zum Hauptinhalt
Die Charité ist Europas größtes Uniklinikum. Dekan Spranger warnt davor, dass die Regulierung klinischer Studien in Deutschland zu hoch ist.

© imago/HOFER/IMAGO/Guenter Hofer/SchwabenPress

Zukunft der Charité: „Wir stoßen als Uniklinika in Deutschland an Grenzen“

Joachim Spranger, der neue Dekan der Charité, spricht im Interview über Hürden bei klinischen Studien, mehr Medizinstudienplätze und Risiken beim Exzellenzverbund der Berliner Universitäten.

Stand:

Sie sind seit Kurzem Dekan der Charité. Was sollen Schwerpunkte Ihrer Amtszeit sein?
Erstens ist es wichtig, dass wir weiterhin wirklich gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von außen rekrutieren können. Berufungen werden also ein Schwerpunkt sein. Wir waren dabei in der Vergangenheit erfolgreich, aber das äußere Umfeld wird nicht einfacher. Wir müssen nicht immer die Lehrstuhlinhaber bekommen, die schon in anderen Häusern tätig und in den Fachbereichen lange bekannt sind. Idealerweise haben wir auch die im Blick, die künftig die beste Perspektive bieten. Damit hängt zusätzlich das Thema Frauenförderung zusammen: Wir haben ungefähr 20 Prozent Frauen in Leitungsprofessuren, das ist offenkundig zu wenig. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Nachwuchsförderung.

Was muss da passieren?
Wir haben viele Möglichkeiten, unseren eigenen Nachwuchs noch besser auszubilden und an Leitungspositionen heranzuführen. Vor allem wollen wir sicherstellen, schon früh die Prinzipien einer nachhaltigen Forschung zu verankern, also eine Wissenschaft, die qualitativ hochwertig ist, die reproduzierbar ist und die die Gesellschaft auch wirklich weiterbringt.

Ein weiterer Punkt: Wir müssen uns in einigen Bereichen funktionaler aufstellen. Zum Beispiel klare Serviceorientierung in der Verwaltung, aber auch ausreichende Ressourcen, um die vielfältigen Aufgaben zu erledigen. Die Charité hat beispielsweise im Jahr 2022 über 250 Millionen Euro Drittmittel eingeworben. Diese Projekte müssen zuverlässig verwaltet werden, was auch entsprechende Ressourcen für die Infrastruktur und die Verwaltung erforderlich macht.

Sie sind zuständig für Forschung und Lehre. Beginnen wir mit der Lehre. Vor gut einem Jahrzehnt war die Charité Vorreiterin mit ihrem Modellstudiengang, der Praxis und Theorie viel enger als früher verbindet. Aus heutiger Sicht: Wo hat sich der Studiengang bewährt, wo nicht?
Der Grundgedanke, dass man früh Praxis und theoretische Ausbildung miteinander verwebt, trägt. Andererseits haben wir Elemente im Studium, die sehr aufwendig sind und bei denen die Frage ist, ob sie wirklich den Vorteil bringen, den man sich davon verspricht. Da ist es sinnvoll, noch einmal gründlich durchzugehen, damit haben wir nun begonnen.

Wir haben inzwischen ein weiteres wichtiges Element ins Studium gebracht: die interprofessionelle Ausbildung. Wir bilden Ärztinnen und Ärzte aus, die später im Berufsleben in der Lage sein müssen, mit allen Gesundheitsfachberufen kompetent zusammenzuarbeiten. Daher wollen wir, dass die Medizinstudierenden mit den Studierenden aus unseren Studiengängen für Pflege- oder auch Hebammenwissenschaft gemeinsam lernen. Das ist ein dickes Brett, da sind wir auch noch nicht am Ziel, aber wir als Charité mit über zehn Studiengängen im Bereich Gesundheit sind prädestiniert, so eine umfassende Ausbildung auf den Weg zu bringen.

