zum Hauptinhalt
Quarantäne. 122 aus China zurückgekehrte Deutsche wurden in Frankfurt inzwischen unter Quarantäne gestellt. Bislang wurde nur bei zweien das Coronavirus nachgewiesen, ernsthaft erkrankt sind sie jedoch nicht. Dennoch bleiben sie weiter isoliert.

©  Boris Roessler/dpa

Seuchenvorsorge gibt es nicht kostenlos: „Die Pandemie kommt – jetzt oder später“

Deutschland sei auf die Coronavirus-Epidemie gut vorbereitet, meint Gesundheitsminister Spahn. Der Seuchenschützer René Gottschalk „zweifelt hin und wieder“.

Herr Gottschalk, als Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts sind Sie auch für den Flughafen zuständig. Haben Sie die 122 Deutschen aus Wuhan persönlich entgegengenommen?

Selbstverständlich. Wir haben dort kurzfristig ein medizinisches Lagezentrum eingerichtet, um die Passagiere in Empfang zu nehmen. Es kamen mehr als 30 Mitarbeiter meines Hauses, trotz Wochenende. Natürlich war ich auch dabei. Wenn die anderen ihr Wochenende opfern, dann muss ich das auch machen. Und ich bin ja auch nicht ganz unerfahren mit Coronaviren. Ich habe über das Sars-Virus habilitiert.

Haben Sie damals auch Menschen unter Quarantäne gestellt?
Ja, sogar mit Unterstützung der Bundespolizei. Diesmal hatten wir ja nur dankbare Menschen, die froh waren, endlich aus Wuhan raus zu sein. Aber damals, das war 2003, kam ein Jumbo mit 270 Menschen aus den USA an, bei dem erst in der Luft klar wurde, dass ein Mann mit Sars an Bord ist. Ein paar sehr selbstbewusste amerikanische Geschäftsleute wollten nicht einsehen, dass wir Ärzte sie einfach so dabehalten dürfen.

[Unser Liveblog zur Coronavirus-Epidemie: Veränderte Fallzahlen, Testergebnisse der Wuhan-Rückkehrer und neue Erkenntnisse aus der Forschung]

Und dann?
Also die Beamten von der Bundespolizei waren so nett, das den Herren klarzumachen (lacht).

Quarantäne kann auch gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden?
Auf jeden Fall. In dem Moment, in dem ein Amtsarzt das anordnet, gilt es. Wir leben in einem Rechtsstaat. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann gerichtlich dagegen vorgehen. Das hat aber im Fall der Quarantäne keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht entscheidet, während der Verdachtspatient in Obhut bleibt.

Hintergrund über das Coronavirus:

Die Rückkehrer aus Wuhan sind nach wie vor einverstanden, dass sie in der Kaserne bleiben sollen?
Ja. So glückliche Patienten hatten wir selten. Sie haben applaudiert, als sie uns sahen. Die Lage in China war für sie sehr belastend. Das jetzt ist ein Spaziergang.

Haben sie sich freiwillig testen lassen?
Die meisten sofort, eine nach ein bisschen Bedenkzeit.

Warum müssen trotzdem alle in der Kaserne bleiben?
Noch ist die Inkubationszeit nicht durch. Theoretisch könnten sie noch erkranken.

Kennen Sie die Inkubationszeit? Noch ist das Gegenstand der Forschung...
Wir gehen von maximal 14 Tagen aus. Das ist der längste bei dieser Virengruppe bisher dokumentierte Zeitraum von der Ansteckung bis zu ersten Symptomen.

Einer am Montag veröffentlichten chinesischen Studie zufolge sollen Inkubationszeiten von bis zu 24 Tagen vorkommen. Muss die Quarantäne verlängert werden?

Nein, erstmal bleiben wir bei dem, was wir sicher wissen. Im Moment kommen überall alle möglichen Daten hoch, die wissenschaftlich erst überprüft werden müssen.

Was haben Sie sonst für einen Eindruck von der neuen Infektion?
Sie ist Sars sehr ähnlich, aber auch ganz anders. Es gibt offenbar viel mehr asymptomatische Infektionen. Einer der beiden Infizierten hier hat überhaupt keine Beschwerden. Nicht mal ein bisschen Husten. Und der andere hatte zwar ein wenig Halsweh. Das war aber Tage, bevor er abgeflogen ist, und daraus hat sich nie eine richtige Symptomatik entwickelt.

Solche erkältungsartigen Verläufe sah man bei dem Sars-Virus nur bei Kindern. Die Menschen über 50 dagegen wurden dort alle sehr krank, jeder zweite in dieser Gruppe ist gestorben. Das scheint hier nicht der Fall zu sein. Todesfälle sind in allen Gruppen viel seltener.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Aber nCoV scheint doch viel ansteckender zu sein? In München hat ein einziger Mensch sechs weitere angesteckt?
Stimmt, das ist ein sehr interessantes Cluster. Das Virus dort oder die erste Patientin scheinen irgendwie besonders zu sein. Es macht mich aber nicht unruhig: Würde das Virus generell so infektiös sein, dass also ein Anfangspatient sechs bis sieben Menschen anstecken kann, dann sähen wir eine explosionsartige Vermehrung rund um den Erdball. Tatsächlich aber ist die Zunahme der Fälle im Moment linear, sogar mit leichter Abflachung – das spricht für zwei bis drei Angesteckte pro Erkranktem.

