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Eine Patientin einer Intensivstation wird beatmet.

© imago images/Jochen Tack

Ärztliche Notfallanordnung: So können Patienten ihre Covid-19-Behandlung vorher regeln

Sie ist klarer als eine Patientenverfügung: Eine Notfallanordnung dokumentiert Wünsche von Patienten. Neuerdings können auch Hausärzte die Beratung durchführen.

Menschen, die für schwere Erkrankungen im Voraus regeln wollen, ob sie in ein Krankenhaus verlegt und dort lebenserhaltend behandelt werden möchten, können sich zu einer solchen „Ärztlichen Notfallanordnung“ (ÄNo) jetzt auch von ihrem Hausarzt beraten und diesen das Dokument mit unterzeichnen lassen. Kann der Patient im Notfall nicht mehr selbst zustimmen, sind die dort dokumentierten Wünsche verbindlich.

Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie haben sich sechs medizinische Fachgesellschaften – darunter die der Allgemeinärzte, der Palliativ- und der Intensivmediziner – auf einen Leitfaden geeinigt, auf dessen Grundlage die niedergelassenen Ärzte die Beratungsgespräche für die ÄNo führen sollen. Bisher waren solche Gespräche laut Hospiz- und Palliativgesetz nur extra geschulten Beratern in Pflegeheimen und in Einrichtungen der Eingliederungshilfe möglich.

Verläuft eine Covid-19-Infektion schwer, kann sie unter anderem dazu führen, dass der Patient auf einer Intensivstation künstlich beatmet werden muss. „Unter dem gegebenen Handlungsdruck“ laufe dann die Therapie nach akutmedizinischen Standards ab, ohne dass „die Einwilligung der betroffenen Person in einem gründlichen Prozess der Vorausplanung geklärt wurde“, heißt es in dem Leitfaden.

Doch der vorherigen Entscheidungsfindung im ambulanten Rahmen, zum Beispiel in einer Arztpraxis, komme eine besondere Bedeutung zu, da Patienten generell „nur dann mit dem Ziel einer lebenserhaltenden Therapie ins Krankenhaus eingewiesen werden sollten, wenn eine stationäre oder auch intensivmedizinische Behandlung (a) medizinisch sinnvoll und (b) vom Patienten gewollt ist.“

Die sogenannten Gespräche zur „Behandlung im Voraus planen“ (BVP), in denen auch eine ÄNo dokumentiert wird, sind in der seit 2015 gültigen Neufassung des Hospiz- und Palliativgesetzes geregelt. Die ÄNo enthält im Wesentlichen die Wünsche des Patienten zu drei Punkten, die per Ankreuzen dokumentiert werden: A) lebensverlängernde Therapien ohne Einschränkungen, B) lebensverlängernde Therapien mit Einschränkungen (unter anderem keine Wiederbelebung, keine invasive Beatmung oder keine Therapie auf einer Intensivstation) oder C) keine lebensverlängernden Therapien, nur palliative Begleitung.

Sehr viel „schärferes Schwert“ als eine Patientenverfügung

Entworfen wurde die Vorlage von der „Deutschen interprofessionellen Vereinigung – Behandlung im Voraus Planen“ (DiV-BVP). Durch die schnell zu erfassende und deutliche Formulierung sei die ÄNo ein sehr viel „schärferes Schwert“ als eine übliche Patientenverfügung, die über mehrere lange Seiten mit mehr oder weniger aussagekräftigen Passagen die Therapiewünsche in vielen verschiedenen Behandlungs- und Lebenssituationen regeln will und deshalb oft ungültig sei, sagt Jürgen in der Schmitten vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf und Vorstandsmitglied der DiV-BVP.

Die mit wenigen Kreuzen auszufüllenden Optionen auf dem ÄNo-Dokument dagegen sind für den Notfall relevant und haben erhebliche Konsequenzen für die medizinische Behandlung.

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In der vorliegenden Form sei sie für den Notarzt, der über eine Einweisung in die Klinik entscheiden muss, und auch für den behandelnden Arzt im Krankenhaus, der möglicherweise eine Verlegung auf die Intensivstation und eine Beatmung anordnen will, verbindlich - sofern der Patient nicht mehr selbst einwilligungsfähig ist.

