
© Michael Dressel
Zurück aus der Zukunft: Michael Dressel fotografiert in Berlin und Los Angeles
Die Berliner Galerie Feinart zeigt knapp 60 seiner nach der Jahrtausendwende in Berlin und Los Angeles entstandenen Arbeiten
Stand:
Ein Mann mit entblößter Brust und vielen Tattoos hält eine große Uhr in der Hand. Auf dem Zifferblatt steht „Hard Times“, entstanden ist die Fotografie 2012 in Downtown von Los Angeles, dem Melting Pot der Kulturen.
Harte Zeiten hat Michael Dressel an eigenem Leib erfahren. Die Berliner Galerie Feinart zeigt knapp 60 seiner nach der Jahrtausendwende in Berlin und Los Angeles entstandenen Fotos. Geboren 1958 in Ost-Berlin, studierte Dressel an der Kunsthochschule Weißensee Bühnenbild und verbrachte nach einem missglückten Fluchtversuch zwei Jahre in DDR-Gefängnissen. Nach seiner Ausbürgerung wohnte er in West-Berlin und landete 1985 in Los Angeles, wo er als Soundeditor für Oscar prämierte Filme von Clint Eastwood tätig war. Erst nach 20 Jahren besuchte Dressel wieder Berlin und stellte fest: „Wenn ich nach Deutschland komme, fühle ich mich oft, als würde ich aus einer gesellschaftlichen Zukunft kommen.“
Manches ist absurd komisch
Die Bilder ähneln sich. Ob sich eine Szene in Berlin oder in Kalifornien abspielt, kann man manchmal erst auf den zweiten Blick erkennen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist im sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten ähnlich tief wie an der Spree. Dressels Bilder sind nicht gestellt, sie basieren auf genauer Beobachtung des alltäglichen Lebens bei endlosen Fußwanderungen durch Stadtviertel in der Tradition der Street Photography; manchmal fragt er auch seine Protagonisten, ob er sie ablichten darf.
Doch es geht ihm nicht um eine soziale Reportage. Das harte Schwarz-Weiß seiner digitalen Aufnahmen überführt das Gesehene in eine eigenartige Zeitlosigkeit, die exakt geplanten Ausschnitte und Kompositionen tragen zur Ästhetik der Bilder bei.
Erfolg für alle – eine Illusion
Die Welt des Glamours ist hier ausgeblendet. Für Dressels Menschen, die sich in Kneipen betrinken, die vereinsamen und buchstäblich auf der Straße leben, hat sich keine ihrer Visionen verwirklicht – aus Gründen der Armut, Krankheit, Drogensucht. Schriftzüge von Reklametafeln oder an Geschäften sorgen oft für eine absurde Komik. Der Mann, der auf einer Werbung für ein Beratungszentrum an einer Weddinger U-Bahnstation unter dem Slogan „Alles wird gut“ stürzt, kollidiert in Dressels Schnappschuss mit einem einfahrenden Zug. Von Hollywoods „Walk of Fame“ zeugen nur die Buchstaben „Of Illusions“ an einer Fassade, in der Spiegelung eines Schaufensters übt davor ein junger Typ das „Hände hoch“, als würde er gerade von der Polizei verfolgt, die bei Dressel permanent Gewalt ausstrahlt. An einer menschenleeren Straßenkreuzung im Bezirk Echo Park von Los Angeles, der hier durch Verwahrlosung glänzt, erklimmt ein Obdachloser im Rollstuhl mühsam den Bordstein. Im Vordergrund des Bildes ruft ein Anschlagzettel an einem Mast dazu auf, an Jesus zu glauben.
Trotzdem entwickelt bei Dressel gerade das kalifornische Straßenpublikum bisweilen seine eigene Art von Faszination, allein durch das Outfit. Jeder für 15 Minuten berühmt, möchte man mit Warhol meinen. Junge Leute im Punk- oder Transgender-Dress, die in der Masse auffallen wollen. Eine vollbusige Schöne scheint Filmdiven zu imitieren, die auf dem „Walk of Fame“ mit einem Stern verewigt sind. Am Rande dieses Ruhmes schleppt eine ältere Frau ihre Utensilien, ihr Käppi ist nach der US-Flagge gemustert: Stars and Stripes. Auch diese Underdogs, die Verlierer einer Gesellschaft, wollen glänzen. Dressel setzte ihnen in seinen Fotografien einen eigenen Stern (Preise: 1600-3500 Euro).
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