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E-Learning
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E-Learning: Studium 2.0

Blogs, Wikis und Podcasts: Wie neue Kommunikationsmittel beginnen, den Unialltag zu verändern.

Morgens eine Vorlesung auf den MP3-Player runterladen, für das Seminar am Mittag in die virtuelle Welt von Second Life einloggen und abends kommentiert der Professor online die Lerntagebücher seiner Studierenden. Keine ferne Zukunftsvision, sondern Realität für immer mehr Studierende. Die Lehre an deutschen Hochschulen befindet sich mitten in einer digitalen Revolution – glaubt man den Diskussionen unter Mediendidaktikern und Internetanhängern. „E-Learning 2.0“ heißt das Thema der Stunde.

Dahinter verbirgt sich der Einsatz von Kommunikationsmitteln wie Blogs, Wikis oder Podcasts in der Lehre. Diese haben das Internet in den letzten Jahren zum Web 2.0 weiterentwickelt, in dem ehemals passive Nutzer nun eigene Inhalte erstellen (wie im Online-Lexikon Wikipedia) und sich in Netzwerken wie der Videoplattform YouTube austauschen. Genau das soll nun im E-Learning passieren: Studierende erarbeiten gemeinsam Wissen und tauschen sich darüber aus. Nicht länger soll der Professor allein das Material bereitstellen.

E-Learning neu ausrichten

Momentan ist das aber noch der Regelfall. E-Learning heißt für viele Dozenten, Seminartexte auf einer Lernplattform online zu stellen. „Eine Lernplattform ist eine Insel im Internet“, kritisiert Michael Kerres, Mediendidaktiker an der Uni Duisburg-Essen, „dabei ist doch das Internet selbst das Spannende.“ Dort gebe es Tausende Quellen, die es zu nutzen gelte. Ausschließlich traditionelles E-Learning anzubieten, sei „wie Studierende zu zwingen, in der Vorlesung mit Bleistift auf kariertem Papier mitzuschreiben“, sagt Kerres. Die Hochschulen müssten das E-Learning auf neue Formen ausrichten, die Studierende ohnehin privat nutzen.

„International geht es eindeutig in Richtung E-Learning 2.0, und das ist auch unser nächstes Ziel“, sagt Nicolas Apostolopoulos, Leiter des Centrums für Digitale Systeme (Cedis) an der Freien Universität (FU). Als Auftakt hat Cedis wie berichtet ein zentrales Blogsystem eingeführt. In den Online-Journalen sollen Studierende etwa Praxisberichte und Literaturtipps veröffentlichen.Derzeit arbeitet Cedis an einem Wiki-System für die Lehre. Noch im Sommersemester soll die Technik für solche Wissensnetze uniweit eingeführt werden. Mit Web 2.0-Elementen wie diesen will man „den Lernenden stärker ins Zentrum der Lehre rücken“, so Apostolopoulos. „Studierende haben so mehr Möglichkeiten, selbstgesteuert zu lernen und gleichzeitig mit Kommilitonen und Dozenten zusammenzuarbeiten.“

Das didaktische Umfeld muss stimmen

Doch das kann die Technologie nicht allein erreichen. „E-Learning hilft nur, wenn das didaktische Umfeld stimmt“, sagt Werner Väth, bis vor kurzem FU-Vizepräsident für Lehre und Studium. Entscheidend sei, die gesamte Uni mitzunehmen. Die Gruppe der technischen Pioniere unter den Lehrenden, die die neuen Methoden von sich aus einsetzten, sei klein. Daneben gebe es noch einige „Inseln des Altmodischen“, so Väth. Die größte Gruppe der Dozenten würde moderne Online-Lehre nur anwenden, wenn die Technik bereitgestellt werde und sie darin geschult würden.

Laut einer Cedis-Umfrage unter Dozenten, die im vergangenen Semester die Lernplattform der FU nutzten, stellten 97 Prozent lediglich konventionelle Texte und Folien auf die Plattform. Nur etwas mehr als ein Viertel bot zusätzlich interaktive Lehrmaterialien an. Funktionen wie Chats und Foren werden nur selten genutzt. „Wir sind nicht so weit, wie wir uns das wünschen“, gibt Apostolopoulos zu.

FU Berlin: 400.000 Euro jährlich für neue die Methoden

Dennoch sind digitale Lehr- und Lernformen, ob E-Learning 1.0 oder 2.0, nicht mehr aus den Universitäten wegzudenken. Über 400.000 Euro gibt die FU jährlich dafür aus. Für Werner Väth ist es „ein Glücksfall“, dass der Bologna-Prozess zeitlich mit dem Aufkommen neuer Technologien zusammengefallen ist. „Wenn jede Lehrveranstaltung prüfungsrelevant ist, lässt sich das ohne E-Learning nur schwer organisieren“, so Väth. Der nächste Schritt seien „E-Examinations“-Prüfungen am Computer.

