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TU-Geisteswissenschaften schließen?: Die Senatorin stellt den Gründungsauftrag der Universität infrage
Der Vorschlag von Senatorin Ina Czyborra, die Geisteswissenschaften an der TU Berlin abzuschaffen, ist verantwortungslos. Er widerspricht der Lehre aus der NS-Zeit, technische Fächer nicht unreflektiert zu betreiben.
Stand:
Wenige Tage vor der Bundestagswahl überraschte die Berliner Senatorin für Wissenschaft, Ina Czyborra, die Öffentlichkeit einmal mehr mit einem zuvor nicht mit den Hochschulen besprochenen Vorschlag. In einem Interview mit dem Tagesspiegel benannte sie die Fakultät 1 für Geistes- und Bildungswissenschaften an der TU Berlin als möglicherweise verzichtbares Doppelangebot.
Die Technikstudierenden dort könnten auch Philosophie an der FU hören, so die Senatorin. Dieser Vorschlag irritiert aus gleich mehreren Gründen.
Erstens zeugt Czyborras Einlassung von einer offenbar geringen Kenntnis sowohl der universitären Strukturen als auch der essentiellen Rolle der Geistes- und Bildungswissenschaften an der TU Berlin – insbesondere in der Lehrkräftebildung.
Die Fakultät hat ein einzigartiges wissenschaftliches Profil, das weit über Berlin hinausstrahlt.
Sabine_ Hark
Die Fakultät zeichnet sich durch eine enge Verzahnung mit den Technik-, Natur- und Ingenieurwissenschaften aus und verfügt mit ihren renommierten Zentren für Geschlechterforschung, Antisemitismusforschung und Urbanistik über einzigartige wissenschaftliche Profile, die weit über Berlin hinausstrahlen.
Zweitens steht der Vorschlag in direktem Widerspruch zum Gründungsauftrag der TU Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die frühere Technische Hochschule Charlottenburg bewusst als Technische Universität Berlin neu gegründet – mit dem erklärten Ziel, Geistes-, Sozial- und Bildungswissenschaften als festen Bestandteil des Fächerkanons zu etablieren.
Dies sollte sicherstellen, dass Bildung nicht allein technisches Wissen vermittelt, sondern auch eine universale, gesellschaftliche Verantwortung fördert. In seiner Eröffnungsrede zur TU Berlin im April 1946 betonte der für den britischen Sektor Berlin verantwortliche General E. P. Nares, dass jeder Bildung, ob technisch oder humanistisch, das Ideal einer verantwortlichen Haltung gegenüber der Gesellschaft zugrunde liegen müsse.
Zu viele Techniker im Dienst der Kriegsmaschinerie
Diese Überzeugung speiste sich aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus: Zu viele Techniker hatten sich im Dritten Reich blind in den Dienst der Kriegsmaschinerie gestellt, ohne sich über die Folgen ihres Handelns Gedanken zu machen. Um solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, entschieden die Alliierten, dass wissenschaftliche Ausbildung an Berliner Hochschulen untrennbar mit ethischer Reflexion und gesellschaftlicher Verantwortung verbunden sein müsse. Wissenschaft und Technik sollten fortan dem Frieden und der Kultur der Menschheit dienen – und dies sei nur möglich, wo ihre Anwendung in Verantwortung geschehe.
Und dies ist der dritte Grund, warum der Vorschlag der Senatorin so verstört. Der an der Yale University lehrende Philosoph Jason Stanley, Sohn jüdischer Emigranten aus Nazideutschland, wies jüngst noch einmal darauf hin, dass die Angriffe auf Universitäten Teil des autoritären Drehbuchs seien, stellten diese doch seit jeher Zentren der Verteidigung der Demokratie dar.
In einer Situation weltweiter rechter Angriffe auf hochschulische Bildung, auf Forschungsgebiete wie die Gender Studies, die Klimaforschung oder kritische Migrationsforschung daher ohne Not eine sozial- und geisteswissenschaftliche Fakultät dem Diktat des Rotstifts auszuliefern, grenzt an jene Art von Verantwortungslosigkeit, die die Gründer der TU Berlin im Jahr 1946 für immer gebannt wissen wollten. Im kommenden Jahr, 2026, feiert diese TU Berlin ihr achtzigjähriges Jubiläum. Sie wird es hoffentlich noch als Technische Universität tun können.
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