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Trügerisches Idyll. Die Lagune an der spanischen Atlantikküste ist ein Paradies für Flora und Fauna. Doch vor allem im Winter steigt oft das Wasser und flutet Straßen und Häuser.

© Frank Odenthal

Streit um Naturschutz in Spanien: Land unter im Biotop

Gemeinsam kämpften sie gegen eine drohende Ölpest. Nun stehen sich die Anwohner der Lagune A Frouxeira und Naturschützer unvereinbar gegenüber.

Valdoviño, ein Dorf an der spanischen Atlantikküste, ist zerstritten. Am 23. Dezember 2011, einen Tag vor Heilig Abend, dringen ein Dutzend Männer, Angehörige einer Nachbarschaftshilfe, in das Rathaus ein, versperren die Zugänge mit Ketten und Vorhängeschlössern und melden das Gebäude bei der örtlichen Polizei als besetzt. Sie verlangen, den Bürgermeister zu sprechen. Im Gemeindesaal richten sie sich mit Feldbetten, Matratzen und Schlafsäcken ein. Sie hängen Transparente auf mit Losungen wie „Eine Lösung, sofort!“ oder „Wir sind keine Enten!“. 17 Tage und Nächte harren sie in den Räumen unter dem Büro des Bürgermeisters aus, verbringen hier Weihnachten und Silvester, bevor sie am 10. Januar 2012 das Gebäude friedlich durch den Haupteingang verlassen.

Was war passiert?

Die Geschichte beginnt vor zehn Jahren, am 13. November 2002, dem Tag, als der rostzerfressene Öltanker „Prestige“ vor der galizischen Küste leckschlägt und wenige Tage später sinkt. Alarmiert von den Schreckensmeldungen benachbarter Küstenstädte, bleibt den Menschen in Valdoviño nur wenig Zeit, sich gegen die heranrollende marea negra, die „schwarze Flut“, wie die Ölpest bald genannt wird, zu wappnen.

Es stehen nicht nur, wie überall an der Küste, die Existenzen der Fischer auf dem Spiel, sondern auch ein Naturschutzgebiet, die Lagune A Frouxeira. Sie ist vom Meer nur durch einen schmalen Sandstrand getrennt, über den sich, je nach Wasserstand und Wetter, schmale Kanäle ziehen, die das Feuchtgebiet mit dem Atlantik verbinden.

In seiner Not beschließt der Gemeinderat, den natürlichen Abfluss der Lagune mit großen Felsblöcken und Sandsäcken zu verschließen. So soll verhindert werden, dass Schweröl hineinschwappt und das Naturschutzgebiet zerstört.

„Seitdem ist nichts mehr, wie es war“, sagt Jose Vigo, der Bürgermeister von Valdoviño. Die Sandsäcke habe man später natürlich wieder entfernt, doch die Barriere aus meterhohen Steinen sei noch immer am Strand, wenn auch inzwischen metertief im Sand versunken.

Nun ist der natürliche Austausch des Lagunenwassers mit dem Meer gestört. Weder von der Lagunenseite noch vom Meer her bilden sich Kanäle zur Entwässerung des Feuchtgebietes. Und der Wasserspiegel von A Frouxeira steigt weiter an.

Meist sind die Folgen menschlicher Eingriffe in die Kreisläufe der Natur nur schwer abzusehen. So auch in A Frouxeira. Das Schutzgebiet konnte vor dem nahenden Schweröl gerettet werden. Doch mit dem steigenden Wasserspiegel vergrößerte sich auch die Wasserfläche der Lagune, was den unverhofften Effekt hatte, dass sie nun wieder als Zwischenstopp für Zugvögel attraktiv wurde, die man im gesamten Nordwesten der Iberischen Halbinsel längst verloren geglaubt hatte. Eine ähnlich positive Wirkung ergab sich bei Amphibien und Fischen, die in dem sensiblen Gemisch aus Süßwasser und Salzwasser heimisch wurden. Kurzum: Nach der Versiegelung des natürlichen Abflusses entwickelte sich die Lagune zu einem Paradies für Flora und Fauna. Der spanische Staat und die Regionalregierung Galiziens wiesen A Frouxeira fortan als eines der empfindlichsten und wertvollsten Naturreservate des Landes aus. Zuletzt nahm auch die EU das Biotop in die Liste der „Natura-2000“-Schutzgebiete auf. Den Biologen und Naturschützern folgten die Ökotouristen. Es schien, als gäbe es in Valdoviño nur Gewinner.

Doch der Wasserspiegel stieg weiter.

Im Spätherbst 2009 ziehen heftige Unwetter über den spanischen Norden und bringen ungewöhnlich starken Regen. Die Lagune tritt über die Ufer und überflutet die Keller der angrenzenden Villen sowie eine Uferstraße, die einzige Verbindung der Bewohner zum Ortskern. Die betroffenen Häuser sind nur noch mit den Rettungsflößen der Feuerwehr und mit Paddelbooten erreichbar.

