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Eine Schule, in der Abitur geschrieben wird.

© dpa/Sina Schuldt

Nach der Hochschulreife: Verlängert die Halbwertszeit des Abiturs!

Für das Abitur wird lange gearbeitet, doch schon bald nach dem Abschluss interessieren sich nur noch wenige dafür. Da sollte man doch was ändern.

Barış Ünal
Eine Kolumne von Barış Ünal

Stand:

Vermutlich gibt es kaum einen Bildungsabschluss, der über ein Jahrzehnt lang hart erarbeitet werden muss und danach – zumindest vom Grad der Begeisterung – eine so geringe Halbwertszeit aufweist, wie die Hochschulreife.

Auch falls für ein kommendes Studium zumindest noch die Abiturnote durch eine Bewerbungsplattform genudelt werden muss, herrscht in der Familie anschließend für den Rest des Lebens meist höfliches Desinteresse, wenn es um Epen aus der Abiturzeit geht. Wer sich für einen NC-freien Studiengang entscheidet, durchlebt noch nicht einmal den kurzen Nervenkitzel einer Studienbewerbung.

Studienberater*innen kennen den Anflug von Enttäuschung in den Gesichtern, wenn endgültig dämmert, dass die Abiturnote für den Studienplatz in Mathematik oder Physik völlig unerheblich war. Eigentlich paradox, wenn Kindern unmittelbar nach der Geburt eingebimst wird, wie wichtig Noten und Abschlüsse („gerade hier in Deutschland!“) sind, um nach 12, 13 Schuljahren das Abiturzeugnis beiseite zu legen und sich dann patenonkelig nach den nächsten, jetzt aber wirklich wichtigen Karriereschritten zu erkundigen.

Sicherlich, es gibt Menschen, die im Herbst des Berufslebens ungerührt ihren Lebenslauf seit Musikschule, Seepferdchen und Abiturprüfung in allen Nuancen auf Karriereplattformen hochladen – aber auch da kann bezweifelt werden, ob das den Schmerz der fehlenden Anerkennung von damals, nach dem Abitur lindert.

Was ist dann erst mit den Generationen, die pandemiebedingt kaum eine Chance hatten, sich von den prägendsten Jahren ihres Lebens mit Abistreichen, Abifeiern und Abireisen zu verabschieden? Schließlich sind das beim Abitreffen in 20 Jahren oft die einzig verbliebenen Gemeinsamkeiten mit den mittlerweile gealterten ehemaligen Mitschüler*innen.

Deshalb an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch dem Abiturjahrgang 2024, zusammen mit einem Plädoyer für Gravitas statt schlanker Prozesse, gegen Digitalisierung und für eine Rückkehr zu deutschen Kernkompetenzen in Form distinguierter Bürokrat*innen, die Abiturzeugnisse misstrauisch prüfen, händisch beglaubigen, akribisch stempeln und warum nicht auch wieder mit Siegelwachs beträufeln.

Nur so wird der Allgemeinen Hochschulreife die notwendige Seriosität zuteil, die es braucht, um einen neuen Lebensabschnitt angemessen einzuläuten.

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