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Mit einem 3-D-Ultraschall lassen sich eventuelle Fehlbildungen des Ungeborenen erkennen, die nicht immer eine vermeidbare Ursache haben, sondern mitunter einfach „zufällig“ passieren.

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Update

Nach Berichten über Fehlbildungen bei Babys: „Wir möchten Panik verhindern“

Nach drei Neugeborenen mit Fehlbildungen wollen die Länder mehr Informationen einholen. Sachsen-Anhalt sammelt solche Fälle seit Jahren.

Seit vor einigen Tagen eine Geburtsklinik in Nordrhein-Westfalen mit der Information an die Öffentlichkeit gegangen ist, dass in den letzten Monaten dort drei Kinder mit ähnlichen Fehlbildungen an den Handtellern und an den Fingern geboren wurden, sind viele Schwangere verunsichert.

Aber sind drei Fälle noch statistisch normal oder schon eine auffällige Häufung? Und sind Forderungen von Politikern mit und ohne gesundheitspolitischer Expertise nach einem Nationalen Fehlbildungs-Register, in dem alle Fälle gesammelt und für Auswertungen verfügbar gemacht werden, sinnvoll?

Die Länder wollen nun zunächst mehr Informationen einholen. Dazu soll bei Krankenhäuser in den Ländern abgefragt werden, ob ähnliche Fehlbildungen aufgefallen sind. Das sei am Dienstag bei einer Telefonkonferenz vereinbart worden, teilte ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums in München mit.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erläuterte in Berlin, Nordrhein-Westfalen koordiniere gerade, dass es überhaupt eine Datenerhebung gebe. Es gelte zunächst die Faktenlage zu klären, ob es tatsächlich zu gehäuften Fehlbildungen gekommen sei. Spahn warnte davor, „durch Spekulationen aller Art“ Menschen zu verunsichern. Er zeigte sich grundsätzlich offen für ein zentrales Register, wie es Mediziner fordern. Er verwehre sich nicht dagegen, sagte Spahn am Dienstagabend in Berlin beim „Berliner Salon“ des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Er sei bereit, auch mit Fachgesellschaften zu schauen, ob und wie dies gehen könne. Der Minister bekräftigte zugleich, es sollten Schlussfolgerungen gezogen werden, „wenn wir etwas wissen“.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte erklärte, Fehlbildungen könnten unterschiedliche Ursachen haben. Er forderte ein bundesweites Register.

Das Bundesland Sachsen-Anhalt kann in dieser Hinsicht (neben der Region Mainz) als Vorreiter gelten. Von der dortigen Landesregierung wird schon seit dem Jahr 1995 ein „Fehlbildungs-Monitoring“ finanziert. Das landesweite Register basiert auf einem bereits 1980 begonnenen Register der Stadt Magdeburg und sammelt Meldungen aus Geburts- und Kinderkliniken, Ergebnisse der vorgeburtlichen Diagnostik und von Untersuchungen direkt nach der Geburt.

Drei Fälle in kurzer Zeit sind auffällig, aber kein Beweis für eine gemeinsame Ursache

In den standardisierten Meldebögen wird aber auch nach Dingen wie der Einnahme von Folsäure gefragt, die Frauen rund um den Zeitpunkt der Empfängnis seit Jahren nachdrücklich empfohlen wird. Ein Mangel an Folsäure kann zu Defekten am Neuralrohr führen, dem „offenen Rücken“.

Die Daten des an der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg angesiedelten Registers sollen nicht zuletzt für wissenschaftliche Zwecke nutzbar gemacht werden.

„Wir möchten größtmögliche Sicherheit bieten und damit auch Panik verhindern“, sagt die Ärztin Anke Rißmann, Leiterin des Fehlbildungs-Monitorings. In einem Lebensbereich, der von schicksalhaften Belastungen geprägt sei, solle die Verfügbarkeit verlässlicher Daten helfen, zusätzliche Belastungen zu vermeiden, die nicht zuletzt bei den betroffenen Familien durch Unsicherheit und die quälende Suche nach Ursachen entstehen.

