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Herbert Kurzweil

© privat

Nachruf auf Andreas Herbert Kurzweil: 16. Juli 1945 - 13. März 2023

Da loderte dieses innere Feuer, das zu löschen er nicht immer die richtigen Getränke fand

Er rauchte wie ein Drache, was zum einen an den filterlosen Zigaretten lag, die er seit frühester Jugend schmauchte, und zum anderen an seinem feurigen Temperament. Selbiges mäßigte er handküssend zutraulich in der Gegenwart von Damen oder ließ es furios aufflammen, wenn er widerständige Dummheit witterte. Wissen war für ihn Freiheit, Rettung aus der Unmündigkeit, und er schimpfte auf alle, die in letzterer mutwillig verharrten. Schon sein Vater hatte diese Sehnsucht nach Höhenflügen, von etwas anderer Art allerdings, er war Flieger aus Leidenschaft, nicht aus Kampfeslust, stieg selbst an seinem dienstfreien Tag auf, und wurde abgeschossen, noch vor Andis Geburt.

Die Familie musste aus der Heimatregion Pilsen fliehen, landete dank amerikanischer Transporthilfe in Amberg, wo die Mutter bald darauf erneut heiratete. Der protestantische Stiefvater ließ Andi sofort umtaufen und prügelte ihn tagtäglich für Sünden, die dieser noch gar nicht begangen hatte. Was Andis Glauben an den lieben Gott grundlegend erschütterte und ihn in der Schule rabaukenhafter auftreten ließ, als es eigentlich seine Art war.

Zum Abitur wurde er folglich nicht zugelassen, und so absolvierte er nach dem Umzug der Familie nach Berlin eine Lehre und bewarb sich als Chemotechniker im Hahn-Meitner-Institut am Wannsee. Dort war er bis zu seiner Pensionierung zuständig für Radiochemie, Materialforschung, Laborexperimente aller Art und die Grundsatzfrage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Darüber diskutierte er angeregt mit jedem, ob Pförtner oder Professor.

Privat ließ er es keineswegs leidenschaftsloser angehen. Chuck Berry gab den Takt vor. Andi war ein guter Tänzer und er hatte den Mut, selbst seine Traumfrau anzusprechen. „Gestatten Kurzweil“. - „Gestatten Elfriede“. Da mussten beide lachen. Susi, so ihr Wunschname, war größer als er, hübscher und sechs Jahre älter. Dennoch ließ er nicht locker, und so wurden sie ein Paar. Was wiederum Anlass für zahllose Partys war, für die er nicht nur die Einladungskarten bastelte, sondern auch die Wohnungseinrichtung je nach Motto auf Saloon oder Piratenschiff umdekorierte. Wenn Andi und Susi nicht zuhause feierten, taten sie es auf den vielen weiten Reisen, bis die Familienplanung vorläufige Sesshaftigkeit erzwang.

Er wollte vier Kinder, sie keine, also einigten sie sich auf zwei. Andi liebte seine Töchter über alles, erzog sie früh zur Neugier: „Kinderchen, wir machen mal ein Quiz“, in dem nur er die Antworten wissen konnte. Geschichte stand auf dem Lehrplan, Chemie, Kartenspiel und die Weitung des politischen Horizonts. Als Jugendliche mussten die beiden stets die „Aktuelle Kamera“ und die „Tagesschau“ ansehen, um zu verstehen, dass die Auffassungen über die Wahrheit einer gewissen Wandelbarkeit unterliegen.

Wie die Liebe auch. Andi liebte Susi, aber er war ihr nicht treu. Da loderte dieses innere Feuer, das zu löschen, er nicht immer die richtigen Getränke fand. Eine Party war nur dann gut, so seine feste Überzeugung, wenn man sich nicht mehr an sie erinnern konnte. Seine Untreue gestand er ihr ausgerechnet in der Zeit, als sie an Krebs erkrankte und die Ärzte ihr nur noch sechs Wochen zu leben gaben. Zeit reinen Tisch zu machen, fand er und listete all seine Affären auf, was sie so energiereich erboste, dass sie ihr Todesurteil 13 Jahre überlebte. Getrennt haben sie sich in der Folge dann doch, zum Wohle der Kinder. Dennoch schenkte er ihr auch weiterhin zum Kennenlerntag jedes Jahr eine Blume, und zwar von jeweils anderer Art, was im Dezember gar nicht so einfach war.

Andi suchte und fand eine neue Liebe, Uta, der er auch nicht gänzlich treu zu sein vermochte, und die ihn nach 15 Jahren verließ, weil auch sie an Krebs starb. Die Rettung vor der Einsamkeit, und der Schwermut, die ihn gelegentlich heimsuchte, fand er im Museumsdorf Düppel, wo er Jahrzehnte als ehrenamtlicher Instruktor mitwirkte. Auf diesem Areal in Nikolassee waren die Reste einer alten slawischen Siedlung ausgegraben worden, und viele Freiwillige halfen mit, das mittelalterliche Leben in diesem Freilichtmuseum wiederauferstehen zu lassen.

Dort fand er endlich auch den Stoff, der nicht die Welt im Innersten, aber doch sehr vieles auf ihr zusammenhält: Teer. Andi wurde zum Experten in Sachen Teerfabrikation mittels der Doppeltopfmethode, die er praktisch vorführte und in zahllosen Vorträgen auch theoretisch explizierte. Teer diente von alters her als universeller Verbundstoff, nutzbar als Wagenschmiere, Brennstoff für Fackeln, Dichtmittel beim Kalfatern. Andi fand Experten in ganz Europa, mit denen er sich über Herstellung und Verwendung austauschte.

Einmal im Jahr gab er für alle freiwilligen Helfer und Interessierten ein großes Fest, sein Albertus-Magnus-Tag, Albertus Magnus: Universalgelehrter wie er selbst, und dann tischte er auf, wie immer einem Motto folgend. Waren Piraten die kulinarischen Lotsen, wurde Bounty zum Nachttisch serviert. Für die geistige Unterhaltung war nicht weniger verschwenderisch vorgesorgt, denn Andi kannte Hunderte von Gedichten auswendig, was er nie zur Gänze demonstrieren konnte, denn irgendwann erlahmte selbst die Aufmerksamkeit seiner wohlwollendsten Zuhörer.

Andis Kräfte schienen nie zu schwinden - was eine Illusion war. Krankheiten machten ihm zunehmend zu schaffen, ihn schwächte sein Bewegungsmangel, dem seine Töchter abzuhelfen versuchten, indem sie ihm einen Hund schenkten. Der allerdings noch gehfauler war als er selbst: „Mit dem Hund kannste pflügen“. Was wohl auch daran lag, dass er mit ihm immer brüderlich seine Sahnetorte geteilt hatte. Die Katze, die ihm nachfolgte, „Runtervomtisch“ gerufen, war merklich agiler, jedoch nur zum Schein interessiert, sich von Andi das Apportieren beizubringen zu lassen.

Er resignierte nicht angesichts der kleinen und großen Widrigkeiten, aber er spürte, dass seine Zeit abgelaufen war. Seine Neugier hätte noch für sieben Leben gereicht, aber sein Körper hielt dem inneren Feuer nicht ewig stand. Was ihn dank seiner Vertrautheit mit Wilhelm Busch nicht ganz unvorbereitet traf: „Kein Leugnen hilft, kein Widerstreben, wir müssen sterben, weil wir leben.“

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