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Von der Forschung in die Produktion: Biontech bringt einen neuartigen Impfstoff in Marburg in die Herstellung

© Stefan Albrecht/Biontech/dpa

Übernahme von Novartis-Standort: Biontech produziert Covid-19-Impfstoff in Marburg

Das Biotech-Unternehmen will einen neuartigen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 in großem Maßstab produzieren. Parallel wird das Vakzin aber noch erprobt.

„Wir übernehmen den gesamten Standort der Novartis in Marburg“, sagte Sierk Poetting, Finanzvorstand und operativer Geschäftsführer Biontech. Das Mainzer Unternehmen möchte am bislang vom Schweizer Pharmakonzern Novartis betriebenen Standort eine der größten Produktionsstätten für Boten-RNA in Europa aufbauen.

Der Vertrag wurde am Mittwoch unterzeichnet, gab das Unternehmen in einer Online-Pressekonferenz am heutigen Donnerstag bekannt.

Aus dem natürlich in Zellen vorkommenden Stoff RNA soll in Marburg ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 hergestellt werden: 100 Millionen Impfdosen noch in diesem Jahr, 250 Millionen im ersten Halbjahr 2021. In den nächsten Jahren soll die Produktion auf 750 Millionen Impfdosen pro Jahr gesteigert werden.

„Der Standort ist voll ausgestattet und wir können mit den 300 hoch qualifizierten Mitarbeitern sofort anfangen, den Impfstoff zu produzieren“, sagte Poetting.

Doppelte Immunantwort

Die Wirkung des Impfstoffs BNT162b2 beruht nicht auf dem herkömmlichen Ansatz, das Immunsystem der Geimpften mit abgetöteten oder abgeschwächten Erregern oder Teilen davon zu konfrontieren. Stattdessen wird genetische Information des Virus in Form von Boten-RNA gespritzt.

RNA ist im Organismus die Arbeitskopie der Erbsubstanz DNA. RNA-Impfstoffe sind vergleichsweise leicht in großen Mengen herzustellen. „Sie sind in der Pandemie-Situation sehr gut geeignet, möglichst schnell Impfstoffe bereitzustellen“, erklärte Ugur Sahin. RNA-Impfstoffe bedürften auch keiner Zusatzstoffe, die das Immunsystem stimulieren, erklärte der Geschäftsführer und Biontech-Mitgründer. Sie rufen eine ausreichend starke Immunantwort schon auf die geringe Impfdosis hervor.

Die Moleküle werden in eine Membran aus Lipiden verpackt, damit die Zellen sie aufnehmen können. Anhand der künstlichen RNA werden dann Proteine der Stacheln oder „Spikes“ hergestellt, mit denen Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Das Immunsystem erkennt diese Viruseiweiße als fremd und leitet die Immunreaktion ein. „Wir wissen, dass mRNA-Impfstoffe die Produktion von Antikörpern auslösen, die vor einer Infektion schützen“, sagte Sahin. Zudem antwortet das Immunsystem mit speziell gerüsteten T-Zellen, die im Falle einer Infektion dazu beitragen, dass sich Infizierte schneller erholen.

Erprobung läuft noch

Biontech erprobt den Impfstoff derzeit noch in einer klinischen Studie der Phase drei. Rund 29000 Probanden in den USA, Brasilien und Argentinien erhalten entweder den Impfstoff oder ein Placebo. Die Studie ist doppelt blind. Das heißt weder die Probanden noch die verabreichende Person wissen, ob das Placebo oder der Impfstoff gespritzt wird. „Auf diese Weise können wir sehr genau feststellen ob Nebenwirkungen auftreten und ob sie durch den Impfstoff verursacht werden“, erklärte Sahin.

Bislang wurde BNT162b2 nur an wenigen hundert gesunden Personen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren getestet. Die Ergebnisse waren positiv: eine starke Immunantwort bei guter Verträglichkeit. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Nebenwirkungen in der Erprobung an vielen weiteren und auch älteren Personen auftreten und sich der Impfstoff als ungeeignet erweist. Dieses Risiko geht Biontech derzeit ein. Das Unternehmen hat jedoch drei weitere Impfstoff-Kandidaten entwickelt, die auch in Marburg in großem Maßstab hergestellt werden könnten.

Ergebnisse der klinischen Studie werden Ende Oktober erwartet. Biontech will bei positiven Befunden sofort die Zulassung bei der US-amerikanischen und der europäischen Arzneimittelbehörde beantragen, wo der Impfstoff auch zuerst erhältlich sein soll.

Berühmte Wirkungsstätte

Biontech kauft sich an einem medizinhistorisch berühmten Standort ein. Die Marburger Behring-Werke wurden 1904 zur Herstellung von Impfstoffen gegen Tollwut und Diphterie gegründet. Die Lage in der Nähe des Frankfurter Flughafens ist auch günstig für die weltweite Distribution des Impfstoffs. Künftig sollen hier auch therapeutische Antikörper und weitere biotechnologische Arzneimittel hergestellt werden.

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