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Im Bild ist die ukrainische Fahne auf dem Dach der Humboldt-Universität am 12.03.2022 in Berlin zu sehen.

© IMAGO/Christian Spicker

Viele Ukrainer studieren noch zu Hause: Flüchtlinge kommen verzögert an Berliner Unis an

Hochschulen hierzulande haben mit vielen Studierenden aus der Ukraine gerechnet, aber noch steigen die Zahlen nicht wesentlich. Eine Erklärung: Junge Männer dürfen nicht ausreisen.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) große Zahlen von Studierenden vorhergesagt, die Zuflucht an Hochschulen in Deutschland suchen würden. Gerechnet wurde mit bundesweit „mittelfristig rund 100.000 akademischen Flüchtlingen“. An Unis und Fachhochschulen wurden Willkommens-Programme aus den Jahren 2015/16 hochgefahren, als vor allem junge Menschen aus Syrien ankamen.

Doch der große Andrang ist bislang ausgeblieben. Das zumindest zeigen die Erfahrungen der großen Berliner Universitäten. „Die Zahlen ukrainischer Studierender sind quasi stabil. In den Jahren vor dem russischen Angriff waren es konstant rund 200, jetzt haben wir 214 ukrainische Studierende an der FU“, sagt Herbert Grieshop, Leiter der Abteilung Internationales an der Freien Universität Berlin.

Anders sehe es mit dem Austauschprogramm Erasmus+ aus, durch das im Sommersemester dieses Jahres elf und im Wintersemester 20 Stipendiaten und Stipendiatinnen an die FU kamen. Das bedeute einen großen Anstieg gegenüber den Vorjahren und sei vor allem auf zusätzlich vom DAAD zur Verfügung gestellte Erasmus+-Mittel zurückzuführen – und auf die flexible Einschreibung von Geflüchteten im Frühjahr.

Für das reguläre Studium meldet die Technische Universität Berlin mit 218 ukrainischen Studierenden ähnlich niedrige Zahlen wie die FU. An der Humboldt-Universität sind es aktuell 256 Studierende (darunter 97 im Bachelor, 61 im Master, 68 in Programmen wie Erasmus+ und im Studienkolleg). Vor einem Jahr lag die Zahl der Ukrainer:innen an der HU insgesamt mit 204 leicht darunter, deutlich gewachsen ist dort aber vor allem der Anteil an Programmstudierenden.

Die Erwartungen unterlaufen haben jedenfalls die externen ukrainischen Hochschulzugangstests, die in Berlin lebenden Absolventen der 11. Klassen aus der Ukraine an der HU und an der TU im Sommer angeboten wurden. Das geht jetzt aus der Antwort der Wissenschaftsverwaltung auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Adrian Grasse hervor.

Die Berlin University Alliance sei von einer Nachfrage von 1000 bis 2000 Teilnehmenden ausgegangen, für 771 „registrierte Personen“ stellte man Plätze bereit. Tatsächlich teilgenommen haben dann 552 Personen. Die bestandenen Test nach ukrainischem Curriculum qualifizieren allerdings noch nicht für ein Studium in Deutschland.

Drei Studentinnen und ein Student stehen vor dem Studierenden-Service-Center der Freien Universität Berlin.
Eine Gruppe ukrainischer Studierender, die mit dem Programm Erasmus+ für Partnerländer im Frühjahr 2022 einen Studienplatz an der FU Berlin bekamen.

© Burchard/Tsp

Um sich um einen Studienplatz bewerben zu können, müssen die Schulabsolvent:innen das Abitur nachholen – am Gymnasium, an einer Sekundarschule oder am Studienkolleg einer Uni. Hierzu gibt es eine weitere Zahl aus der Freien Universität: Dort lernen aktuell zusätzlich 14 ukrainische Schulabsolventinnen der 11. Klassen den deutschen Abiturstoff, um einen deutschen Hochschulzugang zu erwerben. Ursprünglich seien aber deutlich mehr zugelassen worden, heißt es.

Erklären ließe sich der weitgehend ausbleibende Andrang dadurch, dass nach wie vor sehr viele Studierende ihren Heimatunis online verbunden sind, auch wenn sie im Ausland leben. „Sie studieren alle, aber wir wissen nicht, wo sie sind“, zitiert Herbert Grieshop die Vizepräsidentin der National University of Kyiv-Mohyla Academy, die unlängst die FU als Partneruni besuchte.

Petitionen fordern Ausreiseerlaubnis für Studenten

Eine andere Erklärung liegt im Kriegsrecht, nach dem Männer ab 18 Jahren wehrpflichtig sind und das Land nicht verlassen dürfen – auch dann nicht, wenn sie nicht unmittelbar in die Armee eingezogen werden. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen der FU wider: von den aktuell eingeschriebenen ukrainischen Studierenden sind 163 weiblich und 51 männlich.