Auch eine Ärztliche Notfallanordnung muss gut überlegt sein

„Der Fehler einer weniger klar formulierten Patientenverfügung kann sein, dass man gegen seinen Willen lebenserhaltend behandelt wird“, sagt in der Schmitten. „Die Auswirkung einer durch Missverständnis oder ungenügende Reflektion falsch ausgefüllten ÄNo aber kann sein, dass man eben nicht mehr lebenserhaltend behandelt wird, obwohl man das dann eigentlich will.“ Deshalb sollte sie auf keinen Fall von den Betroffenen, die Optionen für eine lebenserhaltene Therapie regeln wollten, allein ausgefüllt werden, sondern im Gespräch mit dafür geschulten Begleitern im Pflegeheim oder einer Behinderteneinrichtung sowie nun den Hausärzten in ihrer Praxis.

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Die bisher nötigen Schulungen für die Berater sind sehr aufwändig. Angesichts der derzeitigen Coronavirus-Pandemie wird nun den Ärzten in ihrer Praxis ein solches Gespräch und die Dokumentation auf den Formularen der DiV-BVP ermöglicht - auch ohne, dass sie vorher den Kurs absolvieren müssten. „Sie sind medizinisch geschult und sollten erklären können, was die Regelung letztlich bedeutet und außerdem ist der jetzt verabschiedete Leitfaden eine gute Orientierung“, sagt in der Schmitten. „Wir hoffen aber, dass die Ärzte einen Kurs später nachholen.“ Man arbeite an entsprechenden Onlinekursen, die für die Mediziner wesentlich kürzer dauern und weniger kosten würden, als die bisher üblichen Kurse.

Risikogruppen können ihre Wünsche mit dem Hausarzt regeln

Ab sofort können also unter anderen auch Angehörige von Risikogruppen für einen schweren Covid-19-Verlauf ihre Therapiewünsche für den Notfall, in dem sie nicht mehr selbst einwilligungsfähig sind, vorab im Gespräch mit ihrem Hausarzt regeln. „Am besten erkundigen sich Interessierte bei ihrem Hausarzt, ob er dies anbietet und vereinbaren einen Termin dafür.“

Obwohl das Dokument selbst sehr kurz gehalten ist, kann das dazugehörige Beratungsgespräch viel Zeit in Anspruch nehmen, um zu erklären und zu verstehen, was in dieser Anordnung ein- und ausgeschlossen wird. Anderthalb oder zwei Stunden müsse man für ein solches Gespräch ansetzen, sagt in der Schmitten, der als Hausarzt selbst schon viele solcher Gespräche geführt hat. „In der Regel ist vor der ärztlichen Unterschrift auf dem Dokument ein zweiter Termin erforderlich, damit der Betroffene die unter Umständen folgenreichen Festlegungen in der Zwischenzeit noch einmal überdenken kann.“

Krankenkassen zahlen Beratung durch den Hausarzt bisher nicht

Im Gegensatz zu den Bewohnern von Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen sei es bisher nicht geregelt, dass die Krankenhassen auch für andere Patienten diese Beratung bezahlen, sagt in der Schmitten. Deshalb sei sie bisher eine Selbstzahlerleistung, die von Ärzten entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ) abgerechnet werde.

„Mit 100 bis 200 Euro muss man dafür sicher rechnen“, sagt der Experte. Aber das sei gut angelegtes Geld, um seinen Wünschen wirksam Geltung zu verschaffen.

Hospiz-Anlaufstelle bietet kostenlose Beratung für Vorsorge an

In Berlin gibt es für Betroffene, die ihre Behandlungswünsche im Vorfeld festlegen möchten, ein neues Beratungsangebot der Fach- und Spezialberatungsstelle „Zentrale Anlaufstelle Hospiz (ZAH)“.

Das kostenlose Angebot unter der Rufnummer 030-40711114 (Montag bis Freitag von 9 bis 15 Uhr) richte sich insbesondere an Menschen ab 60 Jahren, teilte die ZAH, die vom Unionhilfswerk getragen wird, mit. Man wolle helfen, Fragen und Anliegen zu klären sowie – unter Einbeziehung der jeweiligen behandelnden Ärztinnen und Ärzte – Vorsorgedokumente zu erstellen. „Hierzu gehören eine Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht und/oder der Berliner Notfallplan“, der ein der ÄNo ähnliches Dokument ist. Über die Hotline könne man zudem eine telefonische Eins-zu-eins-Beratung anmelden. „Die dafür relevanten Unterlagen werden vorab zugesandt.“

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