„Rund vier Prozent aller Schwangerschaften sind von Fehlbildungen betroffen, darunter auch solche, die lebensbedrohlich sind“, berichtet die Medizinerin. In vielen Fällen wird das in vorgeburtlichen Untersuchungen schon früh in der Schwangerschaft klar – und endet dann unter Umständen in einem Schwangerschaftsabbruch. Eines von 1600 bis 1800 Neugeborenen wird laut Register mit Fehlbildungen an Armen, Händen und Füßen geboren. Im statistischen Mittel. Dass in einer einzelnen Klinik in Nordrhein-Westfalen gleich mehrere Fälle auftraten, mag auffällig erscheinen, ist aber nicht automatisch der Beweis für eine gemeinsame und vermeidbare Ursache. In Sachsen-Anhalt habe es zudem keinen Anhalt für eine Häufung gegeben, sagt Rißmann. „Für mein Bundesland kann ich Entwarnung geben.“

Seit Contergan hat sich viel getan

Was Menschen schnell umtreibt, wenn es Hinweise auf eine Häufung von Fehlbildungen gibt, ist der in den Jahren 1960/1961 aufgedeckte Contergan-Skandal. Die Substanz Thalidomid hatte damals für Fehlbildungen und das Fehlen von Gliedmaßen und Organen bei bis zu 10.000 Kindern in aller Welt geführt, deren Mütter das Mittel in den ersten Monaten der Schwangerschaft eingenommen hatten.

Seitdem hat sich in Sachen Arzneimittelsicherheit allgemein und speziell während der Schwangerschaft viel getan. „Es gibt seit langem ein zusätzliches Netz“, sagt Rißmann. Generell werden unerwünschte Wirkungen von Medikamenten nach der Markteinführung in der „Post-Marketing-Surveillance“ streng überwacht. Verfügbare Daten speziell zu Medikamenten in der Schwangerschaft werden Ärzten und Laien in Deutschland derzeit vom an der

Berliner Charité angesiedelten Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum Embryonaltoxikologie zur Verfügung gestellt (www.embryotox.de). Insgesamt seien die Schwangeren auch deutlich vorsichtiger geworden, sagt Rißmann. „Der überwiegende Teil der Schwangeren nimmt keine Medikamente.“
Die meisten Fehlbildungen seien „absolut schicksalhaft“, betont die Leiterin des Sachsen-Anhaltinischen Fehlbildungsregisters. Neben genetischen Ursachen spielen dafür vor allem winzige Unregelmäßigkeiten bei der Entwicklung des Embryos eine Rolle – die einfach vorkommen.
Die Daten aus Sachsen-Anhalt werden übrigens, repräsentativ für ganz Deutschland, seit 20 Jahren in ein europäisches Netzwerk eingespeist, die „European Surveillance of Congenital Anomalies“ (kurz Eurocat). Daten aus ganz Deutschland zu haben, findet Rißmann ausgesprochen erstrebenswert. Doch es werde dauern, bis sie wirklich aussagekräftig werden, denn dafür brauche man die solide Basis der jahrelangen Beobachtung von Fehlbildungs-Häufigkeiten.

Auch Frankreich sammelt Daten

Zur Empfehlung, landesweit Daten zu sammeln, kam in diesem Juli auch im Nachbarland Frankreich eine Expertenkommission. Sie kritisieren, dass, anders als in Schweden oder Finnland, in Frankreich derzeit nur knapp ein Fünftel des Landes über Fehlbildungsregister verfügt. Die Kommission war eingesetzt worden, weil zwischen 2011 und 2014 aus drei französischen Regionen eine Häufung von Geburten von Kindern ohne Arm, Unterarm oder Hand gemeldet worden war.

Die Eltern der Kinder, die allesamt in landwirtschaftlichen Regionen leben, haben unter anderem Pestizide im Verdacht. Die Experten fanden bisher keine statistische Auffälligkeit, raten aber dazu, in einer Metaanalyse die Studien zum Thema unter die Lupe zu nehmen. Und das, obwohl ein Zusammenhang mit einem der dort behandelten Stoffe extrem unwahrscheinlich sei.

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