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young sad beautiful woman suffering depression looking worried and wasted on home balcony with an urban view in lonely depressed and desperate female concept

© Wordley Calvo Stock - stock.adobe.com

Pandemiefolgen: Psychische Gesundheit laut Studie nur „minimal“ beeinträchtigt

Entgegen vieler Befürchtungen scheinen Depressionen und Angsterkrankungen im Mittelwert kaum zugenommen zu haben.

Vor einem „weltweiten Tsunami psychischer Erkrankungen“ wurde mitunter gewarnt, hervorgerufen durch Isolation und Angst. Doch laut einer neuen Studie hat die Pandemie die psychische Gesundheit der meisten Menschen nicht so stark beeinträchtigt, wie frühere Untersuchungen vermuten ließen. Die im British Medical Journal veröffentlichte Analyse kommt zu dem Schluss, dass es im Durchschnitt nur "minimale" Veränderungen bei den Symptomen für psychische Erkrankungen gab.

Viele schlechte Studien

Vor einem „weltweiten Tsunami psychischer Erkrankungen“ wurde mitunter gewarnt, hervorgerufen durch Isolation und Angst. Doch laut einer neuen Studie hat die Pandemie die psychische Gesundheit der meisten Menschen nicht so stark beeinträchtigt, wie frühere Untersuchungen vermuten ließen. Die im British Medical Journal veröffentlichte Analyse kommt zu dem Schluss, dass es im Durchschnitt nur "minimale" Veränderungen bei den Symptomen für psychische Erkrankungen gab.

Lediglich bei Frauen ergaben einige der Studien, dass sich während der Pandemie Angstzustände, Depressionen oder allgemeine psychische Gesundheitssymptome verschlimmert hatten. Ursache könnten mehr zu bewältigende familiäre Verpflichtungen sein, aber auch häufigere Tätigkeit im Gesundheits- oder Sozialwesen. In einigen Fällen könne ein Mehr an häuslicher Gewalt eine Rolle spielen.

Es gibt nun einmal Risikogruppen, die Hilfe brauchen

Carolin Thönnissen, Familienforscherin am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität Köln

Brett Thombs, Psychiatrieprofessor an der McGill University und Hauptautor der Studie, sagte gegenüber dem britischen Guardian, dass einige der öffentlichen Darstellungen über die Auswirkungen von Covid-19 auf die psychische Gesundheit auf "minderwertigen Studien und Anekdoten" beruhten, die zu "sich selbst erfüllenden Prophezeiungen" würden, und fügte hinzu, dass es einen Bedarf an "strengerer Wissenschaft" gebe.

Junge Frauen mehr betroffen

„Das Ergebnis es Reviews überrascht mich sehr“, sagt Carolin Thönnissen vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität Köln. Die Familienforscherin war an einer der Studien beteiligt, die in die Übersichtsarbeit eingeflossen sind, die also die Qualitätskriterien der Kanadier erfüllt haben. Im Mai 2020 hatte die psychische Gesundheit von 854 Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittels Fragebogen ermittelt und mit früheren Werten verglichen.

„Der Anteil derer, die Anzeichen einer klinischen Depression zeigten, war von zehn auf 25 Prozent gestiegen, das hat uns erschreckt“, erinnert sie sich. Besonders belastet seien junge Frauen mit migrantischem Hintergrund gewesen. Allerdings, räumt Thönnissen ein, könne sie nicht ausschließen, dass vieles sich nun wieder beruhigt habe. Das Ergebnis der kanadischen Studie habe dennoch „eine verheerende Außenwirkung“, betont Thönnissen. „Es gibt nun einmal Risikogruppen, die Hilfe brauchen – ein Bedarf, der oft nicht gedeckt wird.“

Ältere Menschen profitierten

„Das Ergebnis hat mich nicht sehr überrascht“ kommentiert dagegen der renommierte Risiko- und Resilienzforscher Ortwin Renn. Schon länger wisse man, dass entgegen den Erwartungen bei den älteren Menschen in Europa Depressionen und andere psychische Erkrankungen in der Pandemie eher zurückgegangen seien und bei jüngeren eher zugenommen hätten. Hier müsse man also differenzieren, Mittelwerte seien manchmal irreführend. „Es gab bestimmte Gruppen, die stärker gelitten haben als andere“, so Renn.

Der soziale Zusammenhalt wird besser, wenn es einen gemeinsamen Feind gibt

Peter Tyrer, emeritierter Professor für Gemeindepsychiatrie am Imperial College London

Ähnlich äußerte sich auch Gemma Knowles vom Centre for Society and Mental Health am King's College London. Die Ergebnisse stünden im Einklang mit anderen Forschungsergebnissen, darunter auch ihren eigenen, die zeigten, dass sich die psychische Gesundheit einiger Menschen während der Pandemie verbessert und die anderer verschlechtert habe, was keine allgemeine Zunahme bedeuten könne.

Sie fügte hinzu, dass die Studie, die eine breite Sichtweise einnimmt und nur begrenzte, nach Untergruppen aufgeschlüsselte Analysen enthält, "die Gefahr birgt, dass wichtige Auswirkungen auf die am stärksten betroffenen und benachteiligten Gruppen verschleiert werden, und dass dadurch eine mögliche Vergrößerung der Ungleichheiten bei psychischen Problemen, die durch die Pandemie entstanden sind, verschleiert wird".

Prof. Peter Tyrer, emeritierter Professor für Gemeindepsychiatrie am Imperial College London, betonte jedoch, dass die Arbeit von McGill "von guter Qualität ist und vieles von dem widerspiegelt, was wir heute wissen".

Er stimmte der Schlussfolgerung der Forscher zu, dass sich die Pandemie ähnlich positiv auf die Widerstandsfähigkeit wie Kriege auswirkt, weil "der soziale Zusammenhalt trotz der Nachteile von Abriegelung und sozialer Distanzierung besser wird, wenn es einen gemeinsamen Feind gibt".

Mitarbeit: Jan Kixmüller

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