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Der Thwaites-Gletscher im Südwesten der Antarktis gilt als einer der großen Risikofaktoren der Erderwärmung.

© Foto: dpa/Jim Yungel

Meeresspiegel könnte um drei Meter steigen: Der „Doomsday-Gletscher“ in der Antarktis droht zu kollabieren

Der Eisriese in der südwestlichen Antarktis zeigt zunehmend Auflösungserscheinungen. Von seinem Kollaps wären zahlreiche Küstenstädte betroffen.

Der Thwaites-Gletscher in der Antarktis droht, sich in den kommenden Jahren schneller zurückzuziehen als bislang angenommen. Das könnte zu einem raschen Abschmelzen führen, was einen dramatischen Anstieg des Meeresspiegels zur Folge hätte. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung hervor, die am Montag, 5. September 2022, in der Zeitschrift „Nature Geoscience“ veröffentlicht wurde.

Wissenschaftler haben den Rückzug des Gletschers in der Vergangenheit analysiert. Der Blick in die Klimageschichte soll helfen, die Entwicklung in der Zukunft besser einschätzen zu können.

Wegen des hohen Risikos eines Kollapses des Eisriesen und dem damit einhergehenden starken Anstieg des globalen Meeresspiegels wird der Thwaites auch als „Doomsday-Gletscher“ bezeichnet – der demnach eines Tages den „Weltuntergang“ einleiten könnte.

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Die Ergebnisse der Forschenden geben Anlass zur Sorge. Durch seinen Kollaps könnte der Gletscher den Meeresspiegel um mehrere Meter anheben und einen Dominoeffekt auslösen.

Der Thwaites-Gletscher liegt im Westen der Antarktis.
Der Thwaites-Gletscher liegt im Westen der Antarktis.

© Grafik: Tagesspiegel/Bartel

Die potenziellen Auswirkungen des Rückzugs des Gletschers seien erschreckend, hieß es in einer Mitteilung zu der Studie. Forschende gehen mittlerweile davon aus, dass ein vollständiger Verlust des Gletschers und des umliegenden Eises einen Meeresspiegel-Anstieg um 90 Zentimeter bis zu drei Meter innerhalb weniger Jahrhunderte zur Folge haben könnte.

Der Thwaites-Gletscher ist mit 192.000 Quadratkilometern fast so groß wie Großbritannien. Würde das gesamte Westantarktische Eisschelf als Folge des Thwaites-Kollapses zusammenbrechen, könnte der Meeresspiegel global so weit ansteigen, dass Städte wie San Francisco, New York, Miami, London oder Jakarta überflutet würden.

Risiko höherer Sturmfluten auch an Nord- und Ostsee

Für einige Pazifikstaaten wie Kiribati oder tiefliegende Länder wie die Niederlande oder Bangladesch wären die Folgen katastrophal. Rund 680 Millionen Menschen leben weltweit an Küsten oder auf kleinen Inseln. Auch für die deutschen Nord- und Ostseeküsten sowie für Städte wie Bremen oder Hamburg besteht durch den Anstieg des Meeresspiegels ein erhöhtes Risiko, da Sturmfluten in Zukunft öfter und höher auflaufen könnten.

„Das Verständnis der jüngsten Geschichte des Thwaites-Gletschers und der Prozesse, die seinen anhaltenden Rückzug steuern, ist der Schlüssel zur Projektion der Beiträge der Antarktis zum zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels“, schreiben die Forschenden in der Studie. Und weiter: „Besonders besorgniserregend ist, wie sich die Gletscherbodenzone in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte, die das Eis am Meeresboden hält.“ Der Gletscher stabilisiert durch seine Lage auch den gesamten westantarktischen Eisschild.

Die Forschenden nutzten geophysikalische Daten eines autonomen, mit Sensoren ausgestatteten Unterwasserfahrzeugs, das an der Eisfront des Thwaites-Gletschers eingesetzt wurde. Somit konnten sie einen vergangenen Rückzug des Gletschers anhand der Beschaffenheit des Meeresbodens an einem Unterwasser-Höhenzug dokumentieren. Solche Veränderungen wurden durch das Heben und Senken der Gezeiten verursacht, als der Gletscher noch eine größere Ausdehnung hatte als heute.

