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Nicht entscheidungsfähig. Arzneitests an Demenzkranken sind heftig umstritten.

© picture alliance / dpa

Update

Demenzkranke: Gröhe-Plan zu Arzneitests könnte an der Unionsfraktion scheitern

Mit dem Vorhaben, Arzneiversuche an Demenzkranken zu erleichtern, stößt CDU-Gesundheitsminister Gröhe in seiner eigenen Partei auf Ablehnung. Und Vorgängerin Ulla Schmidt findet den Plan "brandgefährlich".

Wegen erheblichen Widerstands in der Unionsfraktion steht das Vorhaben von Gesundheitsminister Hermann Gröhe, die Möglichkeiten für Arzneiversuche an Demenzkranken auszuweiten, auf der Kippe. Ihm sei von der Fraktionsführung signalisiert worden, „dass es Abstriche am Patientenschutz nicht geben wird“, sagte der zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion und frühere Behindertenbeauftragte der Regierung, Hubert Hüppe, dem Tagesspiegel. Und die Familienpolitiker der Union lehnen Gröhes Vorhaben mit einstimmigem Beschluss ab.

Fraktionschef Kauder sorgt sich um Lebensschutz

Nach Informationen dieser Zeitung wurde Unions-Fraktionschef Volker Kauder bei der jüngsten Sitzung des Fraktionsvorstands diesbezüglich sehr energisch. Man werde, so äußerte der CDU-Politiker, beim Lebensschutz „keinen Zentimeter zurückweichen“. Kauder hat persönlich große Nähe zu dem Thema. In seinem Wahlkreis hat er einen Förderverein für psychisch Kranke gegründet. Zudem war er Vorsitzender der Bundesvereinigung „Aktion Psychisch Kranke“.

An diesem Donnerstag will das Ministerium die strittigen Passagen des Gesetzentwurfs erneut mit den Berichterstattern beider Fraktionen erörtern. In einer Woche könnte das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften dann vom Bundestag beschlossen werden – mit oder ohne die umstrittenen Passagen.

Kleinere Änderungen hat das Ministerium dem Vernehmen nach bereits akzeptiert. Allerdings beharrt Gröhe weiter darauf, auch Arzneitests an Nichteinwilligungsfähigen zu ermöglichen, von denen diese selber keinen Nutzen haben. Aus der Sicht der Kritiker wären solche fremdnützigen Studien an Demenzkranken und geistig Behinderten ein Tabubruch. Bisher sind sie in Deutschland verboten.

Familienpolitiker der Union geschlossen gegen Gröhes Pläne

Die Unionsarbeitsgruppe Familie und Senioren stemmt sich denn auch geschlossen gegen Gröhes Pläne. Gerade CDU und CSU stünden hier „in besonderer ethischer Verantwortung“, sagte der familienpolitische Sprecher der Fraktion, Marcus Weinberg, dieser Zeitung. Der Staat habe diejenigen zu schützen, die dies selber nicht mehr könnten. Und mit der beabsichtigten Änderung bei Arzneitests laufe man „Gefahr, etwas den Weg zu bringen, das man irgendwann nicht mehr kontrollieren kann“.

Er wolle „nicht in einer Gesellschaft leben, in der an Demenzkranken Forschung betrieben wird, ohne dass diese davon einen persönlichen Nutzen haben“, stellte der CDU-Politiker klar. Diese Positionen werde man „sehr vehement vertreten“. Sie seien in der Fraktion „klar mehrheitsfähig“.

Auch in der SPD wächst der Widerstand

Gegen Gröhes Vorhaben hatten sich zuvor bereits beide großen Kirchen mit einer scharfen Stellungnahme gewandt. Sie warnten vor „schwerwiegenden Missbrauchsrisiken“ und einem Verstoß gegen die Menschenwürde. Linkspartei und Grüne warnen ebenfalls eindringlich davor, Demenzkranke zu "Versuchskaninchen" zu machen.

Auch in der SPD sind die Pläne umstritten. Der Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut sagte dem Tagesspiegel, er sei in seiner Fraktion nicht der einzige, der das Vorhaben skeptisch sehe. „Wir täten gut daran, die Finger davon zu lassen.“ Kritisch äußerten sich zudem die kirchenpolitische Sprecherin Kerstin Griese und die Bundestagsvizepräsidentin und frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

In der „Berliner Zeitung“ meldete sich Gröhes Vorgängerin erneut zu Wort. „Menschen mit geistiger Beeinträchtigung dürfen keine Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie werden“, sagte sie. Die geplanten Tests würden die Menschenwürde verletzen. Ein Aufweichen der Regeln wäre ein gefährlicher Dammbruch. Gröhes Vorhaben sei daher „brandgefährlich“, sagte Schmidt, die heute Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe ist. „Ich kann nur hoffen, dass sich hier die Vernunft durchsetzt und der Bundestag am Ende alles beim Alten lässt.“

Patientenverfügung ohne Aufklärung?

Nach Gröhes Plänen wären gruppennützige Studien an Dementen nur erlaubt, wenn die Betroffenen dies vor Ausbruch der Krankheit schriftlich verfügt haben. Damit ginge die Bundesregierung über EU-Recht hinaus. Allerdings möchte der Gesundheitsminister, dass diese Festlegung auch gelten soll, wenn der Unterzeichner auf genauere Aufklärung verzichtet hat. Ein weiteres Ärgernis für die Kritiker des Gesetzesvorhabens.

Verzicht auf Aufklärung sei zwar bei medizinischer Behandlung zulässig, sagte Hüppe. "Aber Forschung, erst recht solche ohne individuellen Nutzen, ist etwas kategorial völlig anderes als Therapie. Es wäre verheerend, wenn ausgerechnet in Deutschland dieser zentrale Unterschied verwischt würde."

Zudem, so betonte der CDU-Politiker, hätten nicht einmal die vehementesten Befürworter die Erforderlichkeit rein gruppennütziger Forschung an Nichteinwilligungsfähigen belegen können. Zustimmung oder Ablehnung sei für viele Abgeordnete „eine Gewissensfrage“, vergleichbar mit dem Streit um Patientenverfügungen und Sterbehilfe.

Ethikkommissions-Mitglieder sehen gravierende Problemen

In einem Brief an die Mitglieder der Bundestagsausschüsse für Gesundheit und Recht appellierten auch Mitglieder der Ethikkommission des Landes Berlin an die Abgeordneten, fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen nicht zu erlauben. Gröhes Konzept führe „zu gravierenden ethischen und rechtlichen Problemen“, heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt. Das Anliegen, Patienten nicht on der Teilhabe am medizinischen Fortschritt auszuschließen, sei zwar als Ziel legitim. „Allerdings sollte dies nicht über den riskanten und missbrauchsanfälligen Weg führen, Einwilligungsunfähige als Probanden fremdnütziger Forschung einzubeziehen, die aus guten Gründen bis heute in Deutschland verboten ist.“

Schlimmstenfalls, so die Unterzeichner könne die geplante Regelung „grundlegende rechtsethische Standards medizinischer Forschung auflösen“. Unterschrieben haben den Appell unter anderem die Pharmakologen Elisabeth Knoll-Köhler, Jens Tank und Ingrid Mai, die Mediziner Peter Schlattmann, Martin Hildebrand und Jeanette Schulz-Menger, die Gesundheitsökonomin Stephanie Roll, die Philosophin Katharina von Falkenhain, die Theologin Gabriele Lucht sowie die Rechtsanwältinnen Susann Bräcklein, Heike Morris und Bettina Locklair

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