Als sich abzeichnet, dass das Hochwasser nicht auf natürlichem Wege ablaufen wird, greift Bürgermeister Vigo ein. Er lässt schweres Gerät auffahren, kettenbereifte Bulldozer und Spezialbagger, und ordnet die Öffnung eines Abflusses an. Und schrammt nur haarscharf an einer Katastrophe vorbei. Die gegrabene Schneise quer über den Strand erweist sich als Flaschenhals, der der Wucht der Wassermassen nicht gewachsen ist. Das ablaufende Hochwasser frisst sich regelrecht durch den Sand und weitet den künstlich geöffneten Kanal so stark, dass die gesamte Lagune trockenzufallen droht. Zurück bleibt eine Wasserfläche, die nicht einmal einem Viertel der Fläche bei normalem Wasserstand entspricht. Lokale Umweltschützer sprechen von einem „Attentat auf die Natur“ und legen Beschwerde bei der Europäischen Union ein. Die untersagt daraufhin zunächst jeden weiteren Versuch, einen künstlichen Abfluss der Lagune herzustellen.

Seitdem stehen sich die Parteien in Valdoviño unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite die Umweltschützer und Hoteliers, die den Zustand des Ökosystems und die Einnahmen durch die vielen Ökotouristen gefährdet sehen. Auf der anderen Seite die Villenbewohner am Lagunenufer, deren Kellerräume und mittlerweile auch die Erdgeschosse im Winter regelmäßig unter Wasser stehen. Dazwischen Bürgermeister Vigo.

Ende Januar 2012, unter dem Eindruck der Besetzung seines Rathauses durch aufgebrachte Anwohner unternimmt Vigo einen weiteren Versuch, der Überschwemmungen Herr zu werden. Dabei nimmt er auch in Kauf, sich über die Anordnungen der EU hinwegzusetzen. Wieder lässt er Bulldozer kommen, diesmal jedoch mit dem Auftrag, ein Trockenfallen der Lagune unbedingt zu vermeiden. Der künstliche Ablauf soll jener Route folgen, die das Lagunenwasser einschlug, als dort noch keine tonnenschwere Steinbarriere im Sand versunken war.

Doch die Natur hat andere Pläne. Kurz bevor die künstliche Abflussrinne geöffnet wird, schwappt eine hohe Welle an anderer Stelle über den Strand und öffnet einen neuen natürlichen Abfluss zum Meer. Innerhalb einer Stunde sinkt der Pegel A Frouxeiras um 1,5 Meter und gibt die asphaltierte Uferstraße und die Zufahrten zu den Villen frei. Fast scheint es, als habe Mutter Natur ein Einsehen mit Bürgermeister Vigo und den leidgeplagten Einwohnern Valdoviños gehabt.

Doch noch haben sich die erhitzten Gemüter nicht abgekühlt. Der politische Gegner, die Sozialisten, machen Front gegen den Bürgermeister und verlangen eine Rechtfertigung für den aus ihrer Sicht illegalen, teuren und letztlich nutzlosen Einsatz der Bagger. Vigo hingegen sieht die Regionalregierung Galiziens und das spanische Umweltministerium in Madrid in der Verantwortung. Von dort, behauptet er, sei die Anordnung zur Aushebung des Kanals erfolgt.

Und selbst die Anwohner der Villen, deren Drängen Vigo letztlich nachgab, haben nun Anzeige erstattet. Seine Weigerung, früher einzugreifen und einen Abfluss des Hochwassers herbeizuführen, bevor Sachschaden an den Häusern entstehen konnte, sei eben auch eine Form von Sachbeschädigung, argumentieren sie.

Für diesen Winter will Jose Vigo gewappnet sein. „Wir haben zusammen mit der galizischen Regierung und dem Umweltministerium eine umfassende Studie bei einem Forschungsinstitut der Universität von Santiago de Compostela in Auftrag gegeben“, sagt der Bürgermeister. „Wir wollen die ökologischen Zusammenhänge rund um die Lagune besser verstehen. Und wir wollen einen Aktionsplan erstellen, für den Fall weiterer Überflutungen.“ Dieser Aktionsplan werde sicherlich auch eine manuelle Öffnung der Lagune zum Meer hin vorsehen, fügt Vigo hinzu. Aus dem Büro des zuständigen EU-Kommissars für Umweltfragen, Janez Potocnik, wurde bereits grünes Licht signalisiert, sofern der Aktionsplan den Empfehlungen der Wissenschaftler folge.

Ende Dezember war es wieder so weit. Schweres Baugerät fuhr auf den Strand von Valdoviño und schuf einen künstlichen Abfluss, über den der Wasserspiegel der Lagune etwas gesenkt wurde.

Frank Odenthal

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