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In einem polnischen Dorf spielt eine Kappel zu einer jüdischen Hochzeit auf (historische Schwarz-Weiß-Aufnahme).

© picture alliance / ullstein bild

Verfahren gegen Holocaustforschende in Polen: Verklagt von der Nichte des einstigen Bürgermeisters

Umstrittene Kollaboration: Auf Grundlage des "Holocaust-Gesetzes" steht in Polen ein Prozess gegen die Autor:innen eines Buchs über den Judenmord an.

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat am Sonntag Sorge wegen eines Verfahrens gegen zwei Holocaust-Forschende in Polen geäußert. Die Geschichtsprofessoren Barbara Engelking und Jan Grabowski befassen sich in ihrem 2018 erschienenen Buch „Dalej jest noc“ (Danach kommt nur noch die Nacht) mit der Vernichtung der Juden in der polnischen Provinz unter deutscher Besatzung.

Die Autor:innen werden von der Nichte eines früheren Bürgermeisters aus dem ostpolnischen Dorf Malinowo wegen Verleumdung verklagt. Die Frau sieht die Erinnerung an ihren Onkel diffamiert, sie verlangt umgerechnet rund 22.500 Euro Entschädigung und eine öffentliche Entschuldigung der Autoren.

Ihr Onkel Edward Malinowski war während des Zweiten Weltkriegs Bürgermeister. In der kommunistischen Zeit zeigten Dorfbewohner ihn an, weil er mit den Deutschen kollaboriert und eine Gruppe von Juden verraten haben soll, die dann erschossen wurden. 1950 wurde Edward Malinowski in dem Prozess jedoch freigesprochen. Ein jüdische Zeugin hatte ausgesagt, Malinowski habe sie gerettet und wochenlang versteckt.

Eine "Liga gegen Verleumdung"

In ihrem Buch zitiert Engelking eine 1996 für die Shoah Foundation festgehaltenen Aussage dieser jüdischen Zeugin: Demnach nahm der Bürgermeister ihr ihre Habe und einen Teil ihres Geldes ab, anschließend meldetet er sie einem deutschen Kontrollposten als geflohene polnische Zwangsarbeiterin. Die Frau landete in einem Lager, aber ihr Leben war gerettet. Aus Dankbarkeit habe sie die Sache später vor Gericht beschönigt.

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Laut „Gazeta Wyborcza“ soll hinter der Klage der Bürgermeister-Nichte die Stiftung „Reduta. Festung des gutes Namens - Liga gegen Verleumdung“ stehen, die der nationalkonservativen PiS-Regierung nahe steht. Mit dem Urteil wird am 9. Februar gerechnet.

Yad Vashem bekräftigte die Position, „dass jeder Versuch, akademischem und öffentlichem Diskurs durch politischen od,er juristischen Druck Grenzen zu setzen, inakzeptabel ist“. Es handele sich um „eine schwerwiegende Attacke auf freie und offene Forschung“.

Warnung vor "schwierigen Themen"

Ein Holocaust-Gesetz in Polen hatte die Beziehungen zu Israel 2018 erschüttert. Es sah zunächst Geld- und Haftstrafen für diejenigen vor, die dem polnischen Staat oder Volk „öffentlich und entgegen den Fakten“ die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des deutschen Nazi-Regimes zuschreiben. Kritiker meinten, die Vorschrift könne dazu benutzt werden, von Polen begangene Verbrechen an Juden zu vertuschen. Um den Streit mit Israel zu entschärfen, strich Warschau später die Haftstrafen aus dem Gesetz.

Die israelische Zeitung „Haaretz“ schrieb, Grabowski, dessen jüdischer Vater beim Aufstand im Warschauer Getto mitgekämpft habe, sei zur Zielscheibe einer „antisemitischen Schmierkampagne“ in Polen geworden. Grabowski selbst schrieb bei Facebook: „Sollten wir schuldig gesprochen werden, hätte dies riesige Auswirkungen darauf, wie Historiker künftig über ,schwierige' Themen schreiben werden.“ (dpa)

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