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Deutschland ohne Klimaplan: Expertenrat erwartet „deutliche Zielverfehlungen“ ab 2030
Geringe Wirtschaftsleistung hilft Deutschland, sein Emissionsbudget für Treibhausgase vorläufig einzuhalten. Für die Zeit nach 2030 sieht das aber anders aus. Vor allem in drei Bereichen wird zu viel Treibhausgas freigesetzt.
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Wie gut kommt Deutschland beim Klimaschutz voran? Laut einem neuen Expertenbericht liegt man im Plan – allerdings nur auf den ersten Blick. Das bis zum Jahr 2030 mit dem Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsbudget wird wahrscheinlich eingehalten. Doch ohne die Belastungen für die deutsche Wirtschaft sähe die Bilanz wohl anders aus, wie der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, jetzt in Berlin sagte.
„Ohne den Puffer, der sich in den Jahren 2021 bis 2024 unter anderem durch Corona und die schwache Wirtschaft aufgebaut hat, wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen“, erklärte Henning bei der Vorstellung des Prüfberichts zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 und zu den für 2025 vorausberechneten Daten.
Im deutschen Klimaschutzgesetz ist festgelegt, wie viel Treibhausgase Deutschland zwischen 2020 und 2030 insgesamt ausstoßen darf. Der Expertenrat stellt fest, dass diese Summe voraussichtlich weder über- noch unterschritten wird. Das Gremium bestätigt damit Zahlen, die das Umweltbundesamt im März vorgestellt hatte. Darüber hinausgehende Ziele würden jedoch wahrscheinlich verfehlt.
Problematische Sektoren
Nach europäisch vereinbarten Vorgaben muss Deutschland seine Emissionen bis 2030 auf die Hälfte der Menge im Jahr 2005 senken. Seit dem vergangenen Jahr liegt Deutschland hier nach Berechnungen des Expertenrats nicht mehr auf Kurs und die Ziellücke wachse. Auch das übergeordnete Ziel Deutschlands, seinen Ausstoß bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, würde nicht erreicht, sagte Henning laut Mitteilung.
Während im Energiesektor die Emissionen vor allem aufgrund des Ausbaus der Erneuerbaren deutlich sinken, wird in anderen Sektoren mehr ausgestoßen als geplant. Der Gebäudesektor und der Verkehrssektor hätten im Jahr 2024 zum wiederholten Male die vorgegebenen Jahresemissionsmengen überschritten, berichtet der Expertenrat. In beiden Sektoren ist die Überschreitung noch höher als im Vorjahr.
Sibylle Braungardt vom Öko-Institut in Freiburg kritisiert die neue Bundesregierung: „Der Koalitionsvertrag verschlimmert die Situation“, sagte sie dem Science Media Center. Im Gebäudesektor solle das bestehende „Heizungsgesetz“ abgeschafft werden und Fristen zur Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie sollten nach hinten geschoben werden.
Im Verkehrssektor werde „mehr Technologieoffenheit“ anvisiert, was aber eine geringere Richtungssicherheit für die Wirtschaft bedeute. „Anstatt die Klimaschutzbemühungen zu beschleunigen, ist zu befürchten, dass sich die Geschwindigkeit der Emissionsminderung im Verkehrssektor verlangsamt“, sagt die Wissenschaftlerin.
„Anders als in Deutschland oft behauptet, werden dabei aber keine ‚Strafzahlungen‘ fällig“, sagt Oliver Geden, Experte für Klimapolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Deutschland könne die europäischen Vorgaben per Emissionshandel erfüllen, also verbliebene Emissionen mit dem Kauf von Zertifikaten ausgleichen. Das allerdings nur, wenn auch genügend Zertifikate erhältlich sind, weil andere Länder ihre Klimaschutzziele übererfüllen. „Wenn Deutschland und Frankreich ihre Ziele drastisch verfehlen, wird der EU-Kommission politisch nichts anderes übrigbleiben, als die Regularien anzupassen“, erwartet Geden.
Kein Plan für Klimaneutralität
Bis zum Jahr 2045 will Deutschland Klimaneutralität erreichen. Das bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden sollen, als auch wieder aus der Luft aufgenommen werden. Dieses Ziel wird Deutschland nach Einschätzung des Expertenrats „sehr deutlich“ verfehlen.
Um Klimaneutralität zu erreichen, müsste das Kohlendioxid (CO₂) der Restemissionen entweder im Bereich „Landnutzung“ von wachsenden Pflanzen oder von „technischen Senken“ aufgenommen werden. Darunter fallen laut des Klimaschutzgesetzes die direkte Entnahme von CO₂ aus der Luft und die Kombination von Holzanbau und seiner Nutzung als Brennstoff für die Energieerzeugung.
Das jeweils anfallende CO₂ soll unterirdisch gespeichert werden. Bislang hat die Bundesregierung das Ziel für technische Senken aber noch nicht definiert und es ist noch nicht abzusehen, in welchem Umfang diese Technologien einsatzbereit sein werden. Das größte Problem für die Netto-Null der Emissionen ist jedoch der schlechte Zustand des Waldes. Es wird mehr CO₂ aus abgestorbenen Bäumen und Böden freigesetzt, als wachsende Bäume aufnehmen.
Im Jahr 2045 fallen voraussichtlich rund 200 Millionen Tonnen CO₂ aus anderen Sektoren an. Anstatt diese Menge aufzunehmen, wird der Sektor Landnutzung diese Menge noch erhöhen, erwartet der Expertenrat. „Damit ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, wie die Bundesregierung das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreichen will“, sagt Ratsmitglied Marc Oliver Bettzüge. (mit dpa)
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