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Die Gewalt gegen Frauen hat in der Coronakrise in Brandenburg zugenommen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Update

Bedroht, geschlagen, vergewaltigt: Anstieg von häuslicher Gewalt in Brandenburg um 20 Prozent

In Brandenburg hat häusliche Gewalt während der Pandemie zugenommen. Auch auf andere Kriminalitätsbereiche wirkt sich der Corona-Lockdown aus.

Sozialexperten hatten davor gewarnt, nun belegen es die Zahlen der Brandenburger Polizei: Die Corona-Pandemie hat zu einer starken Zunahme häuslicher Gewalt geführt. Demnach stieg die Zahl der Straftaten in diesem Bereich um 19,8 Prozent auf 5235, im Jahr 2019 waren es 4371 Fälle. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik für 2020 hervor, die Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Landespolizeipräsident Oliver Stepien am Montag, zufällig Weltfrauentag, in Potsdam per Videokonferenz vorstellten.

Denn wie in den Vorjahren sind vor allem Frauen von Gewalt in der Familie betroffen. Knapp 71 Prozent der Opfer waren weiblich. „Besonders hoch ist die Gefährdung bei weiblichen Personen im Alter zwischen 21 und 40 Jahren“, heißt es im Statistikbericht. Auch 453 Kinder waren demnach Gewalt ausgesetzt. Bei den Tatverdächtigen dominieren insgesamt Männer: Von 4275 Verdächtigen waren rund 76 Prozent männlich.

Die Mehrzahl der Delikte im häuslichen Umfeld waren einfache Körperverletzungen. 3087 solcher Taten wurden gezählt, 2019 waren es 2473. Auch bei schweren Körperverletzungen, Bedrohungen und Nötigungen unter Familienmitgliedern gibt es deutliche Zunahmen. Zudem sind in der Statistik 62 Vergewaltigungen durch den eigenen Partner oder eine nahestehende Person (2019: 60) angezeigt worden.

Der deutliche Anstieg der Straftaten im häuslichen Bereich – dazu zählen nicht nur Vorfälle innerhalb der eigenen vier Wände, sondern alle Formen von Gewalt zwischen Menschen, die in enger Beziehung zueinander stehen – sei „beängstigend“, sagt Innenminister Stübgen. „Corona hatte hier massiven Einfluss.“ Vor allem während der Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr sei eine Zunahme zu verzeichnen gewesen. „Menschen blieben häufiger zu Hause, Existenzängste machten sich breit, der Zugang zu Hilfsangeboten war erschwert. Das sind erste Erklärungsansätze, rechtfertigen aber keine Taten“, sagte der Minister.

Die Polizei könne per Gesetz einen Täter zehn Tage der Wohnung verweisen, gleichzeitig dürfe präventiv nicht nachgelassen werden. Die Möglichkeit einer „Dunkelfeldstudie“ werde nun geprüft, sagte Stübgen.

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„Wieder sind es die Frauen, die am stärksten unter der Pandemie leiden“, sagte die Landesvorsitzende der Grünen, Alexandra Pichl, nach der Vorstellung der Statistik. Die Eindämmungsverordnung sei notwendig, aber es müsse auf die Menschen geachtet werden, für die das Zuhause kein sicherer Rückzugsort sei. Auf Bundes- wie auf Landesebene müsse mehr Geld für Frauenhäuser zur Verfügung gestellt werden.

Brandenburg hat gemessen an den Vorgaben der Istanbul-Konvention zu wenig Plätze in Frauenhäusern für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Nach dem Übereinkommen muss auf 10.000 Einwohner ein Familienzimmer bereitgestellt werden – die Hälfte der Plätze fehlt aber bisher.

Die Pandemie erschwert auch die Arbeit von Beratungsstellen. „Unsere Beratungsräume sind während des Lockdowns grundsätzlich geschlossen“, sagte Catrin Seeger vom Vorstand des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser. Die Beraterinnen kommunizieren mit Hilfesuchenden per Mail, telefonisch oder über Whatsapp. Persönlichen Kontakt gibt es nur in Ausnahmefällen.

Auch in Berlin mehr Fälle

Auch in Berlin sind die Zahlen in der Coronakrise offenbar gestiegen. Zwar liegen noch keine Angaben der Kriminalstatistik vor, allerdings gibt es andere Hinweise. Die Gewaltschutzambulanz der Charité hatte im vergangenen Jahr Kontakt zu 1661 Gewaltopfern, die Hilfe suchten - eine Zunahme um acht Prozent im Vergleich zu 2019. Ebenso nahm die Zahl der Verfahren zu häuslicher Gewalt bei Staats- und Amtsanwaltschaft auf 15.800 zu. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 1035 Fälle mehr.

Auf andere Kriminalitätsbereiche hingegen wirkt sich die Coronakrise positiv aus: Die Zahl der Diebstähle sank auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren, auch in Häuser und Wohnungen wurde deutlich weniger eingebrochen. Mangels Gelegenheit. Die ständige Anwesenheit der Bewohner schrecke Einbrecher logischerweise ab. Und wer sein Fahrrad nicht auf dem Weg zur Arbeit am Bahnhof parken muss, dem könne es auch nicht gestohlen werden, sagt Stübgen.

Gleichbleibend viele Angriffe auf Polizisten

Insgesamt wurden im Jahr 2020 in Brandenburg so wenig Straftaten begangen wie seit Bestehen des Landes nicht. 162.941 Taten wurden im vorigen Jahr registriert – ein Rückgang um 8887 (5,2 Prozent) im Vergleich zu 2019 bei einer minimal gestiegenen Aufklärungsquote von 56,4 Prozent. Im Vergleich mit anderen Ländern bewege sich Brandenburg im „guten“ Mittelfeld. 6461 Straftaten pro 100.000 Einwohner zählte Brandenburg im Vorjahr. In Berlin waren es – allerdings sind hier die Zahlen von 2019 zugrunde gelegt – 14.086, also mehr als doppelt so viele.

Auf hohen Niveau ist die Zahl der Angriffe auf Polizisten in Brandenburg geblieben. „Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Stepien. Zwar gab es 2020 einen Rückgang um 98 Fälle gegenüber 2019, trotzdem wurden insgesamt 1158 Übergriffe verzeichnet. Bei der Hälfte der Fälle seien die Tatverdächtigen alkoholisiert gewesen. Ein Pandemie-Effekt sei in diesem Deliktsfeld aber nicht zu beobachten. Bei Kontrollen zur Einhaltung der Corona-Regeln oder Demos gegen die Maßnahmen seien Polizistinnen und Polizisten in Brandenburg nur in Einzelfällen angegangen worden. (mit dpa)

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