Die finden bei Christian Thomsen bereits statt. Der Physiker an der Technischen Universität Berlin (TU) nimmt die Vordiplomprüfungen elektronisch ab. In PC-Pools sitzen über 200 Studierende, für die der Computer unterschiedliche Klausuren generiert. Ein Algorithmus wertet die Antworten in fünf Minuten aus, nur Einzelfälle werden manuell kontrolliert. Wenn die Studierenden nach der Klausur zu Hause ankommen, wartet bereits das Ergebnis im E-Mail-Postfach.

Die Förderung von Web 2.0-Elementen hat an der TU momentan allerdings keine Priorität. Der Schwerpunkt in der E-Learning-Strategie liegt auf Nutzung der Lernplattform. „Natürlich wollen wir eine aktuelle Technologie haben, aber wir müssen nicht immer an vorderster Front kämpfen. Wichtiger sind hochwertige Inhalte“, sagt Jörg Steinbach, Vizepräsident für Lehre und Studium. Er will den Dozenten keine technischen Vorgaben machen, sondern setzt auf Wettbewerb: „Wenn die Studierenden vom E-Learning bei einem bestimmten Dozenten schwärmen, wird das auch für Bewegung bei den anderen sorgen.“ Die Lernplattform wurde früher „nur als elektronisches Ablagesystem“ benutzt, so Steinbach. Doch mittlerweile habe man viele interaktive Hilfsmittel wie automatisierte Multiple-Choice-Tests eingeführt.

E-Learning als Wundermittel gegen die Anonymität der Massenunis?

„Durch E-Learning steigt die Attraktivität einer Uni für Studierende“, sagt der Physiker Thomsen. Die neuen Kommunikationsformen könnten sogar den Studienerfolg verbessern. „Manche Studierende schneiden schlecht ab, weil sie an der Uni isoliert sind“, so Thomsen. „Systeme, die zur Kommunikation zwingen, helfen dort.“

E-Learning 2.0 als Wundermittel gegen die Anonymität der Berliner Massenuniversitäten? So einfach ist es wohl nicht. Ein typisches Lernszenario aus der 2.0-Welt – Studierende dokumentieren ihren Lernfortschritt in einem Blog und bekommen regelmäßig Feedback vom Dozenten – lässt sich schwer auf die Berliner Unirealität übertragen. In den Geisteswissenschaften etwa muss ein Professor nicht selten 100 Teilnehmer im Seminar betreuen. Er käme mit dem Bloggen wohl nicht mehr hinterher.

Die Mischung muss stimmen

An der Humboldt-Universität (HU) konzentriert man sich derzeit auf ein anderes 2.0-Element. Seit April arbeitet man dort am Projekt „Pod-Campus HU“. Das Multimedia Lehr- und Lernzentrum (MLZ) der HU unterstützt als Pilotprojekt an sechs Lehrstühlen die Erstellung von Podcasts. Die Produktion solcher Audio- und Videobeiträge ist momentan noch sehr aufwendig. Das MLZ erstellt nun ein technisches Konzept und spielt Einsatzszenarien durch: etwa die Frage, ob man ganze Vorlesungen als Podcasts anbieten sollte oder eher einzelne Präsentationen. Spätestens im Wintersemester sollen sich Studierende dann die Vorträge auf ihre Laptops und MP3-Player laden können.

„Wir machen E-Learning 2.0 nicht, weil es schick ist, sondern weil es echte Vorteile bringt“, sagt Christian Grune vom MLZ. Dabei sind Podcasts genauso wenig wie Blogs ein Allheilmittel für alle Fächer und Lehrveranstaltungen. „Erklären Sie mal in der Mathematik eine Integralfunktion als Podcast, das wird nicht funktionieren“, sagt Mediendidaktiker Michael Kerres. Es gehe nicht darum, das beste Hilfsmittel zu finden. „Der entscheidende Vorteil beim E-Learning 2.0 ist, dass die Mischung vielfältiger wird.“

Grune sieht den Pluspunkt darin, „dass die Dozenten nicht länger Alleinunterhalter sind“. Doch es bleibt ein didaktischer Schritt, die Studierenden zu aktiver Teilnahme und Austausch zu motivieren. Der Schwerpunkt der Lehre werde ohnehin immer auf Präsenzveranstaltungen liegen – das wird an allen Hochschulen betont. E-Learning könne Präsenzlehre nur ergänzen. Bei aller Euphorie über neue Möglichkeiten: „Wir müssen auch die Qualität der Lehre von Angesicht zu Angesicht verbessern“, sagt Christian Grune.

Fabian Reinbold

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