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Anwohner in Berlin-Mitte setzen sich durch: Gericht kippt Durchfahrtsverbot in der Tucholskystraße
Die Durchfahrtsperre in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte ist rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht konnte keine Gefahrenlage feststellen. Doch die Poller dürften trotzdem stehen bleiben.
Stand:
Nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist die Einrichtung des sogenannten Modalfilters, dem Verbot der Durchfahrt für Kraftfahrzeuge, in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte rechtswidrig.
Das von den Grünen geführte Bezirksamt hatte im Juni 2023 die Umwandlung der Straße in eine Fahrradstraße mit dem Zusatz „Anlieger frei“ angewiesen. Anschließend wurden an der Kreuzung Tucholskystraße/Auguststraße Sperrpfosten errichtet, sodass eine Durchfahrt geradeaus verhindert wird. Motorisierte Fahrer müssen abbiegen, Radfahrer sind von den Einschränkungen nicht betroffen. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 115.000 Euro.
Der Umbau beruht auf einem vorherigen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, wonach in der Auguststraße ein „Kiezblock“ errichtet werden sollte, um den „zunehmenden Durchgangsverkehr“ zu unterbinden. Die Tucholskystraße verbindet als Nebenstraße die Hauptverkehrsstraßen Torstraße und Oranienburger Straße. Eine mögliche „Gefahrensituationen an Kreuzungspunkten“ sollte dadurch entschärft werden.
Verwaltungsgericht sieht keine Sicherheitsgründe für Poller in der Tucholskystraße
Nur gibt es diese offenbar nicht: Laut den Anliegern gebe es keine Gründe der Sicherheit, die neben der Anordnung der Fahrradstraße das Durchfahrtsverbot rechtfertigen könnte. Die Antragsteller:innen – Anwohner:innen sowie Inhaber:innen von Gastronomiebetrieben, Galerien und Geschäften – machten geltend, dass die Auguststraße für sie nicht mehr uneingeschränkt nutzbar sei und sie nun Umwege fahren müssten.
Nach Auffassung des Gerichts bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die zu rechtfertigende Gefahrenlage und damit die Begründung für einen Modalfilter sei nicht dargelegt worden.
Aussagekräftige Verkehrs- und Unfallzahlen, aus denen sich nach Einrichtung der Fahrradstraße weiterhin bestehende Gefahren ableiten ließen, lägen nicht vor, da der Anteil des Durchgangsverkehrs nach der Errichtung nicht mehr ermittelt worden war. Der angebliche Bedarf der Durchfahrtsperre habe sich laut Gericht nur auf „unspezifische Erfahrungswerte“ des Bezirksamts gestützt.
Die Entscheidung muss nicht das Ende der Durchfahrtsperre bedeuten
Verkehrseinschränkungen oder -verbote seien weiterhin nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung möglich, nicht aber wegen Gefahren außerhalb des Straßenverkehrs oder aus stadtplanerischen Erwägungen, so das Gericht.
Ob die Durchfahrtsperre nun entfernt wird, ist noch unklar. Gegen den Beschluss kann noch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht werden.
Novelle der Straßenverkehrsordnung könnte dem Bezirk helfen
Genau das behält sich der Bezirk noch vor, sagte Verkehrsstadtrat Christopher Schriner (Grüne): „Wir prüfen eine Beschwerde. Das tun wir auch vor dem Hintergrund der Novellierung der Straßenverkehrsordnung, die noch in der Jahresmitte in Kraft treten soll.“
Denn offenbar bestehen durchaus Chancen, dass die Entscheidung in der nachfolgenden Instanz zurückgenommen werden könnte und der Bezirk die Poller nicht abbauen muss. Denn am 5. Juli haben Bundestag und Bundesrat die Straßenverkehrsordnung novelliert.
Danach können Kommunen künftig deutlich einfacher den Autoverkehr auf bestimmten Streckenabschnitten zugunsten des Fuß- und Radverkehrs verbieten. Noch ist die Novelle nicht in Kraft. Sollte das Verfahren in die nächste Instanz gehen, dürfte aber bereits die neue Regelung zur Anwendung kommen.
„Die Kläger haben sich zu früh gefreut“, sagte Roland Stimpel, Vorsitzender des Fußgängerverbands FUSS e.V. „Wir begrüßen es sehr, dass die Ämter demnächst mehr Gestaltungsfreiheit für Fuß-, Bus- und Radverkehr haben. Die Zeit geht vorbei, in der Poller, Busspuren und sogar Zebrastreifen einfach von Einzelnen weggeklagt werden können.“
Auch die Grüne-Verkehrspolitikerin Oda Hassepaß warnte angesichts der künftigen Rechtslage davor, die Entscheidung sofort umzusetzen. „Im Sinne der sparsamen Finanzmittelverwendung sollte mit dem Abbau abgewartet werden, bis die neue StVO greift.“
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