Für uns ist jetzt die drängendste, für die Eindämmung entscheidendste Frage: Wie lange nach der Infektion werden noch aktive Viren ausgeschieden? Das untersuchen die Forscher der Uniklinik Frankfurt gerade intensiv. Von den beiden dort isolierten nCoV-Patienten gehen jeden Tag mehrfach Proben in ein Labor. Dort werden die Viren mit menschlichen Zellen zusammengebracht. So lange die Erreger die Zellen in der Kultur schädigen können, sind ihre Träger auch noch für andere Menschen ansteckend.

Sie leiten nicht nur das Frankfurter Gesundheitsamt. Sie sind auch der Sprecher des sogenannten STAKOB. Das ist ein Arbeitskreis von Infektionsspezialisten, der sich um die Einschätzung besonderer Infektionsgefahren kümmert, Sie und ihre Kollegen geben Empfehlungen, wie Menschen mit nCoV isoliert und therapiert werden sollten. Die STAKOB will Deutschland für Situationen genau wie diese präparieren, in denen eine weltweite Pandemie mit einem neuen Erreger droht. Sind wir denn gut vorbereitet?
Technisch auf jeden Fall. Das Virus erfordert unserer Meinung nach die zweithöchste Schutzstufe, „S3“, schon geringe Mengen sind ansteckend. Das klingt erstmal kritisch, ist aber eine Kategorie, die die Krankenhäuser aus dem FF kennen: Sie müssen genauso vorgehen, wie bei einer offenen Tuberkulose.

S3 macht aber hohe Auflagen! Da braucht es nicht nur eine Maske mit Virenfilter, es dürfen auch nur geschulte Mitarbeiter die Zimmer über eine Schleuse betreten, damit die möglicherweise infizierte Schutzkleidung gewechselt werden kann, bevor man auf den Flur geht, wo alle anderen entlanglaufen. Wie viele solcher Betten gibt es?
Richtige Isolierbetten mit Unterdruck und Schleuse gibt es 50 in ganz Deutschland. Das ist aber nur eine Zahl auf dem Papier. Sie sagt ja nicht, mit wie vielen Sie wirklich rechnen können. Mal wird in einem der Zimmer die Technik repariert, mal anderweitig belegt.

Zum Glück ist Unterdruck unserer aktuellen Einschätzung nach bei nCoV nicht nötig, weil die Luftausbreitung auf etwa einen Meter eingeschränkt scheint. Schleusen sind nichts, was fertig gebaut sein muss, wer für große Ausbrüche trainiert hat, kann das auch nachträglich vor die Zimmertür bauen, mit Panzerband und Folie. Wir sind also nicht auf diese 50 Plätze begrenzt, die Kliniken könnten im Ernstfall Hunderte Coronavirus-Patienten aufnehmen.

Auf Tagesspiegel-Anfrage sagten Berlin und Hamburg, sie würden notfalls normale Krankenzimmer in Isolierzimmer umwandeln. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, das geht. Am wichtigsten ist, dass die Dienstpläne so umgestellt werden, dass die Kranken ihre eigenen Pfleger bekommen können. Einer, der im Zimmer bleibt, kann den Keim nicht aus Versehen von Zimmer zu Zimmer tragen. Damit das nicht die Personalpläne sprengt, ist es auch sinnvoll, mehrere Infizierte zusammen in eine Klinik in ein Zimmer zu legen.

Der Infektionsmediziner René Gottschalk ist Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts und Gründer der STAKOB – die Instanz, die bei Seuchengefahr die Maßnahmen für Deutschland vorgibt.
Der Infektionsmediziner René Gottschalk ist Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts und Gründer der STAKOB – die Instanz, die bei Seuchengefahr die Maßnahmen für Deutschland vorgibt.

© Thomas Lohnes/AFP

Das neue Coronavirus ist nur eine unter vielen Möglichkeiten. Ebola-Ausbrüche werden immer größer, nach wie vor fürchten viele Forscher eine virulenter gewordene Grippe als Plage der Zukunft. Sind wir darauf vorbereitet?
Zusammen mit einem guten Freund am RKI, der leider nicht mehr lebt, habe ich den STAKOB 2003 selbst gegründet. Wir haben in ganz Deutschland Kompetenzzentren als Beratungsstellen für hochpathogene Keime eingerichtet und spezielle Stationen aufgebaut, die auch die gefährlichsten aller Erreger unter Kontrolle bringen können. Damals hatten wir das Gefühl, dass endlich etwas geschieht. Jetzt habe ich noch ein Jahr bis zu meiner Pensionierung – und ich habe hin und wieder meine Zweifel, ob wir immer noch gut vorbereitet sind.

Zunehmend fehlt in den Ländern das Verständnis, dass es Vorsorge eben nicht kostenlos gibt. Die Sonderisolierstationen haben Probleme, weil der Unterhalt der technischen Anlagen ja auch dann, wenn sie leerstehen, sehr viel Geld kostet. Wenn sie dann mal Patienten haben, wird es noch schlimmer: Weil das Arbeiten in den luftdichten Anzügen so anstrengend ist, werden etwa 16 Ärzte und Pfleger pro Tag und Patient gebraucht.

Bei den ohnehin zu dünnen Personaldecken der Kliniken kann das die ganze Intensivstation in Gefahr bringen. Aber das Personal vorsorglich aufzustocken, das kann sich derzeit auch keiner leisten. Dabei ist es doch ganz einfach: Wenn zu wenig Leute da sind, dann werden sie in der Pandemie nirgendwo herkommen. Und die Pandemie kommt. Wenn nicht jetzt, dann bestimmt später.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false