In Deutschland werden händeringend mehr Mediziner gebraucht, Studienplätze sind extrem nachgefragt. Was muss passieren, damit Sie mehr Plätze anbieten?
Wir können die Medizinerausbildung im Prinzip hochskalieren, aber ein solcher Prozess müsste dann wirklich strukturiert sein und erfordert eine detaillierte Planung. Das geht nicht von heute auf morgen. Geld ist natürlich auch ein Faktor, außerdem muss es die passenden Patientinnen und Patienten für die Vermittlung der Lehrinhalte geben. Ich glaube, dass das in Berlin grundsätzlich möglich wäre, wenn alle Beteiligten dies wollen. Mit Vivantes arbeiten wir jetzt schon eng zusammen, zum Beispiel im praktischen Jahr, dem letzten Teil der Medizinerausbildung. Eine Erweiterung der Zusammenarbeit könnte zusätzliche Studienplätze möglich machen, wäre aber mit erheblichen Kosten verbunden.

Wir können die Medizinerausbildung im Prinzip hochskalieren.

Joachim Spranger

In der Pandemie war die Charité öffentlich so präsent wie kaum zuvor. Wie wollen Sie diese hohe Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit nutzen?
Die Position der Charité wird in nationalen Diskussionen sicherlich wahrgenommen. Die Charité ist in verschiedenen Gremien vertreten, die für Zukunftsthemen im Gesundheitsbereich wichtig sind. Ein Thema ist beispielsweise die Krankenhausreform, die für eine optimale Betreuung unserer Patientinnen und Patienten dringend nötig ist und die uns momentan sehr bewegt. Dabei geht es um die Frage, wie man künftig unser Gesundheitssystem ausrichtet. Dass sich die Charité hier einbringt, sehe ich als unsere Verpflichtung an.

Die Charité muss das Herzzentrum integrieren, auch die Integration des Berlin Institute of Health (BIH) ist noch lange nicht abgeschlossen. Könnten diese parallelen Großbaustellen die Charité überfordern?
Ich finde es persönlich nicht überraschend, wenn es bei einer solchen Integration mal an der einen oder anderen Stelle ruckelt. Davor sind wir nicht gefeit. Insgesamt kommen wir bei den Integrationsprozessen sehr gut voran. Die gerade aktuelle Integration des DHZC wird sich nicht binnen zwei Monaten lösen, ich gehe hier eher von zwei Jahren aus, bis die Prozesse geschmeidig laufen.

Der BIH-Direktor hat im Charité-Vorstand dasselbe Gewicht wie Sie, Sie sind beide für Forschung zuständig. Inwieweit führt das zu Konkurrenz mit Ihnen?
Theoretisch kann man aus jedem Nebeneinander ein Konkurrenzverhältnis machen, jeder bei uns hat aber seine klar beschriebenen Zuständigkeiten. In der Praxis arbeiten wir eng zusammen und finden praktisch immer gute Lösungen, um unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam zu unterstützen. Es ist bislang ein einmaliges Konstrukt, dass wir durch das BIH Bundesmittel in ein Universitätsklinikum bekommen.

Angesichts der finanziellen Einschränkungen der Länder in der Finanzierung der Universitätsmedizin würde ich mir wünschen, dass solche Konstrukte ausgeweitet werden, aus meiner Sicht wären sie auch für andere herausragende Medizinstandorte in Deutschland sinnvoll. Wir würden dies mit unseren bisherigen Erfahrungen der Zusammenarbeit gerne unterstützen.

Biontech hat unlängst einen zweiten Standort in London angekündigt, weil in Großbritannien medizinische Studien sehr viel schneller umsetzbar sind als in Deutschland. Was muss bei uns bei dem Thema passieren?
Das ist tatsächlich ein gravierendes Problem für uns, klinische Studien sind ein hoch regulierter Bereich. Prinzipiell ist das natürlich gut so, aber es bedeutet auch, dass wir die entsprechende Infrastruktur vorhalten müssen, um alle gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, was mit langen Bearbeitungszeiten und hohen Kosten verbunden ist. Wir stoßen als Uniklinika in Deutschland dabei an Grenzen. Wir brauchen Lösungen, damit wir bei dem wichtigen Thema klinische Studien konkurrenzfähig bleiben.

Wir haben kaum noch die Möglichkeit, unseren exzellenten Studienschwestern gute Bedingungen und konkurrenzfähige Gehälter zu bieten.

