das 1.5°-Grad Ziel in Reichweite zu halten.“ Dafür gebe es Lösungen in allen Sektoren, es brauche aber großen Gestaltungswillen, gemeinsames Handeln und massive Investitionen, um das zu schaffen.

„Der Bericht hebt auch die enge Verknüpfung von Klimawandel und Gerechtigkeit hervor“, so Kriegler. „Es sind die Ärmsten, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben und am härtesten von ihm getroffen werden. Eine gerechtere Welt erfordert aktiven Klimaschutz.“

Verbrennungsmotor sei „Nebelkerze“

Es sei eine „Nebelkerze“, wenn die EU wie geplant am Verbrennermotor festhalten wolle, wenn auch ab 2035 nur noch mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels), sagt Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, der dpa. „Es wird nur winzige Mengen E-Fuels geben, die braucht man für den Flugverkehr, denn der lässt sich nicht elektrifizieren.“

Garschagen sieht eine gefährliche Tendenz in Teilen der deutschen Politik. „Manche meinen, wenn wir Technologien wie die Kohlenstoffentnahme aus der Atmosphäre und Lagerung entwickeln, könnten wir es mit der Emissionsreduzierung langsamer angehen - aber das ist falsch. Wir brauchen die Entnahme UND starke Reduzierungen, um unsere Klimaschutzziele überhaupt noch erreichen zu können.“

Ein umgehendes Absenken der weltweiten Emissionen auf Netto-Null binnen 30 Jahren, um das 1,5°-Grad-Ziel in Reichweite zu halten.“ 

© dpa/Armin Weigel

Ziel ist laut Pariser Klimaabkommen, die Erderwärmung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Sie liegt bereits bei etwa 1,1 Grad. In Deutschland ist sie sogar höher, weil sich Landregionen schneller erwärmen als die Meere. Der Weltklimarat hat schon dargelegt, dass das 1,5-Grad-Ziel praktisch nicht mehr zu schaffen ist.

Dafür müssten die weltweiten CO₂-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken, wie das Umweltbundesamt schreibt. Tatsächlich zeigt die Kurve nach dem Corona-bedingten Rückgang aber steil nach oben. Schon Anfang der 2030er Jahre drohe ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke, warnt der Weltklimarat seit Jahren.

Und es könnte selbst im günstigsten Fall massiver Emissionsminderungen Jahrzehnte dauern, ehe die Temperatur auf unter 1,5 Grad Erwärmung zurückgeht. Selbst eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad sei „eine gewaltige Aufgabe“, so Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg.

Gefahr des 1,5-Grad-Ziels

„Mit dem 1,5-Grad-Ziel haben wir uns möglicherweise selbst ein Bein gestellt“, sagt Geden. „Viele denken an ein Kliff: Wenn es darüber hinausgeht, ist alles vorbei.“ Das könne zu Fatalismus führen, nach dem Motto, dann könne man es auch ganz lassen, wenn es eh schon zu spät sei. „Das Klimasystem gerät bei 1,51 Grad nicht außer Kontrolle“, sagt er.

Jedes Zehntel Grad weniger Erwärmung verringert das Risiko von Hitzewellen, Dürren und Starkniederschlägen. Gewässer wie der Gardasee verliert gegenwärtig immer mehr Wasser.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Matteo Biatta

Die genaue Gradzahl sei zweitrangig, die größtmögliche Klimaanstrengung sei nötig, weil jedes Zehntel Grad weniger Erwärmung das Risiko von Hitzewellen, Starkniederschlägen und Dürren verringere.

Von Untergangsszenarien hält auch Marotzke nichts: „Es wird keine Apokalypse kommen.“ Das Leben werde gefährlicher, aber dass es auf der Erde gar nicht mehr möglich sein könnte, sei falsch.

Garschagen betont, Klimaschutz sei nicht nur mit Kosten und Herausforderungen verbunden: „Wenn wir beispielsweise Städte umbauen mit mehr Wasser, mehr Begrünung, mehr Beschattung, wenn Gebäude und Dächer begrünt werden, werden sie auch lebenswerter. Oder wenn wir Flächen, auf denen Futtermais für Schweine für unseren Fleischkonsum angebaut wird, in Auenlandschaften verwandeln würden, hätte das auch einen gesellschaftlichen Mehrwert für die Naherholung.“

Oliver Geden: „Leider hält sich noch der Reflex: Klimaschutz tut weh. Oder: Wir würden mehr verdienen, wenn wir diese oder jene Maßnahme nicht umsetzten. Aber: Klimaschutz sichert mittelfristig unseren Wohlstand - da muss man hinkommen.“

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