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„Wir leben in einer neuen Welt, die wir nicht kennen“ : Globale Erderwärmung liegt 2024 erstmals über 1,5-Grad-Marke
Das Klimaschutzziel von 1,5 Grad ist angezählt. Die jetzt veröffentlichte Klimabilanz für 2024 zeigt auch, dass uns Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit nicht unbedingt auf die nahe Zukunft vorbereiten.
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Es hatte sich bereits abgezeichnet, und wir waren alle dabei: 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen und wahrscheinlich auch das wärmste in den letzten 120.000 Jahren Erdgeschichte.
Dabei war eine leichte Abkühlung erwartet worden, zumindest im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2023. Sind die mittleren Abschätzungen, zu denen die Klimaforschung mit Computermodellen gelangt, zu vorsichtig?
Der europäische Klimadienst Copernicus verzeichnet für das vergangene Jahr eine Reihe von Rekordwerten. Der wohl wichtigste aus dem jetzt veröffentlichten Bericht „Copernicus Global Climate Highlights 2024“: Die globale Durchschnittstemperatur lag im vergangenen Jahr 1,6 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Einige Fachleute schreiben das international vereinbarte Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bereits ab.
Das Ziel kann offiziell zwar erst als „verfehlt“ eingeordnet werden, wenn über einzelne Jahre hinaus auch der langjährige Durchschnitt über diesen Grenzwert steigt. In Anbetracht der Verluste von Menschenleben und zunehmender Klimaschäden erscheint das aber wenig beruhigend. Zumal es auch keine Anzeichen dafür gibt, dass sich der Temperaturanstieg verlangsamt. Im Gegenteil.
Natürliche Schwankungen und menschlicher Beitrag
Hauptursache der Erwärmung ist der anhaltend hohe Ausstoß von Kohlendioxid aus der Nutzung der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas. Die darauf folgende Erwärmung könnte aber auch Prozesse in Gang setzen, die die Erwärmung zusätzlich beschleunigen, etwa weil die Erde dadurch mehr Sonnenstrahlung aufnimmt.
Auf welche Weise es dazu kommt und wie gut Klimamodelle solche Prozesse abbilden könnten, ist ein Dauerdiskussionsthema in der Klimaforschung. Auch, ob sie zum neuen Rekordwert für 2024 beigetragen haben könnten, ist eine offene Frage.
Wir leben inzwischen in einer neuen Welt, die wir nicht kennen und an die wir nicht angepasst sind.
Mojib Latif, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR, Kiel
Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR in Kiel erklärt den Rekordwert anders. Zum langfristigen, vom Menschen verursachten Erwärmungstrend kämen kurzfristige natürliche Schwankungen hinzu. „Deswegen war es wegen des El Niños im tropischen Pazifik zu erwarten, dass sowohl das Jahr 2023 als auch 2024 neue globale Temperaturrekorde bringen würden“, sagt der Klimaforscher.
Das alle paar Jahre, zuletzt 2023 auftretende, mit Meeresströmungen verbundene Wetterphänomen El Niño geht mit weltweit erhöhten Temperaturen einher. Nach etwa einem Jahr klingt es normalerweise wieder ab und die Temperaturen fallen wieder.
„Hierzu passt, dass das erste Halbjahr 2024 – das noch vom El Niño beeinflusst war – deutlich wärmer war als das zweite Halbjahr“, sagte Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg dem Science Media Center. Doch die zu erwartende Abkühlung nach Abklingen von El Niño fiel zu gering aus, um auch die Jahresdurchschnittstemperatur wieder unter die von 2023 sinken zu lassen.

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„Dass 2024 so viel wärmer war als vorindustriell, ist durch nichts anderes zu erklären als den menschengemachten Treibhauseffekt“, resümiert der Forscher. Aber die genauen Werte – knapp 1,5 Grad für 2023 und 1,6 Grad für 2024 – das sei natürliche Variabilität.
