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Ist zwar keine Eule, hat aber Zacken: Die Zackeneule, Scoliopteryx libatrix, kann zudem auch etwas, was ihre Namenscousine aus der Klasse der Vögel nicht drauf hat: Blüten bestäuben.

© Richard Walton, UCL

Motten mögen auch die nicht so leckeren Blüten: Die verkannte Rolle der Nachtfalter bei der Bestäubung

Man sieht nur die im Licht. Doch sehr viel Pflanzensex läuft in der Nacht ab - mit Hilfe von Insekten, die so gar nicht summen wollen.

Nachtfalter spielen als Bestäuber von Pflanzen eine wichtige und oft übersehene Rolle.

Sie besuchten zwar zahlreiche Pflanzen, die auch von Bienen, Hummeln oder Tagfaltern angeflogen werden, britische Wissenschaftler im Fachblatt «Biology Letters». Darüber hinaus steuerten sie aber auch weniger beliebte Blütenpflanzen an. Ihr Pflanzennetzwerk sei insgesamt größer und komplexer als das von Bienen oder Tagfaltern.

Als Nachtfalter werden gemeinhin alle Schmetterlingsarten bezeichnet, die keine Tagfalter sind. Die umgangssprachlich - wenn auch wissenschaftlich unkorrekt - «Motten» genannten Insekten bilden eine äußerst diverse Gruppe: Nach Angaben der Naturschutzorganisation BUND zählen in Deutschland über 3300 Falterarten und damit mehr als 95 Prozent der heimischen Schmetterlingsarten zu ihnen. Dennoch werden sie oft übersehen, was daran liegen mag, dass viele ihrer Vertreter eine eher unspektakuläre, dunkle Flügelfarbe haben.

Pollen an der Brust

Obwohl es ihr Name vermuten lässt, werden nicht alle Nachtfalter erst nach Einbruch der Dämmerung aktiv. Doch gerade jene, die nachts über Wiesen und Felder fliegen, könnten in der komplexen Beziehung zwischen Pflanzen und bestäubenden Insekten einen bedeutenden Baustein darstellen, wie die Studie des Teams um Richard Walton vom University College London (Großbritannien) nahe.

Die Forscher hatten die Bestäubungswege von nachtaktiven Faltern und tagaktiven Bestäubern (Bienen, Wespen, Schwebfliegen und Tagfalter) rund um neun Teiche auf landwirtschaftlichen Flächen in Norfolk im Osten Englands, untersucht. Während der Anbausaison von März bis Oktober 2016 und 2017 erfassten die Wissenschaftler einmal im Monat, welche Pflanzen die Insekten wie häufig besuchten.

Von den 838 untersuchten Nachtfaltern transportierte knapp die Hälfte (45,5 Prozent) Pollen. Insgesamt identifizierten die Forscher 103 verschiedene Nachtfalter-Arten, darunter vor allem solche aus den Familien der Eulenfalter (Noctuidae) und der Spanner (Geometridae). Der Blütenstaub befand sich meist im Brustbereich der Falter und weniger an ihrem Saugrüssel.

Extensiv, aber effektiv

Wie Richard Walton in einer zur Studie veröffentlichten Mitteilung ausführt, würden die Falter beim Fressen auf der Blume sitzen, wobei ihre oft sehr haarigen Körper die Fortpflanzungsorgane der Pflanze berührten: «Dieser glückliche Zufall hilft dabei, den Pollen bei anschließenden Pflanzenbesuchen leicht zu verteilen.» Die Forscher fanden Pollen von 47 verschiedenen Pflanzenarten an den Faltern, darunter mindestens sieben von solchen, die von Bienen (Apidae), Schwebfliegen (Syrphidae) und Tagfaltern kaum besucht werden.

Die Wissenschaftler schließen, dass das Pollen-Transport-Netzwerk der Nachtfalter größer und komplexer sei als das der Tagesbestäuber. «Hummeln und Honigbienen sind zwar als Superbestäuber bekannt, zielen aber auch bevorzugt auf die produktivsten Nektar- und Pollenquellen ab», merkt Walton an. Im Vergleich würden Nachtfalter als Bestäuber weniger effektiv erscheinen: «Ihre große Diversität und Häufigkeit könnte sie aber für die Bestäubung auf eine Weise entscheidend machen, die wir noch verstehen müssen.»

Auf der Roten Liste

Für den Biologen komplementierten Nachtfalter die Arbeit der Tagesbestäuber und würden so zu vielfältigen und reichhaltigen Pflanzenpopulationen beitragen. «Unsere Studie zeigt, dass mehr Forschung nötig ist, um ihre einzigartige und wichtige Funktion als Bestäuber zu verstehen, einschließlich ihrer derzeit unbekannten Rolle bei der Bestäubung von Kulturpflanzen», ergänzt Mitautor Jan Axmacher. Der Geoökologe betont, dass Nachtfalter bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen und Strategien zur Insektenerhaltung berücksichtigt werden müssten, nicht zuletzt, um ihren Rückgang zu verhindern.

Tatsächlich stehen immer mehr Schmetterlingsarten auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Auch in Deutschland gelten nach Angabe von BUND die Hälfte aller Nachtfalterarten als gefährdet. Neben dem Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln in der Landwirtschaft und schrumpfenden Lebensräumen bedroht auch die wachsende Zahl künstlicher Lichtquellen die Insekten.

Dass diese einen direkten Einfluss auf die nächtliche Bestäubung von Pflanzen hat, zeigte eine Schweizer Studie im Fachblatt «Nature» bereits 2017: Der Untersuchung zufolge verringerte sich die nächtliche Bestäubung von Wiesenpflanzen um fast zwei Drittel, wenn in der Nähe Laternen leuchteten. Den Rückgang konnten auch Tagbestäuber wie Bienen nicht ausgleichen. (Alice Lanzke, dpa)

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