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Rumgekommen. Ein Praktikum führte Thomas Jonglez 1994 nach Berlin. Er tanzte im Ewerk, im Tresor, der Potsdamer Platz war eine Brache. Später verschlug es ihn nach Brüssel, Rio, Venedig, in seine Heimat Paris – und wieder an die Spree.

© Jonglez Verlag

Thomas Jonglez' Reiseführer „Soul of Berlin“: Auf der Suche nach der Seele von Berlin

In seinen wilden Clubjahren verliebte sich Thomas Jonglez in die Hauptstadt. Nun führt sein neuer Reiseführer an besondere Orte – auch für Einheimische.

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Für Thomas Jonglez kam die Pandemie zum richtigen Zeitpunkt. Wenige Monate zuvor hatte er sich endlich in Berlin niedergelassen – der Stadt, in die er sich mit 24 unsterblich verliebt hatte.

Nun wollte er sich mit seinem Sohn Louis auf die Suche nach der Seele der Stadt machen. „Anders als in Frankreich durfte man hier ja immer unterwegs sein“, sagte er. „Es war eine herrliche Zeit. Wir waren jeden Tag mit dem Fahrrad unterwegs."

Seelenspuren entdeckte er im kleinsten Club der Welt, der Teledisco auf dem RAW-Gelände, in einer Tiergartener Matratzenmanufaktur, im Fährhaus Saatwinkel am Tegeler See, im Strandbar Orankesee und in der Kreuzkirche am Hohenzollerndamm. Von 1000 erkundeten Orten hätten es nur 30 in seinen nun erschienen Führer „Soul of Berlin“ geschafft, erklärt Jonglez.

Der gebürtige Franzose kommt ursprünglich aus Paris und hatte zuletzt sieben Jahre in Rio de Janeiro gelebt. Einen Verlag für Reisebücher kann man von überall her führen, also fragte er seine Frau: „Wollen wir nicht nach Berlin ziehen?“

Eine schöne Wohnung in Kreuzberg fand er bereits in Rio. Dort lernte er einen Deutschen kennen, der wiederum in Brasilien eine Wohnung suchte.

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„Und was machen Sie mit Ihrer alten?“, fragte er, weil er bereits wusste, wie schwer es ist, in Berlin eine Wohnung zu finden. Nach wenigen Wochen konnte er einziehen. Endlich angekommen.

Ein viermonatiges Praktikum in der Mineralölindustrie hatte ihn 1994 zuerst nach Berlin geführt. Es muss eine magische Zeit gewesen sein. Jonglez erinnert sich, wie ein Mädchen ihm in einem Restaurant einen Zettel in die Hand drückte.

Darauf stand nur „Samstag, Straßburger Straße, 20 Uhr“. Keine Hausnummer. Am Ende landete er vor einer geheimnisvollen Tür. Dahinter der Keller einer stillgelegten Brauerei und eine fulminante Party mit 2000 Leuten.

„Das war Berlin“, schwärmt er. Der Potsdamer Platz war noch eine Brachlandschaft, Punks traf man überall, auch im Supermarkt, eine Kneipe namens „Im Eimer“ wurde ein Lieblingsort.

Dauernd fragten ihn Freunde nach Reisetipps

Er tanzte im Ewerk und im Tresor in jenen wilden Jahren. Sieben Jahre arbeitete er dann in einem Stahlunternehmen, zuletzt als Strategiedirektor in Brüssel. Irgendwann wurde ihm klar, dass das kein Leben war für ihn. Er reiste doch so gern. Dauernd fragten ihn die Freunde nach Tipps, wenn sie selbst irgendwo hinwollten.

Endlich frei reiste Jonglez in sieben Monaten auf dem Landweg von Peking nach Paris. Nur sechs Monate brauchte er mit der Familie von Venedig über Sibirien und den Pazifik nach Rio de Janeiro. Drei Jahre lebte er insgesamt in Brüssel, weitere drei Jahre in seiner Heimatstadt Paris und sieben Jahre in Venedig. Auch seine Frau Romaine kann als Life Coach von überall aus arbeiten.

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In Berlin genießt er offenbar jede Sekunde, lobt die hohe Lebensqualität. „Die Stadt ist nicht so dicht bebaut wie Paris“, beginnt Jonglez mit einer Auflistung der Vorzüge. Die Straßen seien viel breiter, so falle viel mehr Licht darauf.

Außerdem gebe es viel mehr Bäume, viel mehr Grün. „Es ist nicht so laut wie in anderen Metropolen, und es gibt viel weniger Autos.“ Alles sei viel entspannter. Sein Sohn könne sich sicher auf der Straße bewegen, mit der U-Bahn zur Schule fahren, weil es nicht so viel Gewalt gibt wie beispielsweise in Rio.

Paddeln in Neu-Venedig und baden in Lübars

Die alternative Szene mache die Stadt zudem besonders attraktiv für junge Leute. Und die vielen Strände findet er sehr verlockend. Seine Freunde in Paris hätten ihn gefragt: „Strände? In der Stadt? Ernsthaft jetzt?“. Auch das gebe es in anderen großen Städten nicht. Ereignisse der Hochkultur, Konzerte, Theateraufführung seien viel preiswerter als etwa in New York oder London.

Für sein Buch „Soul of Berlin“ war er Paddeln in Neu-Venedig und Baden in den Strandbädern Lübars und Wendenschloss. Auch von Kirchen und Friedhöfen lässt er sich inspirieren, zum Beispiel vom Jüdischen Friedhof in Weißensee oder von der Kapelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.

Notwendige Zugeständnisse an die Großstadt

Vermisst er auch was, die Köstlichkeiten, die in Paris etwa in praktisch jeder Bäckerei zu haben sind? Jonglez zuckt mit den Schultern. „Ein paar Zugeständnisse muss man überall machen.“ Und er fliege auch immer mal wieder heim, um Freunde und Familie zu sehen.

Ihn reizt das Besondere, das nicht an normalen Reiseführer steht, Orte, die man von selbst nicht findet. Michelin-Sterne-Restaurants locken ihn überhaupt nicht. Aber vielleicht will er sich in einem künftigen Buchprojekt mal den besonderen Restaurants von Paris widmen.

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Auf der Suche nach der Seele von Berlin ging es ihm nicht so sehr um etablierte Sehenswürdigkeiten, sondern um besondere Erlebnisse, die sich auch Berliner mal gönnen könnten. Viele seien sehr verhaftet in ihrem Kiez. Dabei müsse man gar nicht lange fahren, um an außergewöhnliche Orte zu gelangen. Dazu will er ausdrücklich ermutigen.

Verborgene Schönheit voller Poesie

Während „Soul of Berlin“ ein eher poetisches Buch ist für Menschen, die sich durch die Reize der Stadt treiben lassen wollen, ist das Buch „Verborgenes Berlin“, das ebenfalls in Jonglez’ Verlag erschienen ist, aber von drei anderen Autoren geschrieben wurde, ein dichtes Konglomerat von Details für Einheimische und Besucher, die mehr wissen wollen.

Mit der Hilfe dieses Führers kann man den Schrotkugelturm entdecken, die Rieselfelder Karolinenhöhe, das Museum Kesselhaus Herzberge oder den Handschlag über Torbögen. Und jede Menge Wissen sammeln, das einen im Small Talk als Experten zu erkennen gibt.

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