Joachim Spranger

Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Beispiel Datenschutz: Datenschutz für unsere Patienten ist wichtig, aber er darf nicht alles andere überwiegen und wichtige Entwicklungen ausbremsen. Die Verwendung von Patientendaten ist auch mit einem Nutzen für die Patienten verbunden, da fehlt mir die Balance. Man hat oft den Eindruck, dass bei uns immer die Risikobetrachtung im Vordergrund steht, selten der zum Teil erhebliche Nutzen.

Beispiel Studienschwestern: Die sind hoch spezialisiert, um solche Studien durchzuführen. Wir haben kaum noch die Möglichkeit, unseren exzellenten Studienschwestern gute Bedingungen und konkurrenzfähige Gehälter zu bieten. Beispiel Bürokratie: Wie bekommen wir Verträge mit Firmen in einem vernünftigen Zeitraum abgeschlossen? Wenn die drei, vier Monate dauern, weil umfänglichste Datenschutzanalysen durchgeführt werden müssen, die im Ausland in diesem Umfang nicht erforderlich sind, dann wird das zum Problem.

Die Berlin University Alliance ist vielleicht noch nicht da, wo sich das manch einer vorgestellt hat.

Joachim Spranger

Die Zukunft der Charité-Forschung hängt auch davon ab, wie sich die Berlin University Alliance (BUA) entwickelt, der Berliner Exzellenzverbund, zu dem die Charité mit FU, HU und TU gehört. Um die BUA hört man viel Gegrummel. Wie steht der Verbund Ihrer Wahrnehmung nach da?
Erst einmal: Mit den Universitäten, der Charité und den außeruniversitären Instituten haben wir in Berlin eine einmalige Wissenschaftslandschaft. Dafür eine gemeinsame Strategie zu schaffen, bringt riesige Chancen mit sich. Die BUA ist vielleicht noch nicht da, wo sich das manch einer vorgestellt hat. Alle BUA-Partner sind lange bestehende Institutionen, solche großen Tanker müssen erst einmal aufeinander zubewegt werden. Vielleicht ist es eine übertriebene Erwartung, dass man da in zwei oder drei Jahren schon alle Ziele erreicht. An einigen Stellen sollten wir uns aber bemühen, schneller voranzukommen.

Wo zum Beispiel?
Beim Teilen von Großgeräten zum Beispiel. Da würde man intuitiv denken, das kann doch gar nicht so kompliziert sein. Wenn man dann ins Detail geht, ist es das manchmal doch. In der Summe ist sicher alles im Rahmen des Erwartbaren – aber: Wir müssen uns alle gemeinsam schon anstrengen, um die BUA zum Erfolg zu machen. Was man aber auch sagen kann: Wir hatten eine Zwischenevaluation mit externen Gutachtern, die fiel positiv aus. Vielleicht neigen wir intern auch dazu, zu hohe Erwartungen an uns zu haben, und kommunizieren Erfolge der BUA nicht ausreichend.

In Berlin werden im Senat Gesundheit und Wissenschaft auch weiterhin in einem Ressort bleiben. Haben sich aus Sicht der Charité die Erwartungen daran bisher erfüllt?
Ich bin selber erst seit drei Monaten im Amt, das kann ich nicht so gut einschätzen. Und die Kombination gibt es ja auch erst seit einem guten Jahr, das ist vielleicht zu kurz, um das abschließend beurteilen zu können. Im Grundsatz kann ich mir schon vorstellen, dass die Kombination aus Gesundheit und Wissenschaft vorteilhaft sein kann, natürlich insbesondere für die Charité. Meine bisherigen Erfahrungen mit dem für uns zuständigen Senatsressort waren in jedem Fall positiv und von einem unterstützenden Miteinander geprägt.

Wie beurteilen Sie den Koalitionsvertrag von CDU und SPD?
Der Koalitionsvertrag setzt ein klares Zeichen für den Wissenschaftsstandort Berlin, was ich sehr begrüße. Entscheidend wird sein, dass sich diese Vereinbarungen nun auch im neuen Hochschulvertrag wiederfinden, der noch verhandelt wird. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })