zum Hauptinhalt
Zwölf Frauen waren 1891 als wissenschaftliche Hilfskräfte im Harvard College Observatory tätig. Williamina Fleming (stehend) arbeitete 20 Jahre als „Computer“ und katalogisierte über 10.000 Sterne .

© Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics

Weibliche "Computer": Wie Frauen die Astronomie voranbrachten

Ende des 19. Jahrhunderts arbeiteten zahlreiche Frauen im Harvard-Observatorium. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen blieben sie unbekannt.

Wer Edwin Paul Hubble, den Entdecker der Grundstruktur der Galaxien im Kosmos und Namensgeber des Hubble-Teleskops, kennt, sollte eigentlich auch Henrietta Leavitt kennen. Miss Leavit, wie sie heute noch genannt wird, arbeitete am Harvard College Observatory. Hubbles Entdeckungen waren nur dank der Daten möglich, die Henrietta Leavitt bei ihren mühsamen Auswertungen von Fotografien des Sternhimmels gewonnen hatte. Unter den zahllosen Sternen, die auf jedem Himmelsfoto zu sehen waren, hatte sie Cepheiden aufgespürt: Sterne, die regelmäßig ihre Helligkeit nach dem gleichen Muster ändern. Ihre Helligkeit steigt innerhalb weniger Tage oder Wochen ein wenig an und fällt dann langsamer wieder ab.

Nach vielen Beobachtungsreihen erkannte Leavit 1912 in den Daten der Cepheiden eine unerwartete Systematik. Je mehr Licht ein Cepheiden-Stern im Mittelwert abstrahlt, desto langsamer schwankt seine Helligkeit. Mit anderen Worten: Die Zeitdauer, in der ein Cepheiden-Stern seine Helligkeit ändert, verrät uns gleichzeitig auch, wie viel Licht er tatsächlich abstrahlt.

Henrietta Leavitts Entdeckung trägt nicht ihren Namen

Hubble nutzte genau diese Systematik, als er mit dem damals größten Fernrohr der Welt auf dem Mount Wilson den Andromeda-Nebel beobachtete. In den Milliarden von Sternen identifizierte er einen Stern als Cepheiden, der sehr viel Licht abstrahlte. Auf der Erde aber kommt von diesem hellen Licht nur noch sehr wenig an. Also mussten der Cepheide in der Andromeda-Sternwolke und damit auch die Sternwolke selber sehr weit entfernt sein. Hubbles Berechnungen schenkte den Astronomen zum ersten Mal eine Ahnung von der wahren Größe des Weltalls. Heute nennen wir die zahlreichen „Nebel“ Galaxien. Und da Hubble in vielen weiteren Galaxien Cepheiden-Sterne entdeckte, konnte er auch bei ihnen mit Hilfe der Daten von Henrietta Leavitt deren Entfernungen bestimmen.

Endgültig berühmt wurde der Namensgeber des Weltraumteleskops dann, als er den Zusammenhang zwischen der Entfernung einer Galaxie und der Rotverschiebung des Lichts entdeckte. Wenn das Licht der fernenSterne bei uns ankommt, ist es im Vergleich zur Abstrahlung in Richtung Rot verschoben. Und je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, je länger also ihr Licht bis zu uns unterwegs ist, desto länger werden ihre Lichtwellen während ihres Flugs durch das Weltall auseinandergezogen. Dieser Zusammenhang führte die Astronomen direkt zur Geschichte des Kosmos, der vor rund 13,7 Milliarden Jahren mit dem so genannten „Urknall“ geboren wurde.
Die Gesetzmäßigkeit, die zu dieser Erkenntnis führt, heißt heute „Hubble-Gesetz“. Und Henrietta Leavit? Ihr Cepheiden-Gesetz, das Hubble ja erst auf die Expansions-Spur des Kosmos gebracht hatte, erinnert heute nicht an die Entdeckerin selbst. Es fasst lediglich das Ergebnis ihrer jahrelangen Mühen zusammen: Es heißt schlicht „Perioden-Leuchtkraft-Beziehung“.

Im Archiv sammelten sich Fotos des Sternenhimmels

Henrietta Leavitt war nicht die einzige Frau, der es so erging. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren am astronomischen Observatorium der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge zahlreiche Frauen tätig. Denn die neue Technik der Fotografie des Sternhimmels mit Hilfe von Fernrohren bescherte dem damaligen Direktor Edward Pickering ein wachsendes Datenproblem. Das Archiv des Observatoriums füllte sich mit immer neuen Bildern des Himmels. Und jedes dieser auf Glasplatten fixierten Fotos enthielt hunderte oder tausende von Sternen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften. Es fehlten aber die Mitarbeiter, um diesen Sterndatenschatz zu bergen, die Positionen, Helligkeiten und Farben der Sterne zu bestimmen, zu ordnen und zu katalogisieren.

