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Kontinent der Flüsse: Europäische Flussläufe nach Einzugsgebieten

© EEA, Copenhagen, 2012

Flüsse in Stücken: Mehr als eine Million Barrieren bremsen Europas Fließgewässer

Eine Untersuchung europäischer Flüsse zeigt, dass ein großer Teil der Hindernisse wie Staustufen, Dämme und Schleusen bislang übersehen wurde.

Die Anzahl von Hindernissen in europäischen Fließgewässern wurde um 61 Prozent unterschätzt. Das ist das Ergebnis einer neuen Erhebung, die im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde. Nach der aktuellen Schätzung gibt es in 36 Ländern mindestens 1,2 Millionen Querbauwerke im Lauf der Flüsse.

Das internationale Forschungsteam um Barbara Belletti von der Politecnico in Milan, Italien, und Carlos Garcia de Leaniz von der britischen Universität Swansea hat rund 2700 Kilometer Läufe von 147 Flüssen in Europa abgelaufen. Bislang gibt es keine Datenbank in der Bauwerke wie Staustufen und Schleusen erfasst werden.

„Das Ausmaß der Fragmentierung von Flüssen in Europa ist viel höher, als alle erwartet hatten", wird Belletti in einer Mitteilung des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zitiert.

Im europäischen Durchschnitt gibt es ein Hindernis alle etwa 1400 Meter Flusslauf. In Deutschland sind es etwa zwei Hindernisse pro Kilometer. Rund zwei Drittel sind weniger als zwei Meter hoch und wurden daher bislang oft übersehen, berichten die Forschenden.

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Trockene Bachläufe

Die größte Dichte an Hindernissen gibt es in Zentraleuropa, die geringste in abgelegenen Gebieten im Alpenraum. Vergleichsweise wenig eingeschränkte natürliche Flussläufe gibt es auf dem Balkan, in den baltischen Staaten und in Gebieten in Skandinavien. Diese seien dringend schutzbedürftig, schreiben die Wissenschaftler, da Aufstauungen geplant seien.

Die meisten Hindernisse werden angelegt um den Wasserfluss zu kontrollieren oder Straßenübergänge zu schützen. Kein Einzugsgebiet von Flüssen in Europa sei frei von Bauwerken. Die Studie fand im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts „Adaptive Management of Barriers in European Rivers“ statt.

„Es hat uns schockiert zu sehen, dass beispielsweise in Südosteuropa viele Bäche trocken lagen, weil das Wasser durch Druckstollen zu einem Wasserkraftwerk umgeleitet wurde“, sagt Helena Hudek vom IGB. Die Forscherin hat mit einem Team die behördlichen Statistiken zu Querbauwerken in 15 europäischen Ländern überprüft. In anderen Bächen hätten die Wissenschaftler fast keine Fische und Kleintiere gefunden, weil diese durch Wasserschwalle von einem Wasserkraftwerk regelmäßig weggespült wurden.

Wiederherstellung der Wanderrouten

„Viele Barrieren sind nicht mehr erforderlich, und ihre Beseitigung bietet beispiellose Chancen, die Durchgängigkeit der Fließgewässer zu verbessern", sagt de Garcia de Leaniz, der Koordinator von Amber. In Großbritannien, Spanien, Irland und Dänemark wurden bereits ungenutzte Wehre entfernt, in Dänemark wurden auf diese Weise 310 Fluss-Kilometer wieder verbunden.

„Der Amber-Barrierenatlas gibt uns die Möglichkeit, die Zerstückelung der Flüsse überall in Europa rückgängig zu machen“, sagt Martin Pusch vom IGB. Der Experte für das Management von Flussgebieten ist Koautor der aktiuellen Studie. Viele Barrieren seien durch einfache technische Maßnahmen zu sanieren, oder könnten ganz beseitigt werden.

Die Ökologen schlagen vor, Schleusen und große Wasserkraftwerke mit Fischpässen für beide Wanderrichtungen auszustatten und kleine Wasserkraftwerke, die kaum zur Energiewende beitragen, zurückzubauen.

So könnte der Bestand des Aals in Deutschland geschützt werden und auch Wanderfische wie Lachs und Stör könnten Bäche und Flüsse wieder besiedeln. „Gleichzeitig würden diese Gewässer fit für den Klimawandel gemacht und als Erholungsgebiete stark aufgewertet“, sagt Pusch.

Bürgerbeteiligung gewünscht

Die Ergebnisse von Amber sind in die Biodiversitätsstrategie 2030 der EU eingeflossen. „Sie werden dazu beitragen, wie vorgesehen bis 2030 mindestens 25.000 Kilometer der europäischen Flüsse wieder miteinander zu verbinden“, sagt de Garcia de Leaniz.

Mit der kostenlosen App Barrier Tracker können Interessierte sich an der Dokumentation von Barrieren in Gewässern beteiligen. Aus den Positionsdaten und Fotos wird eine Europakarte der Querbauwerke erstellt. Sie hilft, Prioritäten für Anpassungen und Rückbau der Barrieren zu setzen.

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