Rapide Auflösungserscheinungen Mitte des 20. Jahrhunderts

Die Forschenden stellten fest, dass sich der vordere Teil des Gletschers irgendwann in den vergangenen zwei Jahrhunderten einmal innerhalb von weniger als sechs Monaten vom Meeresboden abgelöst und dann mit einer Geschwindigkeit von 2,1 Kilometern pro Jahr zurückgezogen hatte. Das ist doppelt so schnell wie die Rate, die Wissenschaftler zwischen 2011 und 2019 durch Satelliten in dem Teil der Erdungszone beobachtet haben, der sich am schnellsten zurückzieht.

Der Thwaites hält sich an seinen Fingernägeln fest.

Robert Larter, Co-Autor der Studie

„Unsere Ergebnisse deuten auf anhaltende Impulse eines schnellen Rückzugs am Thwaites-Gletscher in den letzten zwei Jahrhunderten hin“, schreiben die Forschenden in der Studie. Diese rapide Auflösung trat möglicherweise erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf, sagte Alastair Graham, der Hauptautor der Studie und Meeresgeophysiker an der University of South Florida laut einer Pressemitteilung.

Die Menge des Meereises trägt entscheidend zur Stabilität der Gletscher bei.  
Die Menge des Meereises trägt entscheidend zur Stabilität der Gletscher bei.  

© Foto: Lars Grübner/Alfred-Wegener-Institut

Die Forschenden vermuten, dass sich der Gletscher in naher Zukunft ähnlich schnell zurückziehen könnte, sobald er den Kontakt zu der Erhebung am Meeresboden verliert, die ihn fixiert.

„Der Thwaites hält sich an seinen Fingernägeln fest, und wir erwarten in Zukunft große Veränderungen über kleine Zeiträume – sogar von einem Jahr zum nächsten – sobald sich der Gletscher über einen flachen Bergrücken in seinem Bett zurückzieht“, sagte Robert Larter, ein Meeresgeophysiker und einer der Co-Autoren der Studie vom British Antarctic Survey.

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Der Thwaites-Gletscher beschäftigt die Forschung seit Jahrzehnten. Bereits 1973 wurde über ein hohes Kollapsrisiko gemutmaßt. Schließlich fanden Forschende heraus, dass warme Meeresströmungen den Gletscher an seiner Unterwasserkante schmelzen, da der Eiskoloss auf dem Meeresboden und nicht auf trockenem Land aufliegt. So könnte die Eismasse von unten her destabilisiert werden.

Mittlerweile weiß die Wissenschaft, dass der unter Dauerbeobachtung stehende Gletscher seit Jahren immer brüchiger wird und seine Eismasse abnimmt. „Momentan verliert der Gletscher jedes Jahr ungefähr 50 Milliarden Tonnen mehr, als er durch Schneefall wieder gewinnt“, sagte Keith Nicholls, ein Experte des British Antarctic Survey, bereits 2020. „Somit wird der Gletscher momentan also immer kleiner.“ Schon heute trage der Gletscher rund vier Prozent pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei.

Hauptsächlich drei Faktoren tragen zum Kollaps des Schelfeises bei: die Erwärmung des Ozeans, die Erwärmung der Atmosphäre sowie die Menge des Meereises. In dieser Saison wurde deutlich weniger Meereis registriert. Dadurch wurden die Eisschelfe in der Antarktis anfällig für Wellen und andere atmosphärische Einflüsse.

Zoë Thomas, eine Antarktis-Expertin der University of New South Wales in Sydney, verweist auf Klimamodelle, wonach der vom Menschen verursachte Klimawandel einen Großteil dieser Veränderungen in der Antarktis verursacht hat. Erschreckend sei, wie sehr sich der Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen Jahren beschleunigt habe. „Früher war der Zeitrahmen immer mehrere hundert Jahre, jetzt sprechen wir von zwei oder drei Dekaden – es ist also etwas, das uns alle in unserer Lebenszeit treffen kann.“

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