
© E. William Hamilton
Lasst Bisons wandern!: Freie Herden sollen Prärien in den USA erhalten
Millionen Bisons lebten einst in den Graslandschaften Nordamerikas. Das Ökosystem würde profitieren, wenn es gelänge, die Wanderungen der großen Pflanzenfresser zumindest in Teilen wieder zuzulassen.
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Es liest sich wie im Western-Schmöker: Prärien erstreckten sich von den Rocky Mountains im Westen bis zu den Großen Seen im Osten. In Nord-Süd-Richtung reichten sie von Kanada bis nach Texas. Die ikonische Graslandschaft Nordamerikas wurde rege gepflegt: Riesige Herden von Bisons (Bison bison) durchwanderten sie, fraßen Gras und andere Pflanzen, hinterließen ihre Hufspuren und ihre düngenden Hinterlassenschaften.

© Jacob Frank National Park Service
Doch das ist lange her. Ende des 19. Jahrhunderts waren die Tiere durch kommerzielle Jagd und US-Militäraktionen fast ausgerottet worden. Heute sind auch große Teile der Prärien zu Acker-, Weide- und Bauland umgewandelt. Doch es gibt Vorhaben, Bisons auf verbliebenen Flächen auszuwildern. Doch diese sind meist zu klein gedacht, sagen jetzt drei Biologen.
Produktive Weidegründe
Sie sehen in zumindest teilweise wiederhergestellten Tierwanderungen der Bisons die Zukunft dieser prähistorisch anmutenden Art und ihres Lebensraums Prärie: Tausende der großen Pflanzenfresser, die zusammenhängende Teile der Graslandschaft am Leben erhalten.
„Ökosysteme mit großen einheimischen Pflanzenfressern wie Bisons können in der heutigen Welt gut funktionieren“, schreibt das Team um Chris Geremia vom Yellowstone-Nationalpark im Fachjournal „Science“. Bisons in großen Herden ziehen zu lassen, sei möglich, wie sich in dem Nationalpark zeige.
„Das Ausmaß ihres historischen Verbreitungsgebiets wird nie wieder erreicht werden“, sagte Co-Autor Bill Hamilton von der Washington and Lee University dem Tagesspiegel. Aber durch die Rückkehr der Bisons in Teile dieses Gebiets könnten sie ihre ökologische Rolle zumindest dort wieder übernehmen.
In früheren Zeiten könnten es mehrere Zehnmillionen Bisons gewesen sein, die die Graslandschaft durchwanderten. Doch die Tiere wurden massenhaft abgeschossen – auch um eine Nahrungsquelle indigener Gemeinschaften zu zerstören. Auf dem Gebiet des Yellowstone-Nationalparks wurden im Jahr 1902 noch 23 Tiere gezählt. Heute leben dort wieder rund 5000 Bisons.
Die Tiere bewegen sich in großen Herden entlang rund 80 Kilometer messender Wanderrouten durch den Lebensraum und legen dabei im Jahr etwa 1000 Kilometer zurück. Auf ihren Wanderungen weiden die Bisons intensiv – in einigen Gebieten mehr, als in der Rinderhaltung für Weiden empfohlen wird, berichtet das Team um Geremia. Sie fressen etwa junge, nach der Schneeschmelze sprießende Pflanzen. Doch Anzeichen von Überweidung wie der Verlust von Arten und der fruchtbaren oberen Bodenschicht bleiben weitgehend aus.
Die Untersuchungen des Forschungsteams von 2015 bis 2021 im Nationalpark zeigen, dass Bisons durch ihre Weidetätigkeit den Stickstoffkreislauf der Prärie ankurbeln. Pflanzen auf den beweideten Flächen sind um 150 Prozent nährstoffreicher. Die Bisons stabilisieren die Produktivität der Prärie, indem sie beim Grasen die Menge an Mikroben im Boden erhöhen, wodurch mehr Stickstoff für Pflanzen verfügbar wird.

© Chris Geremia National Park Service
Der Lebensraum Prärie profitiere davon, dass Bisons, ähnlich wie Gnus in der ostafrikanischen Serengeti, stark beweidete Gebiete schaffen. Dort wächst eine kurze, nährstoffreiche Vegetation, die Lebensraum für eine Vielzahl weiterer Pflanzen- und Tierarten bietet. „Mit den derzeitigen großen Bisonherden funktionieren die Graslandschaften des Yellowstone-Nationalparks besser als ohne sie“, sagt Hamilton.
„Es gibt viele Hindernisse“
Derzeitige Schutzmaßnahmen für Bisons konzentrierten sich auf kleine Herden, die auf umzäunten Weiden gehalten werden. Für den Schutz der Bisons und der Prärien müsste man aber eine „Heterogenität der Auswirkungen“ auf größeren räumlichen Skalen betrachten, sagen die Biologen: mehr Weiden hier, weniger dort, aber in der Fläche und mit sich frei darauf bewegenden Bisonherden ein produktives Ökosystem.
Die Fragmentierung des Lebensraums sei eine der Herausforderungen, schreibt das Team. Zäune, Straßen und menschliche Siedlungen teilen heute die Prärie. Außerhalb von Schutzgebieten werden Bisons auch bejagt und die US-Regierung geht aktiv dagegen vor, dass die Tiere vom Yellowstone-Nationalpark aus größere Teile ihres früheren Lebensraums zurückerobern, um die Übertragung einer bakteriellen Infektionskrankheit auf Hausrinder zu verhindern.
Hamilton sieht auch die Sorgen der heutigen Einwohner: „Niemand möchte mit seinem Fahrzeug einen Bison anfahren oder Zäune beschädigt sehen.“ Es könne auch Nahrungskonkurrenz mit den Rindern von Viehzüchtern entstehen. „Es gibt viele Hindernisse“, sagt der Biologe, „die jedoch nicht unüberwindbar sind, wenn alle Beteiligten in den Prozess einbezogen werden.“
Das Autorenteam schließt, dass es möglich ist, große Herden von Bisons mit Wanderrouten von etwa 80 Kilometern wieder anzusiedeln. So arbeite etwa die American Prairie Reserve im US-Bundesstaat Montana eben darauf hin.
Nach der mündlichen Überlieferung der nordamerikanischen Lakota bemaßen deren Vorfahren die Größe von Bisonherden an der Zahl der Tage, die sie zum Vorbeiziehen benötigten. Auch wenn die frühere Tierwanderung verloren ist, könnte mit der Teil-Rückkehr der Bisons auch ein für indigene Stämme spirituell und kulturell bedeutendes Tier zurückgebracht werden, sagt Hamilton.
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