Für diese Routine-Arbeit heuerte Pickering ab 1886 Frauen an – auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Denn die Mitarbeiterinnen verdienten mit 25 bis 50 Cent pro Stunde die Hälfte dessen, was Männer gekostet hätten. Bald drängten sich bis zu zwölf Frauen gleichzeitig in den Räumen des Observatoriums, beugten sich, bewaffnet mit Lineal und Lupe, über die Glasfotos und füllten sechs Tage pro Woche Tabellen und Sternkataloge mit den Daten der Sterne.

Williamina Fleming katalogisierte über 10.000 Sterne

Offiziell wurden sie als „Computer“ bezeichnet. Während Pickerings Amtszeit gehörten insgesamt 80 weibliche Computer zu „Pickerings Harem“, wie die wissenschaftliche Männerwelt im ehrwürdigen Cambridge spöttelte. Der von den Frauen in jahrzehntelanger Routinearbeit aus den hunderttausenden von Himmelsfotos herausgelesene Datenberg barg jedoch ungeahnte Wissenschaftsschätze.

Und gelegentlich waren es, ganz gegen alle männlichen Erwartungen und Ansprüche, die weiblichen Hilfskräfte selber, die die in den Datenmengen verborgenen wissenschaftlichen Früchte ernteten. Neben Henrietta Leavitt erwarb sich vor allem Williamina Fleming großes Ansehen unter den Astronomen. Ursprünglich war sie Pickerings Haushälterin, ehe er sie aus der engen Küche als erste angelernte Hilfskraft in sein Glasfoto-Universum versetzte. Nach 20 Jahren als „Computer“ brachte sie es bis zum „Curator of Astronomical Photos“ und schließlich sogar als erste Frau zum Ehrenmitglied der Royal Astronomical Society in England. Mit unglaublicher Ausdauer und Akribie katalogisierte sie über 10.000 Sterne.

Auch die Nasa beschäftige weibliche "Computer"

Ihr besonderes Augenmerk galt dabei den Farbspektren der Sterne. Man erhält sie, indem man vor die Fernrohrlinse ein Glasprisma setzt. Auf den damit aufgenommenen Fotos werden die im Licht jedes Sterns enthaltenen Farben sichtbar. Sie sind der Reihe nach in kleinen Bändern angeordnet Von Rot über Gelb und Grün nach Blau. Schaut man sich diese Sternspektren genauer an, erkennt man in ihnen zusätzlich feine senkrechte Linien. Diese Spektrallinien sind gleichsam die Fingerabdrücke der verschiedenen Sternsorten. Im Laufe der Zeit brachte Williamina Fleming Ordnung in die zahllosen Sternspektren, die sich im Glasfoto-Archiv des Harvard-Observatoriums angesammelt hatten. Ihre Kollegin Anna Jump Cannon entwickelte nach einigen hunderttausend eigenen Auswertungen von Sternspektren das Ordnungssystem weiter. Es gilt bis heute. Denn ohne es zu wissen hatte A. J. Cannon damit die Sterne nach ihren Temperaturen geordnet. Und damit wurde dieses spektroskopische Ordnungsschema zur Grundlage unseres gesamten modernen Wissens über die physikalische und chemische Natur der Sterne. Auch die Bezeichnungen von Anna Jump Cannon für ihre Spektralklassen stehen heute noch in den Lehrbüchern: O, B, A, F, G, K, M. Und selbst die Merkregel für diese Buchstabenreihe wird von den Studierenden weltweit noch verwendet wie seit den Zeiten des Pickering-Harems: Oh, Be A Fine Girl, Kiss Me! Henrietta Leavit und ihre Kolleginnen sollten nicht die einzigen weiblichen „Computer“ bleiben. Ihre Schicksale erinnern an ihre Nachfolgerinnen im Dienst der Nasa. In den 50er und 60er Jahren stellte die amerikanische Raumfahrtorganision Frauen ein, die mit Papier und Stift komplizierte Berechnungen durchführten, die dann die Raumfahrtingenieure zu unterstützen. Der Film „Hidden Figures“ greift ihre Geschichten auf und erzählt von drei schwarzen Mathematikerinnen, die bei der Nasa in der Abteilung „Colored Computers“ arbeiteten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false