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Solidarität mit den Betroffenen. Nazigegner protestieren im Februar 2018 in Neukölln gegen die Serie rechtsextremer Anschläge im Bezirk.

© imago/Carsten Thesing

72 ungeklärte Angriffe von mutmaßlichen Neonazis: Expertenkommission zu rechten Anschlägen in Neukölln steht fest

Eine Kommission soll klären, warum es der Polizei nicht gelingt, die Serientäter von Neukölln zu fassen. Die Personalien stehen nun fest - doch es gibt Kritik.

Von Frank Jansen

Der Misserfolg ist deprimierend, doch jetzt gibt es Hoffnung auf eine Klärung. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat am Donnerstag die Kommission externer Fachleute vorgestellt, die sich mit den mageren Ergebnissen der Ermittlungen zu der jahrelangen Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln befassen soll. Es seien mit Uta Leichsenring und Herbert Diemer „zwei hochkarätige Experten“ gewonnen worden, sagte Geisel.

Leichsenring war von 1991 bis 2002 Polizeipräsidentin in Eberswalde und wurde 2019 für ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Diemer war 30 Jahre bei der Bundesanwaltschaft und führte die Ermittlungen zur Terrorzelle NSU. Leichsenring und Diemer sollen Akten auswerten und können auch Beamte von Polizei und Justiz befragen. Im Januar 2021 soll die Kommission einen Zwischenbericht vorlegen, im Frühjahr dann den abschließenden Report.

Geisel hofft auf neue Ansätze für die Ermittlungen

Geisel betonte, die Kommission werde „unabhängig und weisungsfrei“ die Arbeit von Polizei und Justiz im Fall Neukölln sichten und bewerten. Er hoffe auf „fachliche Impulse“ und „im besten Fall neue Ansätze“, wie die Ermittlungen doch noch zu einem Erfolg geführt werden können.

Seit 2016 haben mutmaßlich Neonazis in Neukölln 72 Angriffe verübt, darunter 23 Brandanschläge. Getroffen wurden linke Nazigegner, mehrere Fahrzeuge gingen in Flammen auf. Die Täter wurden bislang nicht gefasst. Als verdächtig gelten die Neonazis Sebastian T., Tilo P. und Julian B.

Prozess gegen die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. ausgesetzt

Trotz aufwändiger Ermittlungen gelang es der Polizei nicht, den drei Extremisten schwere Delikte nachzuweisen. Auch die Bildung der „Besonderen Aufbauorganisation Fokus“ mit mehr als 40 Beamten brachte keinen Durchbruch. Bislang gab es nur einen Lichtblick.

Polizisten, die Sebastian T. und Tilo P. observierten, ertappten die beiden im August 2017 beim Sprühen von Parolen, mit denen Rudolf Heß, einst Stellvertreter von Adolf Hitler in der NSDAP, als Märtyrer verherrlicht wurde. Der Ende August begonnene Prozess gegen die Neonazis wurde allerdings schon am ersten Verhandlungstag ausgesetzt, weil Polizeibeamte nur eingeschränkt aussagen durften.

Sorge um Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat

Es dürfe bei den Opfern der Straftaten keinen Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat geben, sagte Geisel bei der Vorstellung der Kommission. Die Sorge treibt auch Leichsenring und Diemer um. „Mir geht es um die Opfer, dass wir ihnen das Gefühl geben, dass sie den Schutz der Sicherheitsbehörden haben“, sagte Leichsenring. Sie hofft, dass die Betroffenen „nicht nachlassen in ihrem Engagement“ gegen Rechtsextremismus.

Leichsenring betonte aber auch, es sei für sie „nicht erträglich, dass die Polizei als Ganzes in Mithaftung genommen wird, wenn die Ermittlungserfolge ausbleiben“. Der gerade auch in Neukölln zu hörende Vorwurf, die Polizei sei auf dem rechten Auge blind, ist Leichsenring zu pauschal. „Sie können von meiner Seite Wertschätzung für die Polizei erwarten“, sagte die Ex-Polizeipräsidentin, „aber nicht, dass ich einen Korpsgeist bediene“.

Expertenkommission erhält vier erfahrene Mitarbeiter

Auch Diemer wandte sich gegen einen Generalverdacht zulasten der Polizei. Der Fall Neukölln müsse allerdings „aufgeklärt werden bis zum letzten Buchstaben, bis zum letzten Komma“. Diemer hob hervor, die Ausstattung der Kommission sei „hervorragend“. Die beiden Experten bekommen eigene Räume und vier Mitarbeiter.

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Das sind Leute mit Erfahrung. Sie waren bereits für den ehemaligen Bundesanwalt Bruno Jost tätig, der als Sonderbeauftragter des Berliner Senats die Ermittlungspannen im Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri untersuchte und einen schonungslosen Bericht erstellte.

Linksfraktion skeptisch

Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus reagierte verhalten auf die von Geisel und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) installierte Kommission. Er wünsche ihr viel Erfolg, sagte der innenpolitische Sprecher, Niklas Schrader, doch er halte „die Personalie Herbert Diemer für problematisch“.

Diemer stehe seit dem NSU-Prozess „nicht für größtmögliche Aufklärung behördlicher Missstände und rechter Netzwerke“. Der Ex-Bundesanwalt wollte sich in der Pressekonferenz nicht zum Thema NSU äußern, betonte aber, „alles was ich bisher gemacht habe, habe ich mit großem Engagement gemacht“.

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