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Chirurgen am OP-Tisch (Symbolbild). Die Xenotransplantation gilt als mögliche Lösung für den weltweiten Engpass an Spenderorganen.

© stock.adobe.com/ANNA BIZON

Wird hier Medizingeschichte geschrieben?: Frau lebt seit Monaten mit einer Niere vom Schwein

Towana Looney ist die dritte Person weltweit, die ein genetisch verändertes Schweineorgan bekommen hat. Und lebt damit länger als je ein Mensch zuvor. Jetzt darf sie nach Hause.

Stand:

Drei Monate nach ihrer Operation darf Towana Looney nach Hause – mit einer genetisch veränderten Schweineniere und einer neuen Chance auf Leben. Die 53-jährige US-Amerikanerin ist die bislang am längsten lebende Empfängerin eines solchen Organs.

„Ich fühle mich gesegnet“, sagt Looney. „Ich bin so dankbar, dass ich am Leben bin und dieses unglaubliche Geschenk erhalten habe.“

Am 25. November 2024 erhielt Looney am NYU Langone Health Krankenhaus in New York City die Niere eines genetisch veränderten Schweins – als dritte Person weltweit. Das Organ, ein sogenanntes „UKidney“, wurde von der Firma Revivicor, einer Tochtergesellschaft der United Therapeutics Corporation, entwickelt.

Transplantationschirurgen Jayme Locke (links) und Robert Montgomery und die Patientin Towana Looney (Mitte).

© Mateo Salcedo/NYU Langone Health

Die Operation leitete der Chirurg Robert Montgomery. „Towanas Genesung (…) ist einfach bemerkenswert“, sagt er. Ihr Fall zeigt, dass Xenotransplantation, also die Übertragung von Organen zwischen zwei Spezies, funktionieren kann und Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, eine realistische Chance bietet.

Die Methode gilt als mögliche Lösung für den weltweiten Engpass an Spenderorganen. Denn der Bedarf übersteigt bei Weitem das Angebot, wie auch aktuelle Zahlen aus den USA belegen: Mehr als 90.000 Menschen warten dort derzeit auf eine neue Niere, während 2024 nur rund 27.700 Transplantationen durchgeführt werden konnten.

Ein 1:1-Million-Match

Looneys Geschichte ist eine von Geduld. Vor 25 Jahren spendete sie selbst eine Niere an ihre Mutter. Doch eine Schwangerschaftskomplikation führte später zu schwerem Nierenversagen. Danach verbrachte sie acht Jahre an der Dialyse, während sie auf eine Spenderniere wartete – doch ihre Chancen, ein zu ihrem Gewebetyp passendes Organ zu bekommen, waren verschwindend gering.

„Towana brauchte ein 1:1-Million-Match“, erklärte Montgomery bereits im Dezember 2024 gegenüber der „Washington Post“. Sie hatte sehr hohe Antikörperwerte, sodass eine herkömmliche Spenderniere fast sicher abgestoßen worden wäre. Damit war sie praktisch von der Warteliste ausgeschlossen.

Die 53-Jährige wurde in Alabama, ihrem Heimatort, von der Transplantationschirurgin Jayme Locke betreut. Locke, inzwischen klinisches Fakultätsmitglied an der NYU Langone, setzte sich für eine „Compassionate Use“-Genehmigung bei der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA) ein – eine Sondererlaubnis für experimentelle Behandlungen in lebensbedrohlichen Situationen.

Unsere Herausforderung ist es, die Organe langfristig funktionsfähig zu halten.

Robert Montgomery, US-amerikanischer Transplantationschirurg und Direktor des NYU Langone Transplant Institute

Die Wissenschaftler hinter Looneys UKidney haben das Spendertier genetisch so verändert, dass es besser mit dem menschlichen Immunsystem harmoniert: Drei Antigene, die eine Abstoßung auslösen könnten, wurden entfernt, ebenso ein Wachstumsrezeptor. Sechs menschliche Gene wurden wiederum hinzugefügt, um das Schweineorgan mit dem menschlichen Körper kompatibler zu machen.

Jetzt darf Looney wieder nach Alabama zurückkehren, aber ihre Nachsorge bleibt engmaschig: Monatliche Untersuchungen bei NYU Langone sollen sicherstellen, dass ihr Körper das Organ weiterhin akzeptiert.

Vierter Patient mit Schweineniere

Die Forschung an Schweineorganen hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Im März 2024 erhielt ein 62-jähriger Patient in Boston erstmals eine genetisch veränderte Schweineniere – er überlebte 52 Tage. Wenig später bekam eine 54-jährige Frau ein solches Organ in Kombination mit einer Herzpumpe. Sie lebte 86 Tage, doch die Niere musste nach 47 Tagen entfernt werden. Auch sie ist gestorben. Ende Januar 2025 hat ein 66-jähriger Patient am Massachusetts General Hospital eine Schweineniere transplantiert bekommen.

Xenotransplantationen stehen trotzdem vor erheblichen Herausforderungen. Es ist noch nicht geklärt, wie lange eine Schweineniere im menschlichen Körper stabil bleibt. Trotz genetischer Anpassungen besteht weiterhin das Risiko einer Abstoßung oder anderer Immunreaktionen, die die Organfunktion beeinträchtigen könnten. Schweine tragen außerdem endogene Retroviren in ihrem Erbgut, die theoretisch auf Menschen übertragen und zu Infektionen führen könnten. Tierorgane in Menschen zu transplantieren, wirft auch ethische Fragen auf.

Nun hat die FDA dem Biotechunternehmen United Therapeutics Corporation grünes Licht für eine klinische Studie mit bis zu 50 Patient:innen gegeben. Die erste Studie umfasst zunächst sechs Patient:innen mit Nierenversagen. Es bleibt offen, wann und unter welchen Bedingungen Xenotransplantationen als reguläre Behandlung zugelassen werden.

„Wir wissen noch nicht alles“, sagte Montgomery gegenüber „Washington Post“. Aber die Lernkurve sei steil. „Unsere Herausforderung ist es, die Organe langfristig funktionsfähig zu halten. Wir müssen sie so stabil machen, dass sie eine realistische Alternative zu menschlichen Spendernieren werden.“

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