
© Arizona State University/Nicole Cox
Wenn Bürger mitbestimmen: „Entscheidungstheater“ für die Lausitz und Deutschland
Geht es um die Strukturentwicklung ganzer Regionen, ist gut beraten, wer die Bevölkerung einbindet. Ein Werkzeug aus Arizona könnte nun auch Berlin und der Lausitz nützen.
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Kostüme und einen Vorhang gibt es keine beim „Entscheidungstheater“, dafür spielt das Publikum die Hauptrolle. Um die Teilnehmenden sind gleich sieben Bildschirme in einem Bogen aufgestellt, darauf Landkarten, Diagramme, Tabellen und Prognosen für die Zukunft.
Mit dem „Decision Theater“ von der Arizona State University (ASU) sollen sich Gemeinschaften auf Kompromisse einigen können, wenn es bei komplexen Problemen keine optimalen Lösungen gibt. Im Rahmen der Berlin Science Week stellte Manfred Laubichler, Direktor des „Theaters“, das Werkzeug nun im Wissenschaftsforum vor.
Die zumeist menschengemachten Probleme sind akut und müssten politisch schnell gelöst werden, die Betroffenen dabei zu Wort kommen, sagte Laubichler: „Wir wollen uns im Zeitalter des Anthropozän Daten und wissenschaftliches Verständnis schneller zunutze machen.“ Informationen weisen den Weg, wenn etwa der Strukturwandel in der Lausitz gestaltet werden soll oder die sichere Wasserversorgung Berlins geplant werden muss.
Das Halbrund aus Monitoren, auf denen Grafiken und Zahlen ausgebreitet sind, soll dabei helfen. Doch es ist mehr als nur eine Art der Präsentation: „Es handelt sich um einen iterativen Prozess“, erläuterte der Forscher, 17 Jahre lang hätten er und sein Team an der Methodik gefeilt. Zunächst werden alle relevanten Daten zur Fragestellung eingefüttert und „Modelle“ gebaut.
Zusammen etwa mit Entscheidern, Vertretern der Zivilgesellschaft oder Experten geht man dann in die Diskussion. Auch Bürgerräte seien dafür ideal geeignet. Zusammen erkundet man in den Daten Zusammenhänge, ändert anhand von Feedback immer wieder die Modelle und lässt sich Prognosen berechnen.
Beteiligung auf Augenhöhe
Selbst Skeptiker und Außenseiter ließen sich überzeugen, wenn man auf ihre Bedürfnisse eingehe, sagte Laubichler: „Die Methode funktioniert“. Damit Vertrauen entstehe, dürften die Teilnehmenden nicht das Gefühl bekommen, dass ihnen Externe vorschreiben, wie die Dinge zu laufen haben – eine Erfahrung, die der Bevölkerung der Lausitz sehr präsent sein dürfte.
Statt Entscheidungen von oben herab zu diktieren, bringen solche partizipatorischen Formate Betroffene, Interessengruppen und Entscheider zusammen an einen Tisch. Das Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) stellte unlängst in einer Studie zum Strukturwandel in der Lausitz Mängel bei der Bürgerbeteiligung fest: Die Menschen fühlen sich zu wenig mitgenommen, es würde über ihre Köpfe hinweg entschieden. Für Jugendliche und Kinder existieren zwar verschiedene Möglichkeiten der Partizipation, doch werden diese von der Politik nicht ernst genommen, zeigten sie in einem zweiten Aufsatz.
Auf die Deindustrialisierung der Region ließen sich recht leicht schnelle Antworten finden, sagte Laubichler – Umschulungen von Kohlearbeitern etwa. Aber Abwanderung und Überalterung sind langfristige Probleme, für die Geld klug angelegt und etwa in die richtigen Bildungsprogramme investiert werden muss: „Für die jungen Leute in der Region könnte man eine Perspektive entwickeln.“ Herkömmliche Analysen stellen solche Fragenstellungen als „Marktproblem“ von Angebot und Nachfrage dar. Werte und Bedürfnisse der Bevölkerung würden so sträflich ignoriert, sagte der Forscher.
Interesse vom Ministerium
Mit dem Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung liegt seit dem Sommer eine Datengrundlage für die deutschen Kommunen vor. Für das Theater-Startup interessiert sich daher nun auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Für die Lausitz und andere Regionen, die mit Strukturmitteln gefördert werden, sieht es eine Chance, mithilfe von Beteiligungsprozessen Fördergeld besser einzusetzen, denn bislang hat das Ministerium keine Kontrolle darüber, wie Kommunen die Mittel verteilen.
Laubichler würde am liebsten zusammen mit den anderen großen deutschen Forschungsplayern ein Theater-Entscheidungszentrum in Berlin aufbauen. Beschlossene Sache sei dies aber noch nicht, das hänge nun von der Forschungspolitik ab. Gegenüber Beraterfirmen wie McKinsey hätte man einen Vorteil und einen Nachteil, sagte er: „Wir sind billiger, aber wir erzwingen auch Mitarbeit.“ Datenerhebung und der Dialogprozess kosteten viel Zeit.
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