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Schülerinnen und Schüler liegen unter weißen Tüchern am Boden, ein größerer Junge erhebt sich mit erhobenem Arm aus der Gruppe.

© Kai-Uwe Heinrich

Kulturelle Bildung in der Schule: Schülertheater und Kunstworkshops leiden in der Coronakrise

Respekt vor dem Kulturerbe: Experten fordern, kulturelle Bildung in Schulen gerade jetzt zu stärken – auch vor dem Hintergrund von Vandalismus in Berlin.

Nach dem Anschlag mit einer ölhaltigen Flüssigkeit auf rund 65 Berliner Museumsstücke zeigt sich Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zutiefst besorgt über diese Akte des Vandalismus. Der Archäologe macht für solche Taten Defizite in der kulturellen Bildung mitverantwortlich.

„Ein Stück weit fühle ich, dass das Bewusstsein verloren gegangen ist, welchen Wert kulturelles Erbe, Kulturschätze, Museumssammlungen wirklich haben und dass man so etwas nicht einfach willkürlich zerstört“, sagte Parzinger im „Deutschlandfunk“. Man müsse versuchen, diese Werte „in der Gesellschaft stärker zu adressieren“ – das sei auch eine Aufgabe der Schulen.

Wenige Tage nach Bekanntwerden des Schadens auf der Museumsinsel beschmierten Jugendliche die wertvolle Granitschale im Lustgarten vor dem Alten Museum mit teilweise obszönen Graffitos. Auch dies ein Ausdruck mangelnder Ehrfurcht vor einem einzigartigen Kunstwerk? Hat sich in der jungen Generation hinsichtlich des Respekts vor dem Kulturerbe etwas verschoben?

Keine Ehrfurcht vor dem "Heiligen" der Kunst

„Vielleicht insofern, als dass die Ehrfurcht vor dem ,Heiligen’ der Kunst, die es früher einmal gab, so nicht mehr existiert“, sagt Tobias Diemer, Leiter des Bereichs Bildung der Stiftung Mercator.

Die Stiftung hat seit 2010 an rund 500 Modellschulen die Initiative „Kulturagenten für kreative Schulen“ ebenso gefördert wie „Kreativpotentiale“, ein Netzwerk von Schulen und kommunalen Kultureinrichtungen in allen Bundesländern.

Von solchen Programmen profitiert hat die Stadtteilschule Alter Teichweg in Dulsberg, „einem der sozial schwächsten Viertel Hamburgs“, wie Schulleiter Björn Lengwenus sagt. Dort lernen Kinder und Jugendliche von der Vorschule bis zur 13. Klasse – seit acht Jahren mit einem Schwerpunkt auf kultureller Bildung.

Kulturelle Bildung ist der einzige Weg

Lernen seine Schüler und Schülerinnen dabei auch, das kulturelle Welterbe zu schätzen? Das bleibe schwierig in einem sozialen Umfeld, in dem die Kinder häufig nicht einmal Kontakt zu Großeltern mit „alten Dingen“ im Haushalt hätten, sie bekämen von zu Hause „keine Wertschätzung für Ererbtes“ mit, sagt Lengwenus. „Da ist kulturelle Bildung in der Schule der einzige Weg. Aber keine Garantie.“

Diemer und Lengwenus sowie Projektpartner aus den Mercator-Programmen stellten das Konzept der kulturellen Bildung am Dienstag per Videoschaltung vor – aus Anlass des Projektstarts vor zehn Jahren und eines öffentlichen digitalen Forums zum Thema am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche (den Link zu den Veranstaltungen finden Sie hier).

Eine monumentale Granitschale, die mit Graffitos beschmiert ist, wird von Jugendlichen fotografiert.
Gefragtes Motiv. Beschmiertes Granitmonument im Berliner Lustgarten.

© imago images/PEMAX

Ziel der Mercator-Initiative, in die seit 2010/11 rund 50 Millionen Euro flossen, ist es, das Engagement von Künstlerinnen und Künstlern an Schulen und die Zusammenarbeit mit Museen, Theatern oder Galerien zu verstetigen – weit über die Modellschulen hinaus.

Doch der Ruf nach verstärkter kultureller Bildung auch angesichts der Fälle von mutwilliger Kulturzerstörung droht in der Coronakrise zu verhallen. Während der Schulschließungen ab März sind Theater- und Tanzprojekte ausgefallen aus, Orchester und Chöre durften nicht proben. Auch im Regelbetrieb ist all das mit Abstand und Masken zumindest erschwert. Und der nächste Schul-Lockdown ist womöglich nicht mehr fern.

Kultur vermittelt eine "Vision fürs Leben"

Deutsch, Mathematik und Englisch ließen sich mit Digitalunterricht und Arbeitsblättern aufrechterhalten, sagt Schulleiter Lengwenus. „Aber das ist nicht mehr die Schule, wie wir sie leben.“ Seine Schülerschaft komme größtenteils aus Hartz-IV- Familien und habe „keine Vision vom Leben“, kein Konzept, warum sie Mathe lernen oder pünktlich sein sollen. Mit viel Kultur und Sport vermittle seine Schule Erfolgserlebnisse und Teamgeist – „und damit eine Vision vom eigenen Leben“.

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Auf der Strecke geblieben ist die Kultur dann aber doch nicht, im Gegenteil: Gemeinsam mit Schülern und Lehrkräften aller Klasse stellte Lengwenus die inzwischen preisgekrönte „Dulsberg Late Night“ Show auf YouTube auf die Beine – mit Corona-Talks, einer zusammengeschnittenen Steppenwolf-Aufführung mit einzeln gefilmten Figuren oder einer Physik-Challenge zum Domino-Effekt. „Jetzt fragen die Schüler, wann endlich der nächste Lockdown und die nächste Show kommen“, sagt der Schulleiter.

Doch die Warnung der Akteure der kulturellen Bildung dürfte durchaus ernstzunehmen sein. Das „Sahnehäubchen“, als das sie häufig noch angesehen werde, falle auch dann weg, wenn es nach Schulschließungen darum gehen muss, den Stoff in den Basisfächern nachzuholen.

Und schon drohen die nächsten Einschnitte: Wenn wegen der staatlich finanzierten Corona-Hilfsprogramme die Etats für Künstlerprogramme an den Schulen gekürzt würden.

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