„Wir stecken mitten im anthropogenen Klimawandel und der bestimmt im zunehmenden Maße die Klimaentwicklung“, sagt Latif und weiter: „Wir leben inzwischen in einer neuen Welt, die wir nicht kennen und an die wir nicht angepasst sind.“
Irren die Klimamodelle?
Klimavariabilität ist aber nicht die einzige mögliche Erklärung. Ein weiterer Ansatz besagt, dass der Rückgang der Luftverschmutzung in den letzten Jahren die Temperaturen schneller steigen lässt.
Aerosole, Schwebstoffe in der Luft, etwa aus Schiffsschornsteinen, wirkten kühlend, indem sie Sonnenstrahlung reflektieren und indem sie zur Bildung von bodennahen Wolken beitragen, die ebenfalls kühlend wirkt. Doch die schmutzigen Schleier in der Luft schwinden – zugunsten der Umwelt und der menschlichen Gesundheit. Die Erwärmung durch die unsichtbaren Treibhausgase schlägt daher stärker durch.
Auch das kann den Temperaturanstieg verstärken. Im Jahr 2023 hat die tief liegende Wolkenbedeckung laut einer Studie, die im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde, über Teilen der Nordhalbkugel und der Tropen so stark abgenommen, dass dies in Verbindung mit dem herrschenden El Niño den starken Temperaturanstieg erklären könne. Die Ursache dieses Rückgangs wurde jedoch nicht aufgeklärt, berichtet das Wissenschaftsmagazin „Nature“. Die Forschenden halten für möglich, dass die Erwärmung selbst die Wolkenbedeckung vermindere.
Bestätigt sich diese Vermutung, wäre das eine schlechte Nachricht: Es könnte eine Rückkopplungsschleife entstanden sein, die den Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten zusätzlich antreiben würde. Dann wäre mit einer „recht starken zukünftigen Erwärmung“ zu rechnen, sagte Studienautor Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven der Deutschen Presse-Agentur. Die Erde könnte deshalb einer globalen Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad bereits näher sein als bislang gedacht.
Ein Jahr voller Wetterextreme hat gezeigt, wie gefährlich das Leben bei 1,5 Grad Celsius ist.
Friederike Otto vom Imperial College London
„Die gegenwärtige Entwicklung liegt immer noch im Rahmen dessen, was die Klimamodelle schon vor Jahren prognostiziert haben“, sagt jedoch Mojib Latif. Allerdings berücksichtigten die Modelle einige weitere Rückkopplungsmechanismen nicht, die mit den Eismassen auf Grönland zusammenhängen. Auch eine mögliche Abnahme der CO₂-Aufnahme auf Land und im Meer könnte die globale Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten beschleunigen.
Schäden nehmen zu
Die Klimabilanz für 2024 belegt vor allem eines: Auch Verluste von Menschenleben und materielle Schäden dürften entsprechend zunehmen. Friederike Otto vom Imperial College London untersucht mit ihrem Team „World Weather Attribution“, wie sich die Erwärmung auf Extremereignisse wie Dürren, Hitzewellen oder extreme Niederschläge auswirkt. Vor dem Hintergrund dieser Attributionsstudien sagte sie dem SMC: „Ein Jahr voller Wetterextreme hat gezeigt, wie gefährlich das Leben bei 1,5 Grad Celsius ist.“

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Die Überschwemmungen in Valencia, die Wirbelstürme in den USA, die Taifune auf den Philippinen und die Dürre im Amazonasgebiet seien Beispiele für Katastrophen des vergangenen Jahres, die durch den Klimawandel verschlimmert wurden. „Es gibt noch viele, viele mehr“, sagt Otto.
Die Welt müsse jedoch keine magische Lösung finden, um zu verhindern, dass sich die Lage weiter verschlechtert. „Wir wissen genau, was wir tun müssen, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen, die Abholzung zu stoppen und die Gesellschaften widerstandsfähiger gegen die Veränderungen des Klimas zu machen, die wir im Copernicus-Bericht so deutlich sehen“, sagt Otto.
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