Von den Bewerbungen zum laufenden Wintersemester allerdings kamen 36 von Frauen und 21 von Männern – ein Hinweis darauf, dass womöglich mehr zum Studium ausreisen wollten, aber nicht konnten.

Wir rechnen noch immer mit einem Anstieg, der aber wie beim Krieg in Syrien zeitverzögert sein dürfte.

Herbert Grieshop, Leiter der Abteilung Internationales an der FU

Zwar durften zu Beginn des Krieges noch Studenten, die schon vor Februar 2022 im Ausland studiert hatten, ihr Studium fortsetzen. Sie konnten anfangs auch ihre Familien und Unis in der Heimat besuchen und wieder ausreisen. Doch seit dem Sommer war es männlichen Studierenden offiziell gar nicht mehr gestattet, die Grenzen zu passieren. Die ukrainische Regierung begründete dies Medienberichten zufolge mit zahlreichen gefälschten Bescheinigungen über ein Auslandsstudium vor dem russischen Großangriff, die vorgelegt worden seien.

Seitdem gibt es zahlreiche Petitionen an Präsident Wolodymyr Selenskyj, von denen eine über 25.000 Unterschriften erhielt. Daraufhin musste sich die Regierung mit den Anliegen der Studierenden befassen, ihnen trotz Kriegsrechts ein Studium im Ausland zu ermöglichen.

Selenskyj: Volle Bewegungsfreiheit nach Kriegsende

Dem ukrainischen Nachrichtenportal „Ukraininform“ zufolge habe der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine, Valery Zaluzhnyi, im August an das Verteidigungsministerium appelliert, insbesondere Studenten, „die während der Mobilisierung nicht zum Militärdienst verpflichtet sind, für einen bestimmten Zeitraum Auslandsreisen zu ermöglichen“.

Doch die die Antwort des Präsidenten fiel negativ aus, wie das ukrainische Online-Portal „Slovo i Dilo“ (Wort und Tat) Anfang Oktober berichtete: Die volle Bewegungsfreiheit werde nach Kriegsende wiederhergestellt.

Ukrainische Schulabsolventen im August 2022 an der TU Berlin, wo sie die Hochschulzugangsprüfung für die Ukraine ablegten.
Ukrainische Schulabsolventen im August 2022 an der TU Berlin, wo sie die Hochschulzugangsprüfung für die Ukraine ablegten.

© Valeriia Semeniuk/Tsp

Bleibt es also bei der vergleichsweise geringen Nachfrage von ukrainischen Studierenden nach Studienplätzen in Berlin? „Wir rechnen noch immer mit einem Anstieg, der aber wie beim Krieg in Syrien zeitverzögert sein dürfte“, sagt Herbert Grieshop von der FU. Die digitalen Programme könnten bei weitem nicht alle zum Studienabschluss in der Ukraine bringen. Deshalb würden sich vermutlich viele nach einigen Semestern dafür entscheiden, sich doch noch an den Unis an ihrem Zufluchtsort zu bewerben.

CDU: Senat sei bei Geflüchteten im „Blindflug“

Ein Vorteil des verzögerten Wechsels: Wer zwei Semester in der Ukraine absolviert hat und dies mit bestandenen Prüfungen belegen kann, kann sich in Deutschland direkt auf einen Studienplatz bewerben. Dann gilt der ukrainische Schulabschluss nach der 11. Klasse auch ohne deutsches Studienkolleg als Hochschulzugang.

Der Überblick, wie viele geflüchtete Studierende aus der Ukraine in Berlin ankommen, wird unterdessen durch den Datenschutz erschwert, wie es in der Senatsantwort auf die Antwort des Abgeordneten Grasses erneut heißt: Die Hochschulen registrieren nicht den Status von Geflüchteten oder Asylbewerbern. Folglich werden nur Zahlen zu Staatsangehörigen aus den Fluchtländern veröffentlicht.

Was es aber gibt, sind Fälle, in denen das Studierendenwerk Flüchtlinge unterstützt: Bis Anfang Oktober hatten 30 aus der Ukraine geflüchtete Studierende jeweils 1000 Euro aus dem Fonds des Ukraine-Zuschusses erhalten. Zur Verfügung stehen darin 200.000 Euro, die demnach bisher bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Adrian Grasse, der wissenschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus ist, sieht die rot-grün-rote Regierungskoalition in Berlin daraufhin „mal wieder im Blindflug“. 

Grasse fordert die Koalition auf, sich damit auseinanderzusetzen, „welche Bedarfe tatsächlich bestehen“ – an künftigen ukrainischen Hochschulzugangsprüfungen sowie an Studienplätzen – und dies dann auch transparent zu machen.

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